Nach außen hin muss immer alles passen. Darauf legt die aktuelle österreichische Regierung, die Koalition zwischen der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der rechten Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) großen Wert. Kein Konflikt sickert nach draußen. Gestritten wird nur hinter verschlossenen Türen.

Das Klima zwischen den beiden Parteien sei respektvoll und professionell, lobten sich Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache bei der Pressekonferenz zu einem Jahr schwarz-blaue Regierung in Österreich selbst. Ihre Bilanz: ein erfolgreiches erstes Jahr. Sie betonen, es sei "wunderschön, Österreich zu dienen".

Die rechtskonservative Regierung ist nun seit etwas mehr als zwölf Monaten an der Macht. Ein Rückblick lohnt sich: Was ist passiert? Worüber diskutierte Österreich? Wer profitiert von dieser Politik und wer nicht? Eine Analyse in zehn Fragen.

1. Welche Themen wurden diskutiert?

Heftig diskutiert wurde das gekippte Rauchverbot in der Gastronomie, die Einführung des sogenannten Zwölfstundentages, die Neugestaltung der Mindestsicherung und der Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt. Das Dauerthema Migration blieb seit dem Wahlkampf beinahe das ganze Jahr über bestehen. Vieles, wofür die Parteien im Wahlkampf geworben haben, setzt die Regierung auch um: weniger Geld für Geflüchtete, mehr Geld für Eltern, Stärkung der Polizei und mehr Abschiebungen.

2. Was tut die österreichische Regierung für Frauen und Feminismus?

"Frauen in Österreich übernehmen und tragen heute Verantwortung in allen gesellschaftlichen und lebensentscheidenden Bereichen wie beispielsweise in der Erziehung, Pflege, Bildung, Wirtschaft, Umwelt oder in ehrenamtlichen Tätigkeiten. Die Erfüllung dieser Aufgaben und die Erbringung dieser Leistungen von Frauen sind entsprechend besser anzuerkennen und zu würdigen", steht im Regierungsprogramm. Genauso wie Ziele: Lohngleichheit, Gewaltprävention und soziale Sicherheit.

Tatsächlich wurde das Budget für Frauenprojekte aller Art, von Gewaltprävention bis zu Gesundheitszentren oder feministischen Zeitschriften stark gekürzt – oder erhalten gar keine Subventionen mehr. Ein Gewaltpräventionsprojekt in Zusammenarbeit mit der Polizei, seit Jahren eins der Aushängeschilder erfolgreicher österreichischer Frauenpolitik, kam dabei genauso unter die Räder wie etwa die Abteilung für Gender Mainstreaming im Bildungsministerium. Konkret gab es 700.000 Euro weniger an Förderungen für Frauenvereine. Gleichzeitig bekam der Dachverband schlagender Mittelschulverbindungen laut dem Wiener Stadtmagazin Falter 38.000 Euro vom Ministerium für Frauen und Familie, obwohl nur 43,48 Prozent der Mitglieder weiblich sind. Gleichberechtigung und Frauenpolitik stehen zwar im Regierungsprogramm, scheinen aber nur auf dem Papier Priorität zu haben.





3. Was tut die Regierung gegen Hass, Rassismus und Diskriminierung?

Die Regierung organisierte einen Gipfel gegen Hass im Netz und forderte strafrechtliche Verschärfungen auf allen Ebenen. Doch selbst als Regierungspartnerin hält sich die FPÖ mit rassistischen und hetzerischen Postings nicht zurück. Während des Gipfels veröffentlichte ein FPÖ-Politiker ein rassistisches Video über den angeblichen E-Card-Missbrauch im Land. Gekürzt wurden auch die Förderung beim Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern. Die Polizist*innen, denen Wiener Rapper Racial Profiling vorwerfen, zeichnete der Wiener Vizebürgermeister, Dominik Nepp (FPÖ), mit dem Goldenen Wienerherz für ihren Dienst aus.

4. Wer profitiert von der aktuellen Politik – und wer nicht?

Arbeitende Eltern bekommen mit dem sogenannten Kinderbonus 1.500 Euro pro Jahr und Kind an Steuern zurück. Alleinerziehende mit zu geringem Einkommen bekommen weniger und Eltern ohne Einkommen gar nichts. Das Kindergeld wurde ab dem vierten Kind merklich gekürzt, was Sozialverbände kritisieren. Die Verlierer*innen der aktuellen Politik sind Geflüchtete, Eltern mit geringem oder keinem Einkommen und Frauen.

5. Was tut die Regierung gegen den Klimawandel?

Österreich muss zu den EU-Klimazielen beisteuern. "Die österreichische Klimapolitik gleicht einem Trümmerhaufen: Türkis-Blau hat bislang keine einzige wirksame Maßnahme zum Klimaschutz gesetzt", kommentiert ein Klimaexperte von Greenpeace in der österreichischen Stadtzeitung Falter. Tatsächlich wurde das Tempolimit auf Autobahnen sogar auf 140 Kilometer pro Stunde angehoben, was die Feinstaubbelastung erhöht. Die Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) kämpft derweil gegen die noch vorhandenen Ölheizungen im Land. Bis 2050 soll Österreich nämlich weitgehend erdölfrei werden.

