"Meine Mutter ist niemals in den Hauskeller gegangen. Bei Fliegeralarm waren wir im Bunker. Aber auf den Bunker fielen ja auch Bomben. Und der Bunker bebte und schwankte, da hatten wir auch Angst […] Es gab Familien, da war ein Mann dabei. Der war vielleicht noch nicht eingezogen – Vater oder Onkel, wer auch immer. Und die Wärter haben die Männer nicht rein gelassen. Stellen Sie sich mal vor: die Familie geht rein, die Kinder schreien ‚Papa! Papa!‘ oder was anderes. Jedenfalls mussten die Männer draußen bleiben, sich irgendwo im Gebüsch oder sonstwo verstecken. Die haben nur Frauen und Kinder in den Bunker reingelassen. Ich habe das mehrmals erlebt", erzählt mir Anita, 81, in ihrer Essecke und blickt aus dem Fenster, auch Jahrzehnte später noch fassungslos.

"Manchmal haben wir es nicht geschafft, denn die Bombenflieger kamen ganz schnell und dann fielen schon die ersten Bomben und wir rannten noch", sagt sie. "Und einmal haben wir's erlebt: Hinter uns fiel eine Bombe […] Es war ein Riesenkrach und dann schoss eine Riesenflamme nach oben. Wir waren schon ein bisschen weg von dem Haus – es brannte. Und wir konnten weiterrennen."

Anita, ihre Mutter und ihre beiden Geschwister sind mehr als einmal davon gekommen.

Überall in Europa, aber auch international, blüht der Nationalismus. Dazu kommt Hass auf Geflüchtete, der in zunehmenden rechten Gewalttaten mündet. Aber die, die heute geflüchtete Menschen fürchten oder ablehnen und sich auf ihre nationale Identität berufen, haben oder hatten ziemlich wahrscheinlich selbst Großeltern, die aufgrund genau dieses Nationalismus am eigenen Leib Krieg, Tod, Elend und Flucht erleben mussten. Und trotzdem fehlt es ihnen an Empathie.

Oma erzählt vom Krieg hält wichtige Erinnerungen fest

"Oma erzählt vom Krieg" ist eine beinahe joviale Floskel dafür, wenn jemand mal wieder die alten Erinnerungen auspackt. Aber wir brauchen diese Erinnerungen heute mehr denn je. Meine Omi hat mir oft Geschichten vom Krieg erzählt. Davon, wie grauenhaft, gnadenlos und entsetzlich er ist. Wie es sich anfühlt, plötzlich sein Zuhause für immer verlassen zu müssen – zu Fuß, verlaust und dreckig, hungernd und frierend. Ohne zu wissen, wo es hingeht und was werden soll. Davon, wie es ist, als Kind Tote sehen zu müssen. Als geflüchteter Mensch beschimpft und verjagt zu werden. Inmitten von Zerstörung aufzuwachsen.

Meine Omi lebt nicht mehr, aber ich habe fünf anderen Frauen zugehört. Sie waren noch Kinder, als sie Krieg, Tod und Vertreibung erlebten. Ihre Geschichten bewegen und erschüttern. Diese persönlichen Schicksale schmälern die deutsche Schuld am und im Zweiten Weltkrieg nicht – oder wie es der Historiker Moritz Hoffmann bei Spiegel Online  formuliert: "Warum sollte man sich in der Rolle ‚die Deutschen‘ als Opfer verstehen, wenn man historisch betrachtet zu dieser Zeit klar zuvorderst Täter war?" Aber Millionen unschuldiger Kinder wuchsen im Krieg auf und haben seelische Wunden davongetragen.

Für Oma erzählt vom Krieg, ein Podcast-Format bei ze.tt in fünf Teilen, frage ich die Protagonistinnen nicht nur nach ihren Erlebnissen, sondern auch nach Erkenntnissen für die heutige Zeit. Um Krieg zu verhindern, so höre ich in den Gesprächen, brauchen wir Bündnisse, Mitgefühl, Zivilcourage und Toleranz. Und das Bewusstsein dafür, warum genau das alles essenziell für unsere Gesellschaft und den Fortbestand unserer Welt ist.

Auch Anita mahnt zur Erinnerung: "Man darf das nicht vergessen, damit man nicht gleichgültig wird gegenüber kriegerischen Ereignissen. Egal wo in der Welt Menschen gegeneinander kämpfen, da ist immer Zivilbevölkerung leidtragend. Besonders auch die Kinder. Das darf man nicht vergessen. Man muss das erzählen. Die Trümmerstadt Berlin und Trümmerstadt Aleppo – das gleicht sich."

https://open.spotify.com/episode/2L8Xz2OHWx8bhAcymw66Hu?si=jlp6s9IcSVuhAfm3lodL7w