"Meistens sage ich einfach, dass ich bi bin, weil ich keine Lust auf lange Erklärungen habe", erzählt Lisbeth Dürr. Dabei spielt es für die 28-Jährige keine Rolle, ob ihr Gegenüber weiblich oder männlich ist, denn die Studentin ist pansexuell. Pansexuelle lieben einander, ohne jegliche geschlechtliche Vorauswahl zu treffen.

Wenn sich Lisbeth verliebt, ist es ihr egal, ob ihr Gegenüber ein Cis-Mann oder eine Cis-Frau, ein*e Genderfluid, ein Neutrois, androgyne und agender Personen, Zwitter oder transsexuell ist. "Ich sehe das Geschlecht, aber es ist mir vollkommen gleichgültig". Sie verliebt sich in den Menschen.

Vor drei Jahren wurde Lisbeth bewusst, dass sie pansexuell ist. "Es gab nicht wirklich einen Punkt, wo es klick gemacht hat", sagt sie. Mit der Zeit wurde ihr bewusst, dass die Schublade "pansexuell" einfach am besten zu ihrer Sexualität passt.

Als sie anfing, sich über ihre Sexualität Gedanken zu machen, war sie viel in verschiedenen Internet-Foren unterwegs. "Ich hatte viele Fragen und wollte wissen, wie es anderen geht, die sich ähnliche Fragen stellen. In den Foren ist mir aufgefallen, dass die Pansexuellen ähnliche Gedanken haben wie ich." Die Erkenntnis, dass andere ähnlich denken wie sie, gab ihr ein Gefühl von Verständnis: "O mein Gott! ich bin nicht verrückt oder kaputt, das gibt es wirklich!"

"Ich glaube, dass die sexuelle Orientierung genetisch bedingt ist, aber wir sie erst im Laufe unserer Lebens und der Selbstfindung erkennen", sagt die Medientechnik-Studentin. Gesellschaftliche Normen und Stereotypen würden den Menschen daran hindern, die sexuelle Orientierung von Beginn an auszuleben. "Wir finden zusammen, bevor wir überhaupt wissen, was wir sind", sagt die Hamburgerin.

Das Zusammenfinden ist für Lisbeth häufig schwierig. Dating-Websites hat sie ausprobiert, aber empfindet sie als zu oberflächlich. "Abgesehen davon, dass mir die ständigen ekligen Nachrichten von irgendwelchen Typen auf die Nerven gingen; einer der häufigsten Anmachsprüche war, ob ich Lust auf einen Dreier hätte, weil ich ja bisexuell sei."

Auf den meisten Seiten fehlte ihr die Möglichkeit, eine andere sexuelle Orientierung anzugeben außer hetero-, homo- und bisexuell. Wenn sie sich in jemanden verguckte, dann handelte es sich meist um Personen aus ihrem Bekannten- und Freundeskreis.

Einmal verknallte sie sich in einen Genderfluid, erzählt Lisbeth. Er war auch ein Filmfreak, war offenherzig und kreativ. Es funkte sehr schnell. "Aber das war eher ein Kurzschluss von guter Freundschaft auf Liaison, wobei sich nach einiger Zeit herausstellte, dass wir lieber eine platonische Beziehung möchten."

Ihr Umfeld habe bisher vor allem positiv auf ihre Ausrichtung reagiert. "Einige glauben jedoch, dass ich einfach nur etwas Besonderes sein möchte. Besonders aus der LGBT-Community fühle ich mich von vielen nicht ernst genommen. Ich hätte mich angeblich bloß noch nicht entschieden," sagt Lisbeth. Die angeblich so offene Gemeinschaft zeigt sich in dieser Hinsicht doch eher konservativ.

"Wo fangen geschlechtliche Grenzen an und wo hören sie auf?", fragt sich die 28-Jährige. Eine pansexuelle Gesellschaft würde ihrer Meinung nach einiges einfacher und unkomplizierter machen – vor allem für Menschen, die nicht cissexuell sind. Pansexualität bedeutet auch, Menschen jeden biologischen und sozialen Geschlechts gleich zu behandeln und alle Schubladen zu respektieren. Davon gibt es eine Menge:

  • Als Cis-Menschen bezeichnet man alle, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, mit dem sie geboren wurden.
  • Bei Transsexuellen ist das Gegenteil der Fall: Sie haben das Gefühl, im falschen Körper geboren zu sein.
  • Intersexuelle Menschen weisen Geschlechtsmerkmale von beiden Geschlechtern auf und sind biologisch nicht eindeutig als Mann oder Frau einzuordnen.
  • Genderfluide Menschen wechseln ihre geschlechtliche Identität.
  • Neutrois streben geschlechtliche Neutralität an.
  • Agender sind geschlechtlos.
  • Nur weil jemand mit einem biologisch gleichgeschlechtlichen Menschen Sex hat, ist diese Person nicht zwingend gleich homosexuell. Die Bezeichnung MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) oder FSM/WSW (Frauen, die Sex mit Frauen haben) dient als neutrale Bezeichnung für gleichgeschlechtlichen Sex.
  • Androgyne Menschen vereinigen weibliche und männliche Merkmale

Diese gesellschaftlichen Schubladen empfindet Lisbeth als kompliziert. Am liebsten würde sie sie auflösen und einfach Menschen lieben lassen, wen sie wollen, ohne komplizierte Begrifflichkeiten. Die Frage der Pansexualität ist: Braucht Lisbeth sich zu entscheiden? Brauchen wir alle die Bezeichnungen und Schubladen überhaupt? Gleichzeitig sind es genau die Kategorisierungen, die ihr geholfen haben, ihre eigene Sexualität besser zu verstehen: "Als ich von Pansexualität erfuhr, habe ich mich plötzlich nicht mehr allein gefühlt. Mir wurde klar, dass es anderen auch so geht", sagt sie.