Wir alle nutzen hin und wieder Pornografie: Die Erwachsenenfilmindustrie kann sich stets auf die Nachfrage ihrer Konsument*innen verlassen.

Diese Akzeptanz gilt jedoch nicht für deren Mitarbeiter*innen. Sie werden nach ihrer Karriere von der Mainstream-Welt entmündigt, beleidigt und gemieden. Wer mit Sex Geld verdient, ist für viele eine Schlampe beziehungsweise ein Fuckboy, dumm, geldgierig, psychisch krank, gefährlich oder einfach nur völlig daneben. Dass Darsteller*innen mehr sind als ihr Job, scheint die Wenigsten zu interessieren.

Erst ein Star, dann eine Außenseiterin

Ein gutes Beispiel für die Stigmatisierung ehemaliger Pornogrößen ist die US-Amerikanerin Bree Olson. Sie besuchte Vorbereitungskurse für ihr Medizinstudium, als sich ihr die Gelegenheit bot, in einem Porno mitzuspielen. Aus Neugier sagte sie zu und flog für einen Drehtag von Indiana nach Los Angeles.

Das Gehalt, das sie damit verdiente, ließ sie ihre Zukunftspläne noch einmal komplett überdenken. Spontan beschloss sie, ihr Studium auszusetzen und es als professionelle Porno-Darstellerin zu versuchen.

fünfhundert Filme drehte sie innerhalb von sechs Jahren. Da Freund*innen und Familie von Anfang an hinter ihrer Karriere standen, stellte sich für sie nie die Frage, ob ihr Leben nach dem Porno kompliziert werden könnte. Sie plante, später einfach ihr Studium wieder aufzunehmen.

Umso härter traf sie die Realität, nachdem sie ihr Karriere-Ende bekannt gegeben hatte. In einem Video für Real Women Real Stories sprach sie über das Leben nach dem Porno: "Wenn ich rausgehe, fühle ich mich, als würde ich Schlampe auf der Stirn stehen haben. […] Inzwischen bin ich an einen Punkt gekommen, an dem ich mein Haus für Tage oder Wochen nicht verlasse, weil ich das Gefühl habe, der Welt nicht entgegentreten zu können."

Sie berichtet davon, wie Menschen sie fallen ließen, sobald sie von ihrer Karriere erfuhren. Oder davon, dass fremde Menschen ihre Kinder von ihr wegziehen, als ob sie gemeingefährlich wäre. Wo immer sie hingeht, tuscheln Menschen über sie oder beleidigen sie sogar. Laut eigener Aussage würde Bree Olson ein Weg zurück immer noch offen stehen. Sie will jedoch nicht wieder in der Pornobranche anfangen: "Ich könnte heute zum Porno zurückgehen und 20.000 Dollar in der Woche verdienen, wenn ich wollte. Ich tue es nicht. Ich will einfach nicht noch mehr Fotos von mir im Internet."

Das Stigma der Porno-Branche

Wie Bree Olson geht es vielen, die eine erfolgreiche Karriere als Pornodarsteller*innen hinter sich haben. Wer in der Branche gefragt ist, wird von Fans bejubelt und mit Angeboten überhäuft. Wer versucht, in die Mainstream-Welt zurückzukehren, wird auf die Pornofilm-Vergangenheit reduziert und gemieden.

Und das ist nicht nur in den USA, dem Mutterland der großen Pornoproduktionen der Fall. Auch in Deutschland fällt es uns schwer, entspannt über Porno-Vergangenheiten zu sprechen.

Zum Beispiel, wenn es um die ehemalige Pornogröße Dolly Buster geht. Bereits 1997 beendete die Darstellerin eine zehnjährige Karriere vor der Kamera, um sich als Produzentin zu versuchen. Ab 2000 folgten Buchprojekte, eine Karriere als Malerin und DJane und eine aktive Beteiligung am Wahlkampf der FDP. All das ist jedoch vergessen, sobald ein Foto von ihr im Bikini auftaucht.

Ein Boulevardblatt fand erstaunlich harte Worte für ein vergleichsweise normales Foto: "Jetzt bitte einmal ganz stark sein. Denn dieses Foto ist nur etwas für die ganz Harten. Statt als seriöse Geschäftsfrau zeigt sich Dolly Buster plötzlich wieder so, wie wir sie kennen: halbnackt und in lasziver Pose."

