In der Serie Youthhood porträtieren wir junge Menschen zwischen 17 und 20 Jahren. Sie erzählen bei ze.tt, wovor sie Angst haben, wie ihr erster Kuss war, wie sie arbeiten wollen und was für sie Familie bedeutet. Sie alle sind als Digital Natives groß geworden und leben in urbanen Räumen, in denen die Mietpreise stetig steigen. Wir wollen wissen, wie es ihnen geht.

Steckbrief

Name: Pauline Daemgen

Alter: 17
Schule: Leibnizgymnasium, BerlinGeburtsort: BerlinWohnort: Berlin, Kreuzberg
Gender: Weiblich

ze.tt: Pauline, wie bist du aufgewachsen?

Pauline: Ich war zwei Jahre alt, als sich meine Eltern getrennt haben. Sie wohnten dann beide in Kreuzkölln und ich bin immer zwischen den Wohnungen hin- und hergependelt. Noch heute leben sie in der gleichen Straße, aber seit ich 16 bin, wohne ich ausschließlich mit meiner Mutter zusammen. Abgesehen von einer Patchwork-Schwester, der Tochter der damaligen Freundin meines Vaters, bin ich Einzelkind geblieben.

In welchen Momenten legst du dein Handy beiseite?

Wenn ich schlafe, ist mein Handy auf Flugmodus gestellt und der Wecker eingeschaltet. Früher habe ich auch immer das Handy beiseite gelegt, wenn ich mit anderen Leuten gesprochen habe. Seit ich mich allerdings bei Fridays For Future (FFF) engagiere, ist es schwer, jemals wirklich unerreichbar zu sein, da immer irgendjemand eine Frage hat oder Dinge geklärt werden müssen.

Gegen Shitstorms wird man mit der Zeit relativ immun.
Pauline, 17

Seit Juli 2019 bin ich eine von drei FFF-Delegierten für die Ortsgruppe Berlin. Ich arbeite als Kontaktpunkt zwischen der FFF-Bundesebene und FFF Berlin. Meine Aufgaben sind unter anderem die Organisation von Großstreiks, Presseanfragen und die Betreuung des Social-Media-Bereichs. Hier haben wir drei Leute pro Kanal (also drei für Facebook, drei für Twitter, drei für Instagram). Ich arbeite im Facebook-Team und bin dabei für Inhalte, das Erstellen von Veranstaltungen und Beantworten von Kommentaren verantwortlich. Gegen Shitstorms wird man mit der Zeit relativ immun.

Wie siehst du die Welt 2050?

Wenn wir so weitermachen wie jetzt, wird 2050 eine Welt mit Hunderttausenden Klimaflüchtlingen sein. Wenn wir weiterhin unsere Energieversorgung durch Kohlekraft beziehen und Menschen ihr Verhalten zum Beispiel in Bezug auf Ernährung (Fleischkonsum, Agrarindustrie) und Verkehr (fliegen und Auto fahren) nicht ändern.

Wir werden bis 2050 alle Korallenriffe der Welt verlieren und es wird komplett eisfreie Sommer in der Antarktis geben. Das würde eine Zerstörung des dortigen Ökosystems bedeuten. Es wird eine Welt mit deutlich stärkeren tropischen Wirbelstürmen, mehr Starkregen und Extremwetterlagen sein. Das ließe sich noch abwenden, wenn unsere Regierung endlich auf Bewegungen, die sich für den Klimaschutz stark machen – wie Fridays For Future, Ende Gelände, Extinction Rebellion –, und die Wissenschaft hören würde.  Außerdem müsste der Kohleausstieg 2030 und nicht erst 2038 stattfinden. Eine CO2-Steuer von 180 Euro anstelle einer CO2-Bepreisung von 10 Euro müsste eingeführt werden und die Pendlerpauschale dürfte auch nicht erhöht werden.

Ab wann sind Menschen für dich alt?

