"Das ist die, die immer absagt!" Die Geschichte einer Studentin, die erst nicht feiern gehen konnte. Und dann nicht mehr wollte. "Pling!" Das Handy leuchtet auf. WhatsApp, Uni-Gruppe. "Hey, wie siehts aus, geht ihr morgen auch zur der Uni-Party?"

"Pling. Pling." Nach und nach treffen die Antworten ein. "Hey! Ja sicher, Vorglühen bei mir?", "Na logo, wird mal wieder Zeit", "Muss arbeiten, aber viel Spaß!""Pling. Pling. Pling." 

Ich starre auf mein Handy und überlege, welche Ausrede ich mir dieses Mal einfallen lassen könnte.

Arbeiten? Mein Arbeitgeber hat mich zwar bis 22 Uhr in den Fängen, aber das zählt für eine Feier ab 24 Uhr nicht mehr. Früh wieder raus? Wenn man freitags keine Vorlesungen oder Seminare hat, fällt diese Ausrede auch weg. Hamster gestorben? Hm, ohne Hamster wird das schwierig.

Also zusammenreißen und einfach absagen: "Hey ihr, leider ohne mich, habt trotzdem viel Spaß". Uff, tief Luft holen. Das ist ja nicht mal gelogen. Denn ein wenig leid tut es mir schon. Oder nicht?

Keine Spaßbremse

Es ist jedes Mal das gleiche Spiel. Jedes Mal verliere ich den Kontakt zu einer Gruppe Studierender, die vielleicht Freunde hätten werden können, weil ich die bin, die immer absagt. Die, die keinen Spaß haben will. Die, die zwar viel redet und viel lacht, jedoch nicht feiern geht. Die, die nicht trinkt.

Aber ich bin keine Spaßbremse, schon gar keine Langweilerin. In kleinen Kreisen bin ich offen, lache gern und viel und bringe durch meinen Humor selbst zwei Gruppen, die sich nicht kennen, zusammen. Mit mir kann man jede Menge Spaß haben. Man kann nur nicht mit mir feiern.

Doch gerade das scheint für viele meiner Kommiliton*innen ein absolutes No Go zu sein.

Panik in der Disco

Lange Zeit wollte ich zwar weggehen, konnte aber nicht. Ich litt unter einer so genannten Angststörung. Wie das zustande kam, möchte ich nicht weiter ausführen. Wichtig zu wissen ist nur, dass ich in Diskotheken Panikattacken bekam: Herzrasen und unkontrolliertes und plötzliches Losweinen waren keine Seltenheit. Ich hatte immer das Gefühl, beobachtet, ja, geradezu gemustert zu werden.

Ich zog mich mehr und mehr zurück.

Als mich ein Bekannter darauf ansprach, wieso ich denn nie mitkommen würde, öffnete ich mich ihm und erzählte von meiner Angst. Seine Antwort lautete nur "Na, dann geh halt nicht". Leichter gesagt als getan. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass simple Sit-In-Abende nicht mehr "in" waren, sondern laute Musik und Abzappeln als einzig akzeptable Abendaktivität galten.

Ich sagte also nichts mehr; ich sagte nur noch ab.

Was stimmt nicht mit mir?

So entfernte ich mich von den Kommiliton*innen, löschte mich aus der WhatsApp-Gruppe und grübelte. War mit mir etwas nicht in Ordnung? War ich denn so anders, war ich etwa "falsch"?

Das Ganze zermürbte mich so lange, bis ich schließlich den Weg zu einer psychologischen Beratung fand. Die Frau, die dort arbeitete, war sehr geduldig. Als ich unter Tränen von meinem Problem erzählte, sah sie mich lange an und sagte: "Das klingt wirklich nach einer Angststörung. Versuchen Sie, sich ihr zu stellen, das wird Ihnen helfen." Sie skizzierte einen Plan, wie eine mögliche Konfrontation aussehen könnte. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass das funktioniert", sagte sie und vereinbarte mit mir einen Termin, drei Monate nach unserem Gespräch.

Konfrontation hilft

Ich begann also eine Konfrontationstherapie. Die sah folgendermaßen aus: Ich ging feiern und ertrug die Blicke – und merkte, dass sie nicht schlimm sind und die anderen Leute mich nicht anstarren, weil ich so schlecht tanze.

Aber das war ein längerer Prozess. War ich nach meinem ersten Abend geradezu euphorisch, stürzte mich der nächste wieder in den Abgrund. Ich sprach mit der Psychologin darüber und sie sagte: "Rückschläge sind total normal, lassen Sie sich davon nicht abhalten!" Also wieder los, dieses Mal sogar tanzen. Und tatsächlich: Es wurde besser. Die anderen schauten mich vielleicht immer noch an, aber ich bemerkte es kaum noch.

Bei meinem letzten Gespräch mit der Psychologin erzählte ich von meinen Fortschritten und bedankte mich überschwänglich. Dann sagte sie etwas, das mich bis heute beschäftigt: "Denken Sie immer daran: Stellen Sie sich in den Vordergrund. Gehen Sie nicht nur, weil andere es wollen."

Was will ich wirklich?

Das saß. Plötzlich merkte ich, dass sich nicht viel geändert hatte. Ich konnte zwar gelegentlich feiern gehen, aber das war für mich keine Erfüllung – es war vielmehr Angstbekämpfung. Und was mich davon abgesehen besonders gestört hat: Dass mein Gedanke beim Absagen "Ich kann nicht" statt "Ich will nicht" war.

Doch das änderte sich nach dieser Therapie. Ich sagte "Ich will nicht". Ich will nicht betrunken sein, ich will keinen betrunkenen Frauen auf der Damentoilette ausweichen müssen und hören, wie sie die in Drinks investierten 40 Euro in die Kloschüssel speien, ich will nicht torkelnden Typen ausweichen, die ihren Freunden Bier bringen, ich will nicht zwischen vier nach Rauch stinkenden Frauen feststecken, die sich alle gegenseitig "I’m a Barbie Gööörl" ins Ohr brüllen. Ich will das nicht.

Wieso fällt es uns eigentlich immer noch so schwer, einfach "Ich will nicht!" zu sagen? Was ist denn dagegen einzuwenden, dass man nicht feiern geht?

Es gibt nicht nur entweder/oder

Mittlerweile habe ich einen Freundeskreis, in dem ich sein kann, wie ich will. In dem nicht ständig "Warum trinkst du nicht?", "Wieso gehst du nicht feiern?" oder "Du sagst auch nur ab!" kommt. Ich habe spaßige Abende und gemeinsame Aktivitäten mit Menschen, die ich mag und die mich so nehmen, wie ich bin.

Wenn andere nicht verstehen wollen, dass ihr nicht so seid, dann sucht euch andere Freunde. Bloß, weil Alkoholkonsum zur Normalität geworden ist, seid ihr nicht anders oder falsch.

Wenn heute mein Handy plingt und in meiner neuen WhatsApp-Gruppe die Nachricht aufpoppt: "Hey wer geht morgen mit zu Uni-Party?" zögere ich nicht mehr. Ich tippe und drücke auf senden: "Nein danke, ich will nicht. Viel Spaß euch trotzdem!" Meist pingt das Handy dann erneut und ich lächle, wenn ich die Nachrichten lese. "Danke, dir auch =)"