"Parität erscheint mir logisch", sagt Angela Merkel in einem aktuellen Interview. Was die Bundeskanzlerin logisch findet, ist noch lange nicht Alltag in der bundesdeutschen Politik. Im Bundestag sitzen ein Drittel Frauen, in den Landesparlamenten gibt es den gleichen Schnitt. Nun will Brandenburg Vorreiterin werden und eine Quote einführen. Per Gesetz sollen alle Parteien verpflichtet werden, ihre Landeslisten zur Wahl zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen zu besetzen. Die SPD, die Linke und die Grünen sind dafür. Kommende Woche wird im Landesparlament weiter um die gesetzliche Quotierung diskutiert. In Europa haben bislang Frankreich und Belgien eine gesetzliche Quote für Kandidat*innen.

Wie sehen junge, politisch engagierte Menschen in Brandenburg das Paritätsgesetz?

Rica Eller, Vorsitzende der Jusos Brandenburg, 24 Jahre

ze.tt: Rica, deine Partei unterstützt die Initiative auf Parität im Landtag. Warum?

Rica Eller: In den Parlamenten sitzen immer noch deutlich mehr Männer als Frauen. Beim Paritätsgesetz geht es nicht darum, den Wähler*innen zu sagen, dass sie einen Mann und eine Frau wählen sollen. Es geht darum, das Bild von Frauen über Politik positiv zu verändern und ihnen deutlich zu zeigen, dass ihr Engagement erwünscht ist, auch wenn die Bilder bisher häufig ältere weiße Männer zeigen.

Politik ist einer der Berufe, die am familien- und soziallebenunfreundlichsten sind. Wochenendarbeit, Nachtsitzungen, 24/7-Erreichbarkeit und öffentliche Beschimpfungen, oft über Social Media. Hier kann noch viel für Frauen getan werden, allein die öffentliche Akzeptanz, ein Kind auch mal mitzunehmen ins Parlament oder nicht real anwesend sein zu müssen, sondern per Videokonferenz dazugeschaltet zu sein.

Was muss außer der Parität im Landtag noch getan werden, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen?

Eine Menge. Auch wenn viele Männer heute bei Erziehung und im Haushalt mitarbeiten, sind es meist die Frauen, die in Teilzeit arbeiten gehen. Deshalb ist das von der SPD in der GroKo durchgesetzte Rückkehrrecht zur Vollzeit so wichtig. Noch besser wäre aber eine Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit für alle bei vollem Lohnausgleich. Die 40 Stunden-Woche ist überholt. Besonders für Frauen würde das Chancen bringen.

Auch die kostenlose Kita ist nicht nur ein bildungspolitisches Ziel. Für viele Frauen lohnt es sich finanziell kaum, arbeiten zu gehen. In manchen schlecht bezahlten und überlasteten Berufsgruppen, zum Beispiel in der Pflege, sind überproportional viele Frauen tätig. Solche Berufe müssen endlich besser bezahlt und die Altersvorsorge gestärkt werden.

Matti Karstedt, Landesvorsitzender der Jungen Liberalen in Brandenburg, 22 Jahre

ze.tt: Matti, du hältst eine gesetzliche Frauenquote für politische Wahlen für verfassungswidrig. Inwiefern?

Matti Karstedt: Für eine Verfassungswidrigkeit des Paritätsgesetzes sprechen aus meiner Sicht mehrere Argumente, so etwa ein Konflikt mit unseren Wahlgrundsätzen. Sowohl die Abgeordneten des Deutschen Bundestags als auch die Abgeordneten des brandenburgischen Landtags müssen in allgemeiner, freier, gleicher, geheimer und unmittelbarer Wahl bestimmt werden. Wenn der Gesetzgeber die Wählbarkeit von Menschen von ihrem Geschlecht abhängig macht, wird die aktive Wahlrechtsgleichheit der Wählerinnen und Wählern beschnitten. Der Staat sortiert die Kandidierenden aufgrund von äußeren Merkmalen schon einmal vor – ein höchst bedenklicher Vorgang.

Ein Paritätsgesetz stellt zudem einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Programm-, Organisations- und Wahlvorschlagsfreiheit der Parteien und Wählergruppen dar. Der freiheitliche Geist unseres Grundgesetzes will schließlich ganz unterschiedliche Arten von Parteien zulassen: Rechte, erzkonservative Parteien des Patriarchats sind demnach genauso legitim wie linke, queerfeministische Pussy-Riot-Parteien. Das ist gelebte Demokratie, das muss man aushalten und das darf sich auch im Personaltableau der Parteien zeigen. Eine einfache 50/50-Schablone greift da viel zu kurz.