Menschen sind für mich alt, wenn sie anfangen, sich so zu benehmen, als wären sie es. Wenn sie sich zum Beispiel über Kleinigkeiten wie "der Bus oder die Bahn kommt später", beschweren. Ich denke, Junge stecken solche Kleinigkeiten eher weg. Mein Opa zum Beispiel ist zwar 82 Jahre alt, aber sein inneres Kind ist ihm definitiv erhalten geblieben. Ich kenne aber auch 30-Jährige, die schon akzeptiert haben, jetzt offiziell alt zu sein. Die beklagen sich ständig über ihr Alter und erzählen Geschichten so, als wären sie Teil von beiden Weltkriegen gewesen.

Wovor hast du Angst?

Ich habe Angst vor dem Klimawandel. Diese Angst ist ein sehr beklemmendes und hilfloses Gefühl, weil die Politik überhaupt nicht zuhört. Ich habe Angst davor, dass die Regierung versagt und die Menschheit weiter unseren Planeten zerstört. Das Schlimme ist, dass wir der Politik total ausgeliefert und abhängig von deren Entscheidungen sind. Es wird sicherlich Überlebende der Klimakatastrophe geben. Die werden, so gut es dann noch geht, zurückrudern, aus den Fehlern lernen und die Dinge dann anders machen.

Als Mädchen in Berlin in dunklen Straßen zu laufen ist unheimlich.
Pauline, 17

Ich habe Angst vor meiner Zukunft. Angst, Kinder in diese Welt zu setzen. Und davon abgesehen, habe ich auch normale Teenager-Ängste: Angst vorm Verlassenwerden. Als ich 14 war, hatte meine Mutter Krebs, doch zum Glück hat sie überlebt. Ich habe Angst vor der Dunkelheit: Als Mädchen in Berlin in dunklen Straßen zu laufen, ist unheimlich. Als Kind hatte ich dieses unheimliche Gefühl auch in meinem Zimmer. Dass eine männliche Person reinkommt und mich fragt, wo meine Eltern sind und diese dann töten würde. Ich habe Angst davor, in der Schule zu versagen, schlechte Noten zu bekommen und dann den Job nicht machen zu können, den ich machen möchte.

Was gibt dir Hoffnung?

Ich bin dankbar für alle Bewegungen, die sich für Klimaschutz einsetzen: Extinction Rebellion, Ende Gelände und so weiter. Ich bin dankbar zu sehen, wie sich weltweit Menschen für etwas und für andere einsetzen. Und das besonders in einer Zeit, in der die Gesellschaft sehr egoistisch geworden ist, in der es zum Teil nur noch um Leistung geht. 

Wie gehst du mit Einsamkeit um?

Dadurch, dass wir mit Social Media aufgewachsen sind, vergleichen wir uns schnell mit anderen. Für Selbstliebe muss man aber gar nichts Bestimmtes können oder auf eine bestimmte Weise aussehen. Ich versuche, mich selbst zu lieben. Auch, wenn es manchmal unfassbar schwer ist, ist es eigentlich das Einzige, was man braucht.

Wie möchtest du arbeiten?

Das kommt darauf an, was in den nächsten zwei Jahren passiert, bis zu meinem Abschluss und zur nächsten Bundestagswahl. Möglicherweise wird meine Generation gar keine andere Wahl haben, als in die Politik, Industrie oder Wirtschaft zu gehen, wo man an Veränderungen mitarbeiten kann. Davon abgesehen, brauche ich auf jeden Fall Bewegung und kann nicht nur den ganzen Tag im Büro sitzen. Ich würde gerne etwas machen, bei dem ich aktiv Menschen helfen kann und gleichzeitig Spaß an der Arbeit habe. Solange das gegeben ist, spielen auch Bezahlung und Überstunden nur eine kleinere Rolle.

Mein Traum wäre, meine Arbeit so sehr zu lieben, dass ich trotz Feierabend gar nicht aufhören möchte. Ich finde Medien und Radiomachen interessant. Oder auch was Soziales, zum Beispiel Jugendliche betreuen. 

Was setzt dich unter Druck?

Der Klimawandel und 

Druck durch Sexismus oder Homophobie sind Probleme, von denen ich persönlich ständig betroffen bin. Alle zwei Tage höre ich dumme Kommentare, wie "Na, Süße!" oder Hinterhergepfeife auf der Straße, von Männern zwischen 20 und 40. Wenn es auf der Straße dunkel ist, ignoriere ich diese und laufe einfach weiter. In meinem persönlichen Umfeld sage ich etwas dazu, zum Beispiel bei Gleichaltrigen, die zum Teil immer noch denken, dass Frauen in die Küche gehören.

