David Mayonga ist in Markt Schwaben aufgewachsen, einem beschaulichen Örtchen in der Nähe von München. Seine Großeltern mütterlicherseits sind Vertriebene aus Schlesien. Er selbst spricht so starken bayerischen Dialekt, dass man ihn ab Bamberg Richtung Norden nicht mehr versteht. Doch seit dem ersten Tag im Kindergarten erfährt der heute 37-Jährige Ablehnung: Die Erzieherin bittet damals alle Kinder, einen Stuhl zu finden. David will sich neben einen Jungen mit Pilzfrisur und Latzhose setzen. Doch der hält die Hände über den Stuhl und sagt: Eine Schwarze Person dürfe nicht neben ihm sitzen. Wobei der Pilzfrisurenjunge statt "Schwarze Person" das N-Wort* verwendet. Es ist die erste Erfahrung mit Rassismus, an die sich David Mayonga erinnern kann. Es blieb nicht die letzte.

Mayonga ist inzwischen studierter Pädagoge, moderiert eine eigene Radioshow, macht Deutschrap unter dem Namen Roger Rekless und ist Live-MC des Rap-Ensembles Deichkind. Seit 2019 ist er außerdem Buchautor: Ein N-Wort* darf nicht neben mir sitzen heißt sein Debüt, das beim Verlag Komplett Media erschienen ist – benannt nach dem Zitat des Pilzkopfbubens. Darin erzählt David Mayonga nicht nur von eigenen Rassismuserfahrungen, die er in seiner Kindheit und Jugend auf dem bayerischen Dorf gesammelt hat, sondern schreibt auch über die Folgen von Racial Profiling und fehlender Chancengleichheit. Wir treffen David Mayonga für ein Interview in einem Köfte-Restaurant in Neuperlach, einem Stadtteil im Südosten Münchens.

ze.tt: David, für alle, die mit der Münchner Peripherie nicht so vertraut sind: Wie ist es, in Markt Schwaben aufzuwachsen?

David Mayonga: Markt Schwaben war damals ein wildes Konstrukt. Es hatte einen sehr dörflichen Charakter, es gab viele noch bewirtschaftete Bauernhöfe, jede*r kannte jede*n. Gleichzeitig gab es durch die S-Bahn eine Verbindung mit der Stadt, und als ich älter wurde, hatte ich mehr das Gefühl, zu München dazuzugehören. Aber als ich klein war, war Markt Schwaben meine Welt. Es gibt dort nur zwei Hochhaussiedlungen. Hinter der, in der ich aufwuchs, gab es eine kleine Wiese und dann begannen die Felder. Es gab keinen Bruch zwischen ländlichem und urbanem Hochhausleben, es war beides gemeinsam da. Das heißt, wir haben viele stinknormale Dorfgeschichten gemacht. Lager gebaut in den Wäldern hinter den Feldern, Streiche gespielt.

In den Hochhaussiedlungen lebten überwiegend Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund als dem deutschen und mit anderen Lebensmodellen: Männer, die alleine lebten und einen Freund hatten, alleinerziehende Mütter. Sonst gab es Einfamilien- und Reihenhäuser. Cliquentechnisch hat sich das auch so aufgeteilt. Die Hochhauskids hingen mit den anderen Hochhauskids, man hatte eher weniger mit den Reihenhauskids zu tun. Das waren wie zwei verschiedene Welten.

Wie ist es, in Markt Schwaben als nicht-weiße Person aufzuwachsen?

Ich bin 1982 geboren – zu der Zeit gab es überhaupt keine Sensibilität für das Thema. Als ich in die Schule kam, haben Lehrer*innen gerade gelernt, dass sie die Kinder nicht schlagen dürfen. Stattdessen wurden wir mit Kreide beschmissen oder an den Ohren gezogen, Hirnbatzl gab es oft und Gnackfotzn. So dass man halt nicht sagen kann, dass man geschlagen wurde. Die wussten nicht, was es bedeutet, zum Beispiel Muslim*a zu sein. Für die war das Prinzip: Du bist hier in Deutschland, alles, was du anders machst als wir hier, ist falsch. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Aber durch meine dunkle Hautfarbe war ich so schnell auszumachen und wurde für jeden Ärger auf dem Schulhof verantwortlich gemacht.

Zum Beispiel wurde meinem Freund Martin die Brille von der Nase geschlagen. Danach haben mich der Schuldirektor und meine Lehrerin zur Sau gemacht – während der Martin daneben stand und immer wieder schrie, dass ich es gar nicht gewesen sei. Das haben die nicht gehört. Es ist so schlimm, dass den Pädagog*innen nicht aufgefallen ist, dass ich ja nicht immer alles gewesen sein kann. Das hat mich nachhaltig geprägt: dass ich, auch wenn ich keine Schuld habe, die Repressionen erdulden muss.

Wenn ich versucht habe, von Rassismus zu erzählen, dann haben die Leute gesagt: Das gibt’s doch gar nicht. Ich sei übersensibel.