Welche Ideen hast du, um ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Landtag zu erreichen?

Die Parteien müssen zu der Erkenntnis kommen, dass Gleichberechtigung sich nicht gesetzlich verordnen lässt, sondern eine Frage der Kultur ist. Wenn sich der Ortsverband der Partei spätabends zum Stammtisch in der Gaststätte zum rostigen Eber trifft, dann ist das eben kein attraktives Format für Frauen - ganz egal ob mit Quote oder ohne. Wir müssen in der Politik zudem weg von der Präsenzkultur kommen und Möglichkeiten der digitalen und dezentralen Beteiligung fördern, auch eine Kinderbetreuung auf Parteitagen sollte zum Standard gehören.

Als Junge Liberale haben wir vor kurzem ein Maßnahmenpaket beschlossen, das unter anderem auch eine Evaluierung unserer Außenwirkung und Öffentlichkeitsarbeit beinhaltet. Wir sensibilisieren Funktionsträgerinnen und Funktionsträger für Sexismus und Diskriminierung, haben mittlerweile aber auch Ombudspersonen geschaffen, an die man sich vertrauensvoll wenden kann, wenn man sich doch mal belästigt fühlt. Die Freien Demokraten haben im vergangenen Jahr eine Arbeitsgruppe Diversity geschaffen, als Junge Liberale Brandenburg werden wir in diesem Jahr eine Diversity-Beauftragte ernennen. Gleichberechtigung erfordert eben mehr als eine einfache Gesetzesänderung.

Gleichberechtigung ist eine Frage der Kultur.
Matti Karstedt

Isabelle Vandré, Mitglied im Brandenburger Landtag für Die Linke, 29 Jahre

ze.tt: Isabelle, deine Partei setzt sich für Parität als Gesetz ein – warum?

Isabelle Vandré: Genau 100 Jahre nach der erkämpften Einführung des

Frauenwahlrechtes müssen wir feststellen, dass wir in Deutschland weit davon entfernt sind, dass Frauen in allen politischen Bereichen Gleichberechtigung erfahren. Da lohnt sich ein Blick auf die deutschen Innenminister, es sind 16 Männer. Der Anteil von 30 Prozent weiblichen Abgeordneten im Bundestag und 36,4 Prozent im Brandenburger Landtag verdeutlicht, dass wir nicht einfach darauf hoffen können, dass Frauen schon irgendwie Berücksichtigung finden bei den Wahlaufstellungen der Parteien. Wenn wir Gleichberechtigung wollen, dann müssen wir uns selbst dazu verpflichten und aktiv mit bisherigen Denk - und Handlungsstrukturen brechen.

Was muss außer der Parität im Landtag noch getan werden, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen?

Frauen bekommen nach wie vor 20 Prozent weniger Lohn für die gleiche Arbeit, die #metoo-Bewegung zeigt, dass wir ein massives gesellschaftliches Problem mit sexueller Übergriffigkeit haben und die Care Arbeit wird nach wie vor insbesondere von Frauen verrichtet. Die Aufforderung an Männer, mehr im Haushalt zu helfen, offenbart, dass das Problem noch nicht von allen verstanden wurde. Kindererziehung und Haushalt, das ist nichts, wozu sich Männer von Zeit zu Zeit erbarmen sollten, sondern schlicht Arbeit, die anerkannt und von allen gleichberechtigt organisiert werden muss.

Warum gibt es so wenig junge Frauen, die sich politisch engagieren wollen?

Es gibt nicht zu wenig Frauen, die sich politisch engagieren. Die Stadtteilnetzwerke und Geflüchteteninitiativen werden maßgeblich von jungen, engagierten Frauen organisiert, die voll und ganz für das einstehen, was sie tun. Der aktuelle Schüler*innenstreik gegen den Klimawandel geht zurück auf das Engagement der 15-jährigen Schülerin Greta Thunberg. Die Frage ist doch, warum diese jungen, engagierten Frauen letztlich nicht in den Parlamenten ankommen. Ich glaube, das liegt an den starren Parteiprozederen und ihren verfestigten Klüngelstrukturen. Ein Paritätsgesetz kann eine Möglichkeit sein, das aufzubrechen.

Anna Lüdcke, stellvertretende Landesvorsitzende der Jungen Union Brandenburg, 23 Jahre

ze.tt: Anna, Angela Merkel hält Parität für "logisch", eure Partei aber eher nicht so. Wie stehst du zur Parität?

