Seit Tagen demonstrieren Hunderttausende in Katalonien für die Unabhängigkeit der Region. Allein in Barcelona kamen am Freitag, den 18. Oktober, nach Schätzungen der Polizei rund 525.000 Menschen zusammen. Ein Generalstreik legte die Region lahm.

Diese Demonstrationen sind zumeist friedlich. Immer wieder singen die Protestierenden zum Beispiel die katalanische Hymne Els Segadors.

Nächte der Gewalt

Doch in den Nächten kam es zu heftigen Gewaltausbrüchen: Nach Berichten von AP News warfen vermummte Demonstrierende Steine auf Polizist*innen, warfen Molotow-Cocktails, zündeten Barrikaden an.

Die Polizei antwortete brutal: Sie setzte Tränengas, Wasserwerfer und Knüppel ein. Auf Videos im Netz sieht man, wie Polizeiautos mit hoher Geschwindigkeit auf Menschenmengen zufahren und Polizist*innen die Demonstrierende jagen und verprügeln. So wie in diesem Post von Albano Dante Fachin, einem Politiker und Aktivisten in der Separatist*innenbewegung:

Das Resultat: Über 180 Menschen wurden allein in der Nacht zu Samstag verletzt, 14 von ihnen so schwer, dass sie im Krankenhaus bleiben mussten. Laut der Spanischen Nachrichtenseite 20 Minutos haben vier Menschen ihr Augenlicht verloren. Der Innenminister der separatistischen Regionalregierung Miquel Buch verurteilte die Ausschreitungen und sagte, die Polizei habe keine Nachsicht mit gewalttätigen Personen.

Immerhin: In der Nacht zum Sonntag blieb es relativ ruhig. Das ist laut Berichten der spanischen Zeitung El País gemäßigten Demonstrant*innen zu verdanken. Sie bildeten auf der Plaza Urquinaona Menschenketten zwischen der Polizei und radikalen Protestierenden.

Haftstrafen statt Dialog

Auslöser der Proteste sind hohe Haftstrafen gegen die Politiker*innen, die 2017 das Referendum in Katalonien organisiert haben. Bis zu 13 Jahre müssen sie in spanischen Gefängnissen verbringen, urteilte das Oberste Gericht in Madrid am Montag, den 14. Oktober. In den letzten zwei Jahren hat die spanische Regierung die Lösung des Konflikts mit Katalonien der Justiz überlassen, statt Gespräche zu führen.

Für die Justiz ist die Situation vermeintlich einfach: Das spanische Verfassungsgericht hatte das Referendum für illegal erklärt. Weil die Separatist*innen es trotzdem durchführten, sind sie schuldig. Inzwischen hat sich die Situation hochgeschaukelt, beide Seiten bestehen auf Maximalforderungen: Katalanische Politiker*innen wollen einen eigenen Staat, die spanischen verweigern weitere Autonomie. Zwischenzeitlich ging Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez laut Medienberichten nicht mal mehr ans Telefon, als der katalanische Regionalpräsident Quim Torra anrief, um über die Lage zu sprechen.

Sánchez steht selbst unter Druck: im November stehen in Spanien Wahlen an. Pablo Casado, Präsident der oppositionellen Partido Popular, reicht das Vorgehen gegen die Demonstrierenden nicht: "Was muss noch in Katalonien passieren, damit man die Ordnung dort endlich wieder herstellt?", fragt er und bezeichnet Sánchez als "Geisel" Torras. "Katalonien ist und bleibt Spanien."

Was Franco damit zu tun hat

Das sehen viele Katalan*innen allerdings anders. Die Wurzeln des Konflikts liegen einige hundert Jahre zurück. 1714 verlor das damalige Königreich seine Eigenständigkeit. Besonders schlimm war für Katalonien die Zeit der Militärdiktatur von Francisco Franco: Weil es sich in der Zeit des Bürger*innenkriegs auf die Seite der Republikaner*innen geschlagen hatte, unterdrückte er die Region brutal. Zum Beispiel verbot er Katalán: "Wenn du Spanier bist, sprich Spanisch!", befahl er. Auch katalanische Bücher, Musik und Symbole waren verboten.

1975 endete die Diktatur mit Francos Tod. Sein Nachfolger König Juan Carlos führte das Land in die Demokratie. Das gelang ihm auf friedlichem Weg, ohne dass das Militär erneut putschte. Eine große Leistung – die Gräueltaten der Diktatur wurden allerdings nicht aufgearbeitet.

Transición – der Weg in die Demokratie

Katalonien erhielt viele Rechte in dieser Zeit. Inzwischen darf es sich selbst verwalten, hat eine eigene Polizei, die Mossos, und ein eigenes Schulsystem. Katalán ist Amtssprache. In manchen Schulen wird Kastilisch, das Hochspanisch, als Fremdsprache behandelt wie Französisch oder Englisch. Diese Rechte reichen vielen Katalan*innen aber nicht. Sie möchten beispielsweise auch über ihre Steuereinnahmen weitgehend selbst entscheiden.

Das ist nicht ganz uneigennützig: Die Region rund um die Metropole Barcelona ist die wirtschaftlich stärkste in Spanien. Für den Rest des Landes wäre es auch deshalb ein großer Verlust, wenn Katalonien unabhängig würde.

Wollen sie wirklich die Unabhängigkeit?

Wie viele Katalan*innen tatsächlich für die Unabhängigkeit sind, weiß man nicht genau: Zwar stimmten beim Referendum 2017 laut der damaligen Regionalregierung rund 90 Prozent dafür.

Doch insgesamt gaben nur 42 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Da das Referendum von vornherein für illegal erklärt wurde, gingen vermutlich vor allem Gegner*innen der Unabhängigkeit gar nicht erst hin. Um Sicherheit zu bekommen, wie die Mehrheit der Menschen tatsächlich denkt, müsste man eine legale Abstimmung durchführen. Auch danach sieht es bisher nicht aus.

Eine rechte Bewegung?

Die katalanische Flagge ist bei den Demonstrationen immer präsent. Sind die Demonstrierenden in Katalonien nationalistisch?

Ihre kulturelle Identität ist vielen Katalan*innen sehr wichtig, sie sind stolz auf ihre Heimat – ebenso wie die Spanier*innen im Rest des Landes. Doch sie wollen sich nicht abschotten, im Gegenteil: Auch als unabhängiges Katalonien möchten sie Teil der Europäischen Union sein. Katalonien müsste dafür den gleichen Prozess durchlaufen wie alle anderen Beitrittskandidaten auch. Dabei hätte das Land aber keine Chance, denn Spanien müsste dem Beitritt zustimmen.