ze.tt: Nishant, wie ist Pornographie überhaupt definiert?

Nishant Shah: Das ist eine der spannenden Sachen an Pornographie: Ihre Definition ist schwierig. In einem amerikanischen Gerichtsverfahren ist ein Richter mal etwa zu dem Schluss gekommen: "Du kannst nicht definieren, was Pornographie ist – aber

wenn ich sie sehe, erkenne ich sie." Was Pornographie auslöst, legt fest, ob es ein Porno ist oder nicht. Die Intention von Pornographie ist es in jedem Fall, zu provozieren und zu erregen – und das auf immer neue Arten. Es ist nämlich so: Sobald etwas als Porno definiert werden kann, kannst du dir sicher sein, dass es seinen pornographischen Wert verliert. Pornos werden uns schnell langweilig.

Sie dürften uns vor allem durch die Masse langweilig werden, die uns durch Seiten wie Youporn und Pornhub gratis zur Verfügung steht, oder?

Das liegt nicht nur an der Masse. Wenn wir davon ausgehen, dass Pornos uns immer wieder auf neue Art und Weise erregen sollen, dann bekommen sie auch in kleiner Menge eine gewisse Schablonenhaftigkeit und werden schnell langweilig.

"Der Porno war im Filmbereich das Testlabor für technologische Innovation."

Wie hält sich Pornographie dann überhaupt noch am Leben?

Pornographie kann nicht wie Hollywood sein, es kann nicht immer wieder die Boy-meets-Girl-Geschichte geben. Deshalb müssen Produzenten immer neue Locations, neue Körper, neue Stellungen und Filmstile finden. Historisch gesehen ist der Porno im Filmbereich tatsächlich so etwas wie das Testlabor für technologische Innovation gewesen: Es wurden verschiedene Kameraeinstellungen ausprobiert, mit der Nähe und Auflösung gespielt, was später vom Mainstream übernommen wurde.
Pornhub will sogar ins All reisen, um dort Sexfilme zu drehen. Abgesehen von solchen kuriosen Ideen – wie will sich Pornographie langfristig innovieren?

Was ich zurzeit beobachte ist, dass Pornographie überall stattfindet – in Kontexten, in denen wir sie gar nicht erwarten. Die Undefinierbarkeit ist gleichzeitig ihre Stärke. Schau dir zum Beispiel "Women eating on Tubes" an. Dabei handelte es sich ursprünglich um eine Facebook-Gruppe, in der Männer aus London Fotos von Frauen sammeln, die in der U-Bahn essen. Diese Fotos werden mit einer Art aus Begehren, Spott und Verurteilung konsumiert. Die Männer kommentieren, wie weit die Frauen ihre Münder öffnen, sie bewerten ihre Körper, wie sie ihre Hände halten, manche beschimpfen sie als Schlampen – das ist in seiner Natur pornographisch. Die Möglichkeit von digitaler Technologie, beinahe unsichtbar zu sein, macht es möglich, immer neue Bilder vom menschlichen Körper zu produzieren. Das sind keine Körper, die Pornographie darstellen sollen, sie sollen nicht sexuell sein. Aber auf die Weise, wie wir sie aufnehmen, werden sie in diesen Kontext gestellt.

"Alles, was wir tun, kann als pornographisch kontextualisiert werden."

So etwas erleben wir auch im Social Web mit der Diskussion über das Nippel-Verbot auf Facebook und Instagram.

Stimmt. Kim Kardashian weckt mit Bildern ein Begehren, weiß ihren Körper aber soweit zu verhüllen, dass Instagram die Bilder zulässt. Anders ist das mit stillenden Frauen: Facebook und Instagram löschten rigoros diese Bilder, weil die Netzwerke sie als sexuellen Content verstanden. Die Definition von Pornographie ist schwierig – und wir leben in einem Zeitalter, in dem wir durch Drohnen, Überwachungskameras, Webcams und Browser mehr gesehen werden denn je. Unsere Körper werden konstant von Zuschauern angesehen, über die wir keine Kontrolle haben. Das ist das neue pornographische Normal: Alles, was wir tun, kann als pornographisch kontextualisiert werden. Dieses Phänomen müssen wir künftig beobachten.
Versuchen wir dem Ganzen mal etwas Positives abzugewinnen: Trägt die Fülle an Pornographie in unterschiedlichen Ausprägungen dazu bei, dass unsere Gesellschaft liberaler wird?

Es werden zwar immer mehr unterschiedliche Körpertypen dargestellt und auch angesehen. Aber es ist fraglich, ob dadurch auch der Grad an Akzeptanz steigt. Denn gleichzeitig lässt sich beobachten, dass Pornographie nach wie vor altertümliche Rassenstereotype forciert. Schwarze bekommen im Porno häufig die Attribute von animalischer Wildheit zugeschrieben. Im 19. Jahrhundert wurde Sarah Baartman aus Südafrika nach England verschleppt, wo sie als "Hottentot Venus" in Museen und Zirkussen zur Schau gestellt wurde. Die Menschen konnten ihre großen Brüste und breiten Hüften anfassen. Von damals bis Grace Jones, Amerikas erstes schwarzes Fotomodel, löst der Körper einer schwarzen Frau immer noch auf die gleiche Art und Weise Faszination aus. Egal wie radikal und fortschrittlich Porno auch sein kann, er bedient auch immer wieder Stereotype von Maskulinität und Femininität, Misogynie, Beziehungen von Geschlechtern und Körpern.
Gibt es Porno-Produzenten, die aus dieser stereotypen Welt ausbrechen?

Ein Ansatz ist feministischer Porno. Dabei geht es nicht einfach um Pornographie, die "female friendly" ist, in der Frauen also nicht unterdrückt werden. Es geht dabei vielmehr um den eigenen Umgang mit dem Körper. Die indische Künstlerin Rupi Kaur hat Fotos ihrer Menstruation auf Instagram gestellt. Das war provokativ, aber auch als Auseinandersetzung mit dem Frauenkörper als Objekt der Begierde gedacht. Ein anderer Ansatz ist X-Ray-Porn, bei dem man nicht mehr erkennen kann, welche Geschlechter die Protagonisten haben. Aber solche Ansätze existieren eher im Kleinen. Sie werden den Mainstream kaum aufrütteln können.