Anna Lüdcke: Parität - ja! Bei der gesetzlich verpflichtenden Quotierung der Landeslisten habe ich so meine Bauchschmerzen. Einerseits untergräbt sie bedingungslos die basisdemokratische Entscheidung der Parteimitglieder. Andererseits ist sie bei der aktuellen Entwicklung nur ein stumpfes Schwert. Betrachtet man zum Beispiel die Ergebnisse der CDU bei den letzten Landtagswahlen bundesweit, wird deutlich, dass die Bedeutung der Wahllisten sinkt. Die Sitze werden fast ausschließlich über Direktmandate besetzt. Der erste Schritt vor einer Verpflichtung wäre, meiner Meinung nach, die Schaffung von Anreizsystemen, wie Frankreich es macht.

Was muss außer der Parität im Landtag noch getan werden, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen?

Wir müssen Frauen bestärken und auf eine bis jetzt noch männerdominierte Politik vorbereiten. Durch Coaching, Mentoring, Seminarangebote von Parteien selbst, aber auch von Stiftungen. Vielleicht auch mal ein parteiübergreifendes Frauen-Empowerment-Netzwerk?

Was hindert junge Frauen daran, sich politisch zu engagieren?

Veraltete, zum Teil informelle Parteigrundsätze und -strukturen: Warum nicht mal Vorstandssitzungen am Samstagvormittag stattfinden lassen mit Kinderbetreuung? Oder Digitalisierung von internen Wahlgängen statt Stimmzählkommissionen.

Ricarda Budke, Sprecherin Grüne Jugend Brandenburg, 19 Jahre

ze.tt: Ricarda, deine Partei ist für das Paritätsgesetz. Warum?

Ricarda Budke: Frauen sind in der Politik immer noch unterrepräsentiert – obwohl wir die Hälfte der Bevölkerung ausmachen! Allerdings sieht man, dass Parteien, die sich die Selbstverpflichtung gegeben haben, mindestens die Hälfte der Positionen mit Frauen zu besetzen, damit Erfolg haben: Für die Grünen sitzen im Brandenburger Landtag drei Frauen und drei Männer. Nur leider machen das nicht alle Parteien, die CDU hat beispielsweise nur fünf Frauen, dafür aber 16 Männer in ihrer Fraktion. Ich glaube der CDU nicht, dass sie nicht genug kompetente Frauen in ihrer Partei hat – und wenn das tatsächlich so ist, dann sollten die sich mal Gedanken machen, wieso sich gute Frauen anscheinend nicht für die CDU interessieren.

Was muss außer der Parität im Landtag noch getan werden, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen?

Wir brauchen verpflichtende Quoten für viel mehr Spitzenpositionen, auch in der Wirtschaft. Weitere Probleme treffen alle gesellschaftlichen Schichten, so sind Frauen unabhängig von ihrer Position viel stärker von Gewalt betroffen als Männer. Alleinerziehende Mutter zu sein ist eins der größten Armutsrisiken. Dagegen müssen wir kämpfen.

Solang es noch diese Unterschiede gibt, braucht es mehr Angebote, gezielt für Frauen. Kindergrundsicherung, Kita-Plätze, das sind alles Themen, von denen leider immer noch vor allem Frauen profitieren und abhängig sind. Mir persönlich ist sehr wichtig, dass Frauen, die von Gewalt betroffen sind, mehr Unterstützung erhalten.

Wir brauchen verpflichtende Quoten für viel mehr Spitzenpositionen, auch in der Wirtschaft.
Ricarda Budke

Warum gibt es so wenig junge Frauen, die sich politisch engagieren wollen?

In der Grünen Jugend und in anderen feministischen Organisationen sind es gar nicht so wenige – und es werden immer mehr! Bei der Grünen Jugend Brandenburg sind mehr Frauen als Männer Mitglied. Gerade in konservativeren Parteien sind aber oft viele alte Männer tonangebend. Und es gibt – selbst bei uns Bündnisgrünen – leider immer noch sexistische Äußerungen. Situationen, in denen deutlich wird, dass hier ein Mann anders, besser behandelt worden wäre als eine Frau.

Ich merke auch manchmal, dass meine männlichen Mitstreiter ernster genommen werden und mehr Aufmerksamkeit erhalten als ich, selbst wenn ich mich bei einem Thema besser auskenne. Das ist oft deprimierend, wird aber nur durch eine Sache besser: viele coole Frauen, die gegen Männerklüngel kämpfen und Verantwortung übernehmen – und auch durch eine Quote endlich die Chance dazu kriegen.Transparenzhinweis: Zur Recherche haben wir alle Jugendorganisationen der Parteien des Brandenburger Landtags angefragt. Von der Jungen Alternative erhielten wir bis zur Veröffentlichung des Artikels keine Rückmeldung.