Liebe Bandmitglieder von Rage,

ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mich gefühlt habe, als ich euch das erste Mal hörte. Ich war 15, sah ein Musikvideo von euch auf MTV. Ich war elektrisiert.

Diese Gitarre, dieser Groove, diese unglaubliche Giftspritze am Mic. Diese überwältigende Erkenntnis, dass jemand meine Wut in Worte gefasst hat. Ich wollte aufspringen und dem Kapitalismus die Faust ins Gesicht schlagen. Sleep now in the fire!

Ich entschied mich dazu, sie einfach nur hochzuhalten. Die Faust als Symbol. Ich ging in den folgenden Jahren mit euch im Ohr auf die Straße, demonstrierte, ließ meinen Ärger über die massive Ungerechtigkeit auf der Welt raus. Ihr habt ihn mir geliefert, den Soundtrack für meinen ganz persönlichen Protest.

Zu diesem Zeitpunkt, als ich euch zum ersten Mal hörte, hattet ihr euch schon aufgelöst. Hattet euch zerstritten, so heißt es. 2010 kamt ihr kurz für ein paar Konzerte zusammen, das war's aber bis dato. Ich gehöre zu denen, die euer aktuelles Projekt Prophets of Rage zwar schätzen, das ihr vor zwei Jahren mit anderen Sängern gestartet habt – aber diese wütende Stimme, diese messerscharfen Zeilen von Zach de la Rocha schmerzlich vermissen.

Mir bleibt nur, eure bisherigen Alben rauf und runter zu hören. Immer wieder. Ich habe eure Musik, eure Inhalte, so verinnerlicht, ich habe euch geglaubt. Ihr habt meinen moralischen Kompass eingenordet, seid heute Inspirationsquelle für meine eigene Musik. Ihr bleibt für mich die wichtigste Band aller Zeiten.

Kommt zurück!

Allein das Cover zu eurem ersten Album war ein Geniestreich. Es zeigt das berühmte Foto des buddhistischen Mönchs Thích Quảng Đức aus Vietnam, der sich 1963 selbst verbrannte, um gegen das Regime von Ngô Đình Diệm und dessen Unterdrückung des Buddhismus zu protestieren. Kontrovers, provokant, brillant.

Spätestens als ihr damals dafür gesorgt habt, dass die Börse an der Wall Street dicht machen musste, weil ihr sie gestürmt habt, da habt ihr den Menschen gezeigt, dass Musik und Rebellion perfekt zusammenpassen. Die US-Behörden müssen sich vor euch in die Hose gemacht haben, so wie sie gegen euch vorgingen. Ihr habt weitergemacht. Fuck you, i won't do what you tell me! 

Ihr habt so vielen gezeigt, dass sich nichts ändern wird, wenn wir unsere Stimme, unsere Energie, nicht nutzen. Ihr habt mehr für uns getan, als großartige Musik zu spielen. Ihr habt eine Bewegung angetrieben, die sich gegen den Rassismus, gegen Polizeigewalt, gegen die Heuchelei der Mächtigen, gegen all das Unfaire richtete. Roh und wild, wie eure Musik selbst.

Wir brauchen euch heute dringender als je zuvor. Ihr seht es doch selbst, nicht? Euer Heimatland, die USA, braucht euch. Europa braucht euch. Der Menschenhass grassiert, wird immer größer, doch die Gegenstimmen sind nicht laut genug. Kunst, vor allem Musik, ist ein mächtiger Triebmotor. Sie kann Menschen nicht nur zum Tanzen bringen, sondern Empathie lehren. Musik kann Menschen dazu bringen, für Gerechtigkeit aufzustehen.

Ihr habt das schon einmal geschafft – und ich bin sicher, ihr würdet es noch einmal schaffen. Bitte kommt zurück.

In unserer Reihe "Liebesbriefe" schreiben wir den Menschen, die wir schätzen, warum das so ist.