Kurz vorm Quartierszentrum am Tierpark blitzen die Aluspeichen der Räder durch den verglasten Fahrradraum des WHH GT 18. Ein betoniger Achtzehngeschosser in Berlin-Lichtenberg, der aus der Zeit gefallen scheint. Sein sperriger Name steht für die pragmatische Bauweise, mit der er und seine architektonischen Verwandten errichtet wurden. MGH, Q3A, oder WHH GT 18 – hinter den Kürzeln, die wie Spitznamen für Raketenwerfer klingen, verbergen sich Wohnungsbauvarianten des DDR-Plattenbaus. Dieser WHH GT 18 ist demnach ein WohnHochHaus, das nach der Großtafelbauweise (GT) 18-geschossig Anfang der 70er gebaut wurde. Das klingt nach retro und retro ist in.

Die Fülle an Rädern, die drinnen mit jungen Rahmen von alten Decken hängen, zeigt, dass hier viele mobile Leute wohnen müssen; junge Menschen.

Draußen zieht es. So ein Hochhaus ist ein Windtrichter; wer einmal an Plätzen mit mehreren hohen Häusern war, kennt diese urbane Brise aus Staub und Stadtgeräuschen, die einem plötzlich um die Nase weht, obwohl es kurz zuvor noch windstill war. Deshalb fliehen die Kinder an die Rückseite so eines Riesen; Hochschuss üben. Zu fünft oder zehnt, mit einem Ball – solange bis es den seniorigen Damen, die ganztags missäugig durch ihre Gardinen linsen, reicht. Irgendwann brüllt immer eine, dass doch jetzt mal gut sei mit dem Lärm. Ihre Stimme hallt lauter durch die vielen Betonwände als das Prallen des Balls an der Häuserwand. Von dem sonst so lärmenden Berlin ist Kinder- und Rentnergebrüll das Lauteste, was an einem Herbstnachmittag in Lichtenberg geschieht.

Spaziert man durch das ehemalige Ostberliner Viertel, läuft man mal über verplatzten Huckelasphalt, mal über glatte Einkaufszentrumsböden. Die, auf denen abgewetzte Rollschuhe keinen Krach machen würden, weil man ohne Unterbrechung dahinrollen könnte. Auf diesen Flächen auch: Mehrzweckhallen. Außen saniert, innen Ernstings Family. Der Pragmatismus zieht sich durch die gesamte Infrastruktur des Stadtteils: Schuster, Post und Kaufhalle? Alles auf einem Fleck. Praktisch, gut zu erreichen, umringt von einheitlichen Wohnungen.

Die sind meist in Vierecken angeordnet, gleich lang und hoch. Bei einer Plattenbauwohnung weiß man, was man bekommt. Und dass alle um einen herum in identischen Grundrissen wohnen. Als Mieter*in ist man erleichtert, denn während man in Prenzlauer Berg und Schwabing um das schönste Dielenknarzen und Flügeltürengeschwinge feilscht, saugt man hier fix über die Auslegware und klebt zu Ostern ein bisschen Window Color in die Fenster. Schlichtheit ist in der Platte gemütlicher als Extravaganz.

Von außen wirken die Wohnungen trotzdem oft fad, auch wenn ihre Fassaden meist bläulich, rosa oder weiß gespritzt wurden: Nach-Wende-Sanierungsmaßnahmen Mitte der Neunziger. Der Schleier von einst dunstet noch nach. Bei "Platte" denkt kaum jemand an modernes Wohnen, sondern alle an Dialoge aus Mitten im Leben. Auch deshalb sind hier viel Grau und niedrige Decken erschwinglicher als hohe Wände mit wenig Stuck ein paar Kilometer weiter. Aber grau bietet Gestaltungsfreiheit für noch mehr bunt. Das weiß jede*r, die*der im Winter von außen in warmgelbe Wohnstuben, auf frisch geschmückte Tannenbäume oder den Schwibbogen aus dem Erzgebirge im Küchenfenster schaut. Im Sommer werden in die Tristesse ein paar Lampions gehängt und schon leuchtet's. Den balkonigen Blick vor grellen Nachbarn oder sengender Sonne kann man sich auch mit geringelten Rollmarkisen aufhübschen.

Und das machen einige: Nicht nur "Dagebliebene", auch Studierende und junge Familien. Für sie sind die Mieten in den DDR-Bauten erschwinglicher und es gibt genügend Flachbau-Kitas deren rostige Zäune kleine Wäldchen umschließen. Zwischen den Häusern schlängeln sich ab und an niedrige Mauern, auf denen Kinder an Elternhänden balancieren. Es ist nichts wirklich schick in der Platte, aber es ist immer alles da.