Als der SPD-Parteitag am Sonntagnachmittag gerade seinen Höhepunkt erreichte und Groko-Gegner*innen und Befürworter*innen sich die Seele aus dem Leib argumentierten, störte ein Tweet die gehaltvolle Debatte. Der Chefredakteur der Welt am Sonntag äußerte sich auf Twitter zum Wortbeitrag der Rednerin Annika Klose. Der Tweet ist ein gutes Beispiel dafür, wie weit verbreitet struktureller, sprachlicher Sexismus gegenüber Frauen ist:

Die Formulierung "aufgeregtes Mädchen" lässt an eine Fünfjährige denken, die mit Tränen in den Augen zur Schnappatmung übergeht, weil ihr das Eis von der Waffel gefallen ist. Das "aufgeregte Mädchen", von dem in diesem Fall die Rede ist, heißt Annika Klose. Sie ist seit 2015 Landesvorsitzende der Berliner Jusos und hat damit den Vorsitz der größten politischen Jugendorganisation der Hauptstadt inne. Neben ihrem politischen Engagement studiert die 25-Jährige im Master Politik- und Sozialwissenschaften. Auf dem Parteitag am Sonntag erklärte sie vor 600 Delegierten, dem SPD-Spitzenpersonal und unzähligen Pressevertreter*innen, warum sie gegen eine große Koalition von SPD und Union ist.

Annika Klose ist nicht die erste Frau in der Politik, die gerne mit Attributen geschmückt wird, welche ihre Kompetenz absichtlich oder unabsichtlich untergraben. Angela Merkel wurde zu Beginn ihrer Karriere häufig als "Kohls Mädchen" bezeichnet. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl hatte Merkels politisches Vorankommen stets gefördert. Später wurde sie dann von "Kohls Mädchen" zur "Mutti der Nation".

Eine Politikerin Mutti zu nennen, spricht ihr Kompetenz ab

Ganz abgesehen davon, ob man Mutti mit einer tütteligen, Kittelschürze tragenden Frau am Herd oder mit einer Rüge und Lob verteilenden, mächtigen Matriarchin assoziiert: Man denkt bei dem Wort Mutti nicht an das Türkei-Abkommen, nicht an Koalitionsverhandlungen, nicht an das Treffen der G-20-Staatschef*innen oder an Europapolitik. Genau daran aber sollte man denken, wenn man von einer Politikerin spricht oder schreibt.

Die Wörter Mädchen und Mutti sind keineswegs beleidigend. Eine Mutti ist im familiären Kontext durchaus angebracht, wenn sich die Familie auf diese Verniedlichungen einigt. Auch Mädchen ist ein wunderbares Wort – für Kinder weiblichen Geschlechts und zur Bezeichnung Minderjähriger. Aber von Mutti und Mädchen zu sprechen, wenn es doch tatsächlich um Kanzlerinnen und Nachwuchspolitikerinnen geht, untergräbt schlicht die Kompetenz dieser Frauen. Die Wörter verharmlosen und unterschätzen die Arbeit, die diese Frauen tatsächlich leisten.

Weil Sprache maßgeblich unser Handeln beeinflusst, ist diese Wortwahl unangebracht

Wer jetzt argumentiert, dass auch Männer gerne mal Jungs genannt werden, spricht damit einerseits ein anderes Problem an, nämlich das von fehlendem Respekt gegenüber jüngeren Menschen im Generellen – missversteht andererseits, dass man die strukturelle Bedeutung, die solche falsch verwendeten Begriffe für Frauen haben, nicht ausklammern kann. In Deutschland verdienen Frauen immer noch 21 Prozent weniger als Männer. Angela Merkel ist die erste Frau und nicht der erste Mann an der politischen Spitze des Landes. So lange, bis die Gleichstellung der Geschlechter nicht umgesetzt wurde, ist es wichtig, sie zumindest durch einen neutralen Sprachgebrauch voranzutreiben.

Unsere Sprache beeinflusst maßgeblich unser Handeln. Das beweisen Sprach- und Kulturwissenschaftler*innen bereits seit dem 18. Jahrhundert. Wer von Politikerinnen als Mädchen und Muttis spricht, unterschätzt – ob bewusst oder unbewusst sei dahingestellt – die Art und Weise, wie Wörter unsere Gesellschaft prägen.

Wer Mutti sagt, denkt Mutti, wer Mädchen sagt, denkt Mädchen und alle Assoziationen wie minderjährig, jung, kindlich, niedlich, welche mit dem Wort einhergehen, gleich mit. In der Politik schaden solche falschen sprachlichen Verknüpfungen denjenigen, die mit dem Wort Frau doch ausreichend und zudem zutreffend bezeichnet wären, ohne dabei an Autorität einbüßen zu müssen. Wir sollten vermeiden, so nachlässig mit unseren Worten umzugehen.