6. Werden nun mehr Menschen aus Österreich abgeschoben?

Dieses Jahr (Januar bis November) wurden 4.254 Menschen in ihre Herkunftsländer abgeschoben. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) freut das, er schreibt auf seiner Facebook-Seite: "Wir konnten heuer von Jänner bis Ende November die Abschiebungen um 46 Prozent steigern. (...) Die Österreicherinnen und Österreicher haben das Bedürfnis nach Sicherheit und diesem Bedürfnis komme ich als Innenminister nach." Es sind mehr Abschiebungen als in den Jahren zuvor. Damit das möglich war, hat die Regierung die Liste der sicheren Herkunftsländer erweitert – und Behörden dürfen nun die Handys von Geflüchteten auswerten.

7. Warum will der österreichische Innenminister Polizeipferde für 900.000 Euro?

Trotz hoher Kosten will das Innenministerium, oder genauer gesagt der österreichische Innenminister Kickl, eine berittene Polizei in Wien aufbauen lassen. 24 Pferde sollen in Wien in Zukunft herumtraben und das Image der Polizei aufbessern. Sowohl die Suche nach dem passenden Standort als auch den richtigen Pferden stellte sich aber als extrem schwierig heraus. So kam es, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán Österreich zur Unterstützung zwei Pferde schenkte. Das Budget für das Herzensprojekt des Innenministers wurde bereits mehrmals aufgestockt, der aktuelle Vorschlag beträgt 900.000 Euro.

8. Welches Verhältnis hat die Regierung zu den Medien?

Das Verhältnis zwischen Medien und der Regierung ist gelinde gesagt angespannt. Kritische Journalist*innen wurden von der FPÖ vermehrt in den sozialen Medien an den Pranger gestellt. Prominentes Beispiel: Heinz-Christian Strache, Chef der FPÖ und Vizekanzler, postete ein Meme des renommierten ORF-Moderators und Journalisten Armin Wolf mit dem Text: "Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF." Er musste sich dafür öffentlich entschuldigen. In diesem Jahr kam eine interne Mail aus dem Innenministerium an die Öffentlichkeit, in der das Ministerium die Polizeidirektionen vor kritischen Medien warnt und ihnen rät, die Kommunikation auf das "nötigste Maß" zu beschränken.

Während Stimmung gegen kritische Medien gemacht wird, inseriert die Regierung fleißig im Boulevard: 1,35 Millionen Euro gingen an die Kronen Zeitung und oe24 sowie 1,1 Millionen an die Heute. Neu ist, dass unter dieser Regierung erstmals Geld in rechtsextreme Medien floss, wie in den Wochenblick und das Verschwörungsblatt Alles Roger?. In Letzterem warb die Regierung sogar um Polizeinachwuchs.

Klassische Medien sind für die Regierung auch nicht mehr so wichtig, denn sowohl die FPÖ als auch die ÖVP vermarkten sich in den sozialen Medien intensiv selbst. Zusammen erreichen die Facebook-Seiten von Kanzler, Vizekanzler und Innenminister über 1,6 Millionen Menschen. Darum überrascht es nicht, dass Innenminister Kickl 21 Social-Media-Mitarbeiter*innen und 30 Beamte in der Kommunikationsabteilung in seinem Ministerium beschäftigt.

9. Wie geht die Regierung mit Widerstand aus der Bevölkerung um?

Widerstand aus der Bevölkerung wird kritisiert. Erst am Samstag, als Tausende Menschen gegen die Regierung auf die Straße gingen, bezeichnete Vizekanzler Strache das als eine "riesen Sauerei". Trotzdem gehen jeden Donnerstag seit Monaten Tausende Menschen in Wien auf die Straße und protestieren gegen die Regierung.

10. Wie zufrieden sind die Österreicher*innen mit dieser Politik?

Die Umfragewerte für Kurz und seine ÖVP sind gut. Im Vergleich zur Wahl 2018 legte die ÖVP sogar zu – auf rund 35 Prozent. Kurz führt das Polit-Barometer mit plus 25 an, Vizekanzler Strache kommt auf einen Wert von minus 9.

Zum österreichischen Wort des Jahres wurde übrigens "Schweigekanzler" gekürt. Bereits zum zweiten Mal wird damit auf einen Kanzler der Republik angespielt, der lieber schweigt, als Stellung zu beziehen. Schweigekanzler beschreibt Kurz' bisherige Strategie, bei rassistischen Aussagen und Hetze des Koalitionspartners FPÖ abzuwarten, bis sich das Problem von alleine löst – oder von einem neuen verdrängt wird. Die Strategie scheint zu fruchten. Das Land hat nun eine Regierung, die nicht mehr streitet. Viele Österreicher*innen scheint das zufriedenzustellen. Denn wie sich die Umstrukturierungen, die sozialen Einsparungen und die neuen Gesetze im Land auswirken, wird sich erst mit der Zeit zeigen.

"Was geht mit Österreich?" Mit dieser Frage beschäftigt sich unsere Korrespondentin und Exil-Österreicherin Eva Reisinger in ihrer Serie. Sie lebt halb in Berlin und halb in Wien und erzählt euch, was ihr jeden Monat über Österreich mitbekommen müsst, worüber das Land streitet oder was typisch österreichisch ist. Wenn du unseren Österreich-Newsletter abonnierst, bekommst du ihn alle zwei Wochen in dein Postfach.