Eifriges Quatschen, lautes Lachen und trappelnde Kinderfüße – der große Raum ist erfüllt von festlicher Atmosphäre. Alle tragen ihre schönsten Kleider und haben sich herausgeputzt. Langsam ordnet sich das Gewusel und die Muslim*innen stellen sich in engen Reihen zum Festtagsgebet auf: Es ist Eid ul-Adha, das Opferfest. Nach dem Gebet frage ich meine Freundin Meriem, die schon seit vielen Jahren vegan lebt: "Du verzichtest ja in deinem Alltag auf tierische Produkte. Schlachtest du eigentlich?"

Ihre Antwort verblüfft mich. Auch in der muslimischen Community wächst die Veggie-Bewegung stetig an und viele Muslim*innen ernähren sich vegetarisch oder vegan. Nicht aufgrund fehlender Halal-Optionen im Alltag, sondern aus ethischer Überzeugung, die oft auch religiös argumentiert wird. Wie Meriem entscheiden sich zum Opferfest trotzdem viele für das Tieropfer. Warum? Und gibt es Alternativen?

Opferfest und Vormoderne

Das alljährlich stattfindende Opferfest ist der höchste islamische Feiertag und bildet einen Höhepunkt der Pilgerfahrt Hadsch. Mit dem islamischen Opferfest ehren Muslim*innen den Propheten Abraham, der nach der Überlieferung im Vertrauen zu Gott bereit war, seinen eigenen Sohn zu opfern. Im letzten Augenblick verhinderte Gott das Opfer und Abraham opferte stattdessen ein Lamm. Diese Prüfung Abrahams ist nicht nur im Koran, sondern auch in der Bibel und in der Tora überliefert.

Abraham gilt wegen seines uneingeschränkten Gottvertrauens als Stammvater der drei monotheistischen Religionen. Traditionell wird ein Drittel des Fleisches an Arme und Bedürftige verschenkt, ein Drittel an Freund*innen und Verwandte, und ein Drittel behält die Familie. Außenstehenden mag das Ritual des Schlachtens grausam vorkommen, aber in der Vormoderne war es wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die ländliche Bevölkerung brachte ihr Vieh in die Stadt, wo es als Opfertier verkauft wurde. Das sicherte zu einem großen Teil auch das Einkommen der Bäuer*innen – also das vormoderne support your local dealer.

"Nicht jeder hat damals Vieh gekauft", erzählt Dr. Ali Ghandour, Theologe und Autor aus Hamburg. "Das war nur für eine bestimmte Schicht möglich. Schlachten sollen eigentlich nur diejenigen, die es sich leisten können."

Ist das Schlachten eines Tieres für uns heute noch ein Opfer?"

"Heute hat es andere Ausmaße angenommen: In manchen Ländern wie in Marokko wird sogar im Fernsehen um Kredite oder Ratenkäufe für ein Opfertier geworben", führt Dr. Ali Ghandour aus. "Das ist absurd, weil das Opfern in allen sunnitischen Rechtsschulen, sowie bei den Schiiten eine empfohlene Sunna ist, also eine prophetische Tradition, für die man sich nicht extra verschulden soll. Das wäre sogar gegen den Sinn dieser Praxis."

Der Kapitalismus macht also auch vor dem Opferfest keinen Halt.  Die Tiere werden oft in Übersee gezüchtet und dann um die halbe Welt geschickt. Unser Bezug zu Fleisch hat sich außerdem grundlegend geändert – es ist kein Luxusgut mehr, das man vielleicht nur einige Male im Jahr zu festlichem Anlass verzehrt. In jedem Discounter bekomme ich ein halbes Kilogramm Hackfleisch für wenige Euro. Ist das Schlachten eines Tieres für uns heute wirklich noch ein Opfer?

"Vor der Ausbildung der Rechtsschulen, zwischen dem achten und zehnten Jahrhundert, gab es Positionen von Gelehrt*innen, welche besagen, dass unter bestimmten Umständen die Spende besser als die Schächtung ist", erklärt mir Ali auf meine Frage nach Alternativen. "Diese Meinung gibt es heute noch als Minderheitenmeinung zum Beispiel bei den Malikiten, eine der vier sunnitischen Rechtsschulen."

Verzicht als Opfer

Lange habe ich mich mit dem Für und Wider beschäftigt. Ich schlachte kein Tier mehr, obwohl ich es mir leisten könnte. Stattdessen spende ich das Geld an bedürftige Menschen. Und ich versuche, ein persönliches Opfer zu bringen: Eine schlechte Angewohnheit ablegen. Oder meinen Stolz überwinden und mich mit einem Menschen versöhnen.

Ich lebe nicht vegetarisch, aber ich versuche immer mehr auf Fleisch zu verzichten. Was mir ehrlich oft schwer fällt: Das größere Opfer ist für mich der Verzicht auf Fleisch. Meine Freundin Meriem steht übrigens nicht stellvertretend für die Veggie-Muslim*innen – immer mehr junge Muslim*innen stellen sich der Frage, wie und ob es heute ethisch vertretbar ist, ein Tier zu opfern, und suchen nach Alternativen.