Und dann frage ich mich auch: "Wer bin ich eigentlich?", "Was ist der Sinn des Lebens?", "Bin ich gut genug?" und "Was mache ich nach der Schule?". 

Ich komme mit diesem

 Druck schlecht klar. Ich lenke mich dann ab, sodass ich nicht darüber nachdenken muss. Ich gehe Schlittschuh laufen, wenn ich den Kopf frei kriegen möchte.

Ich gehe Schlittschuh laufen, wenn ich den Kopf freikriegen möchte.
Pauline, 17

Wie war dein erster Kuss?

Es war auf meiner Geburtstagsfeier, abends in meinem Zimmer. Ich war gerade zehn Jahre alt geworden und unsterblich verliebt in ihn, von der ersten bis zur achten Klasse. Es war eine Kinderfreundschaft. Leider hat sich später herausgestellt, dass er nicht ganz so verliebt in mich war, sondern in meine beste Freundin. Aus damaliger Sicht hat mir das mein Herz gebrochen, doch an der Freundschaft zu meiner besten Freundin hatte sich nichts verändert. Später als er älter war, hat er angefangen, ganz schön viel zu kiffen, und ist ein anderer Mensch geworden. Wir haben mittlerweile keinen Kontakt mehr.

Was bedeutet für dich Familie?

Familie ist für mich eine Gruppe von Menschen, bei denen ich mich geborgen fühle und die mich bedingungslos lieben. Natürlich habe ich meine leibliche Familie und liebe sie sehr, aber mindestens genauso sehr sind einige meiner Freunde oder die Leute bei Fridays ein Teil meiner Familie geworden.

In welchen Momenten fühlst du dich nicht ernst genommen?

Zum Beispiel am 20.9.19. Fridays For Future  hatte in Deutschland 1,4 Millionen Menschen auf die Straße gebracht, die alle für mehr Klimaschutz kämpfen. Trotzdem bringt dann unsere Regierung dieses lächerliche Klimapäckchen raus und stuft es ein paar Wochen später noch weiter runter. Es fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Wir haben alle die letzten zehn Monate unseres Lebens da reingesteckt. Jeden Tag, jede Minute. Keiner von uns hatte noch wirklich Kraft – wir sind eigentlich Schüler. Wir sollten uns gar nicht um sowas Gedanken machen müssen. Diese Politiker entscheiden dabei über meine Zukunft.

Außerdem auf ze.tt: Um die 250.000 Teilnehmende: So war der Klimastreik in Berlin

Wann hast du dich das letzte Mal so richtig glücklich gefühlt?

Das war ebenfalls am 20.9.19. Gegen Ende der Demo waren wir schon total erschöpft und alles tat weh, aber auf der Zielgeraden, mit Blick aufs Brandenburger Tor, kam die Motivation wieder und wir haben noch zu Culcha Candela, die auf der Bühne am Brandenburger Tor gespielt haben, getanzt und eine Welle durch den Demozug gehen lassen. Und dann kam Quang, einer unserer Organisatoren, auf die Bühne und verkündete die Zahl der Teilnehmenden. Wir lagen uns in den Armen und weinten. Es war einfach unfassbar zu sehen, wie viel wir als Jugendliche bewegen können. 

Teil 1: Sebastian, 19 – "Manchmal fühle ich mich einsam, wenn ich auf einer Party bin"

Teil 2: Feline, 17 – "Über meinen ersten Kuss habe ich mir viel zu viele Gedanken gemacht"
Teil 3: Evan, 18 – "Ich habe das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn ich nicht available bin"
Teil 5: Felix, 20 – "Ich bin mal im Kleid zu einer Familienfeier gegangen und war barfuß in der Schule"
Teil 6: Nesrien, 19 – "Mein größter Traum ist es, eine eigene Strandbar im Süden zu eröffnen"
Teil 7: Mattis, 17 – "Ich wollte nie ein Scheidungskind sein"
Teil 8: Lilli, 19 – "Ich finde es schlimm, dass in Berlin so viel Kiez zerstört wird"