Ja, und? Dolly Buster selbst hat sich nie für ihre Karriere oder Sexualität geschämt. Sie verlinkt erotische Produktionen auf ihrer Homepage genauso wie ihre Kunst und das von ihr eröffnete Restaurant Buster-Pasta. Geschäftsfrau und Pornostar – das muss sich doch nicht widersprechen.

Noch schlimmer ist es für ehemalige Darsteller*innen, die die Pornobranche lieber hinter sich lassen würden. Als zum Beispiel die Schauspielerin Sibel Kekilli 2004 einen goldenen Bären für ihre Rolle in Gegen die Wand gewann, konnte es einer überregionalen Zeitung gar nicht schnell genug gehen. Die Nachricht über ihren Sieg garnierten sie mit der angeblichen Schock-Meldung, das Kekilli am Anfang ihrer Karriere auch Pornos gedreht habe. Dabei wurden Bilder aus den Filmen verwendet und immer wieder an unangemessenen Stellen herablassend und doppeldeutig über Sibel Kekilli geschrieben. Am Ende schaltete sich sogar der deutsche Presserat ein und bezeichnete die Berichterstattung als Verstoß gegen die Menschenwürde.

Amateur*innen am Pranger

Wer wie Bree Olson und Dolly Buster immerhin das Privileg hatte, sich in der Branche einen Namen zu machen und gutes Geld zu verdienen, ist dabei noch glimpflich weggekommen. Aufwendige Produktionen mit fairen Arbeitsbedingungen und angemessenen Löhnen gehören längst nicht mehr zum Standard. Inzwischen wird der Großteil der Porno-Filme von Amateur*innen produziert.

Frauen, die heute in die Branche einsteigen, haben keine langen Karrieren in Aussicht. Die meisten von ihnen werden so lange gebucht, bis der nächste Jahrgang nachrückt. Inzwischen liegt die durchschnittliche Zeit, die Darsteller*innen aktiv sind, bei sechs bis achtzehn Monaten. Und wie schmerzvoll, erniedrigend und verstörend diese Monate sein können, zeigen Dokus wie Hot Girls Wanted.

Frauen, die nach ihrem enttäuschenden Ausflug in die Branche in ihr altes Leben zurückkehren wollen, begegnen erheblichen Widerständen. Egal ob es darum geht, einen regulären Job zu finden, eine Beziehung zu führen, Freundschaften aufzubauen oder das Verhältnis zu der Familie zu kitten – den Ruf, eine Schlampe zu sein, werden die Frauen nicht mehr los. Dass Aufnahmen ihrer nackten Körper freizugänglich im Internet existieren, scheint sie automatisch zu Bürgerinnen zweiter Klasse werden zu lassen.

Schluss mit der Doppelmoral

Vielleicht wäre aus Bree Olson eine hervorragende Ärztin geworden, wenn sie ihr Studium wieder hätte aufnehmen können, ohne von Kommiliton*innen und Professor*innen angefeindet zu werden. Dolly Buster hat vor ihrer Pornokarriere als Übersetzerin für den Bundesgrenzschutz gearbeitet. Michaela Schaffrath, die als Gina Wild bekannt wurde, ist aktive Unterstützerin der Deutschen Knochenmarkspenderdatei und inzwischen erfolgreiche Moderatorin und Theaterschauspielerin. Marie Louise Hartman alias Nina Hartley ist eine der bekanntesten Pro-Sex-Feminist*innen der USA und Jessica Drake dreht inzwischen Aufklärungsvideos für Erwachsene, die mit Preisen ausgezeichnet wurden.

In einem Porno mitgespielt zu haben sagt einfach weder etwas über die Kompetenz einer Person aus, noch über ihren Charakter.

Dass die meisten von uns sich trotzdem abfällig über Darsteller*innen äußern, zeigt, wie stigmatisiert Sexarbeit immer noch ist. Dabei macht es faktisch keinen Unterschied, ob jemand als Bauarbeiter*in, Krankenpfleger*in, Ingenieur*in oder eben Sexarbeiter*in sein*ihr Geld verdient. Wir alle vermieten unsere Körper und unsere Arbeitskraft gegen Lohn. Vom Hirn über die Hände bis zur Pussy. Es wird also höchste Zeit, endlich über diesen Blödsinn hinwegzukommen.

Und außerdem: Wer Pornografie konsumiert, hat ohnehin kein Recht, Darsteller*innen die Mitarbeit an eben jener vorzuwerfen. Punkt.