An einem lauen Augustabend saß ich mit Freund*innen in unserem Hinterhof. Wir bepackten den Grill mit Steaks und Gemüse und tranken Wein. Was nach einer ganz normalen Grillparty aussah, war etwas Größeres: Wir machten Politik. Für ein paar Stunden bildeten wir ein sogenanntes HausParlament, wir waren Teil eines Projekts von Pulse of Europe (PoE).

Die noch junge pro-europäische Organisation stellte sich eine alte Frage: Wie kann man sich als Bürger*in direkter an der Entstehung von Gesetzen beteiligen? Alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen, scheint nicht wirklich ausreichend. Mit der Wahl einer politischen Partei kann man selten Einfluss auf spezifische Gesetze nehmen. Also muss die Bürgerbeteiligung gestärkt werden.

Die Idee der HausParlamente zielt darauf ab, uns Bürger*innen zum Diskutieren zu bewegen und anschließend unsere Meinungen zu formulieren. Mit Freund*innen, Bekannten, Fremden. Wo wir wollen, zum Beispiel am Küchentisch oder eben im Hinterhof am Grill.

Die erste Runde läuft noch bis zum 24. September. Bis zur Europawahl im nächsten Frühjahr sind noch zwei bis drei weitere Runden zu unterschiedlichen Themen geplant. Die Ergebnisse will PoE an den Staatsminister des Auswärtigen Amtes, Michael Roth (SPD), schicken.

Fünf Fragen und zwei Stunden Zeit zu diskutieren

Ich wollte wissen, wie und ob das PoE-Projekt funktioniert. Wie würde so ein HausParlament wohl organisiert? Wie liefe eine Diskussion ab? Und ließe sich mit den Ergebnissen tatsächlich etwas anfangen?

Ich meldete mich auf der Webseite an und bekam das benötigte Material per E-Mail. Dabei ist an alles gedacht, von einführendem Informationsmaterial inklusive erster Argumente zum Thema, bis hin zu den Teilnehmer*innenbögen für die Diskutierenden, einem Antwortbogen und einem Moderationsleitfaden.

Schließlich trafen wir uns am Grill im Hinterhof: mein Partner Austin (45), sein alter Freund Reuben (45) und dessen Partnerin Imke (29), beide sind politisch interessiert und verorten sich links des politischen Spektrums. Außerdem die ehemalige Bundestagsmitarbeiterin Claudia* (36 Jahre), mit der ich schon viele Diskussionen geführt habe und die einst für die CDU arbeitete, sowie Thorsten (41 Jahre), der verzweifelte Idealist, der gern an das Gute im Menschen glauben will, aber eher ernüchtert auf politisches Treiben schaut. Also eine bunte Truppe mit unterschiedlichen Perspektiven auf Politik.

Mehrere gefüllte Gläser und Teller später teilte ich die Teilnehmer*innenbögen und Stifte aus. Vier Unterfragen sollten uns zu der übergeordneten Frage führen: "Soll die EU ihre außen- und sicherheitspolitische Ausrichtung aufgrund der America-First-Politik der Trump-Administration grundlegend neu gestalten?".

Zwei Stunden sollten wir für uns für die Beantwortung der insgesamt fünf Fragen nehmen, empfahl PoE in der Anleitung für unser HausParlament. Anschließend sollten wir unsere Antworten auf Bögen einordnen. Auf einer Skala von eins (auf gar keinen Fall) bis zehn (ja, unbedingt). Am Ende würden alle Stimmen auf den Bögen zusammengezählt und durch die Anzahl der Anwesenden geteilt werden. Das Durchschnittsergebnis des HausParlaments würde schließlich zurück an PoE gehen.

Ich nahm die Rolle der Moderatorin und Protokollantin ein. Meine Aufgaben: den Diskussionsverlauf stringent halten und die wichtigsten Argumente notieren, damit wir uns nicht verzettelten.

Wie gut funktioniert das Konzept?

Wir stürzten uns auf die Fragen. Soll es eine*n gemeinsamen europäischen Außenminister*in geben? Unbedingt! "Wieso soll man nicht mit einer Stimme gegen den Irrsinn der Trump-Administration angehen?", meinten Reuben und Austin. "Aber wie könnte so eine gemeinsame Außenpolitik zustande kommen?", überlegte Claudia, die viel strukturelles Wissen in die Diskussion brachte. "Und wie könnte sie realpolitisch umgesetzt werden?"

Wolle man handlungsfähig sein, brauche man einen mehrheitsfähigen Konsens, argumentierte Austin. "Und der muss dann auch mithilfe eines*r europäischen Außenministers*in nach Außen hin vertreten werden. Das wäre nur konsequent." Reuben ergänzte: "Und wenn es einen Mehrheitsbeschluss unter den 27 Mitgliedsstaaten gäbe, sollten diese auch gemeinsam eine europäische Außenpolitik vertreten können. Selbst wenn nicht alle Mitgliedstaaten geschlossen hinter dieser Ausrichtung stünden."

Abwägendes Nicken in der Runde. Wir kamen zu dem Ergebnis: "Wichtig ist, dass nur eine Mehrheit eine solche Außenpolitik gestalten kann."

Der Optimismus gewinnt

Nach zwei Stunden hatten wir in viele Richtungen diskutiert. Allzu detailliert konnten wir unser Ergebnisse allerdings nicht in den PoE-Bögen dokumentieren. Mit Ja oder Nein auf einer Skala von eins bis zehn zu antworten, wo die Fragen sehr offen gestellt werden, schien nicht ausreichend.

Spaß hat das HausParlament trotzdem gemacht und uns etwas Wichtiges gezeigt: Allen im Hinterhof war klar, dass wir in Zeiten des Umbruchs leben. Eine Zeit, die neue Ideen und Veränderungen möglich machen kann. Einen kleinen Beitrag leistet diese Initiative von PoE dabei ganz sicher, denn sie regt zur Diskussion an und führt im besten Fall dazu, sich näher mit politischen Themen auseinanderzusetzen. Das gemeinsame Beisammensein stärkte uns.

Wir haben außerdem erkannt, wie weit Idealvorstellungen und Realpolitik auseinander liegen und wie schwierig es sein kann, eine klare Meinung zu komplexen Fragen zu entwickeln.

Bleibt zu hoffen, dass sich die verantwortlichen Politiker*innen entschließen, die Ergebnisse der bisher 448 registrierten Hausparlamente aufzunehmen. Vor allem aber wünscht man sich, dass PoE es gelingt, nach der Europawahl die HausParlamente als bleibendes Instrument der Bürgerberteiligung europaweit einzuführen.