Diese Blindheit war nicht nur in der Schule so. Hohenlinden ist nicht weit von Markt Schwaben entfernt und war bekannt für die dort lebenden Neonazis. Wenn die nach Markt Schwaben kamen, gab es keinen Aufschrei in der Gemeinde, sondern es hieß: 'Mei, nette Buam. Sehr freundlich. Sprechen alle Deutsch.' Dass die uns aber jagen und verprügeln und anspucken, das hat niemand gesehen, auch von den Gleichaltrigen nicht. Wenn ich versucht habe, von Rassismus zu erzählen, dann haben die Leute gesagt: Das gibt’s doch gar nicht. Ich sei übersensibel. Oder würde falsch erzählen. Es hat an Empathie gefehlt.

Unterscheidet sich Alltagsrassismus auf dem Dorf von dem in der Stadt?

Städtischer Rassismus findet häufig zwischen den Zeilen statt, da sind mehr Blicke, mehr bias in der Behandlung. An der Uni gab es eine Professorin, die erzählte, dass es eine Anmeldefrist für das Seminar gab, aber es noch freie Plätze gebe und für alle – Fokus auf mich –, die sich noch nicht angemeldet hätten, wär das also gar kein Problem – und schaut dabei nur mich an. Es waren zweihundert Student*innen da.

Im Dorf ist es mehr so: Da ist er, der N-Wort*. In Markt Schwaben haben die Leute das Gefühl, dass man durch die Nähe zu München auch total fortschrittlich und großstädtisch sei und sie ja überhaupt kein Problem mit mir hätten, obwohl ich Schwarz sei.

Aber die Dynamik des Rassismus ist überall gleich. Letztens hat mir jemand gesagt: 'Ja, Bayern, da muss das ja besonders schlimm sein. Wärst du in Köln aufgewachsen, wär das was anderes.' Eine Bekannte, die als Schwarze Frau in Köln aufgewachsen ist, meinte: Nein, sie hätte dort eins zu eins dieselben Erlebnisse gemacht wie ich. Ich würde aber sagen, es wird teilweise anders damit umgegangen, das Umfeld reagiert anders. Ein Busfahrer in Markt Schwaben hat mal zu mir gesagt: 'A boarischer N-Wort* is ma no liaber als a Japaner.' Da steht keine*r der anderen im Bus auf und regt sich auf. Ich hab das Gefühl, dass in Köln oder Berlin schon wer aufstehen könnte, weil mehr Leute mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund da sind.

Aber die Dynamik des Rassismus ist überall gleich.

Hast du eine Strategie entwickelt, wie du mit rassistisch motivierter Ablehnung umgehst?

Ich hab drei jüngere Geschwister. Jede*r von uns hat eine eigene Strategie entwickelt, damit klarzukommen. Ich war ein sehr aggressives Kind und habe in der 3. Klasse beschlossen, diese Aggressivität abzulegen. Ich dachte mir, ich muss nett zu Leuten sein, damit die nicht so ablehnend auf mich reagieren. Meine Schwester hat einfach alle verprügelt, die sie rassistisch angemacht haben. Sie hat natürlich als Schwarze Frau an zwei Fronten zu kämpfen. Einer meiner Brüder hat sehr viel in sich reingefressen und ist dann in Situationen explodiert, in denen so eine Explosion eigentlich gar nicht angemessen war. Wir lernen immer noch alle voneinander in der Art und Weise, wie wir damit umgehen.

Mein Bruder hat zum Beispiel gelernt, dass er sich die Konflikte aussucht, die er austrägt. Manche lässt er vorbeiziehen. Meine Schwester lässt nichts einfach vorbeiziehen. Von der habe ich gelernt, wie ich reagiere, wenn ich einen rassistischen oder sexistischen Kommentar mitbekomme, ich aber nicht die Kraft habe, das jetzt auszudiskutieren. Das ist ja häufig das Problem: Man sagt nichts, nicht weil man die Meinung teilt, sondern weil man das Gefühl hat, dass man einfach gerade nicht stark genug ist, die Diskussion, die dann kommt, durchzuziehen – deshalb fängt man erst gar nicht an. Meine Schwester haut dann einen Kommentar raus: Aus diesem Grund ist diese Aussage scheiße und ich verurteile das und dann geht sie und verlässt die Situation.

Das ist ein großartiger Move! Wenn man eine diskriminierende Erfahrung macht und die nicht gleich anspricht, denkt man sich danach: Das hätte ich sagen oder machen sollen. Es arbeitet noch lange in einem weiter. In den anderen Leuten, die in der Situation waren, arbeitet gar nichts. Ich hab meiner Schwester entgegnet, dass die anderen gar nicht wüssten, was genau das Problem sei, sie müsse das doch erklären. Aber sie sagt: Ja, aber das arbeitet bei denen. Und da hat sie recht. Das versuche ich jetzt auch immer so zu machen.

Hattest du Schwarze Vorbilder, die dir geholfen haben?

Paris und Malcom X. Ich hab Public Enemy gehört, die sehr politischen und wütenden Rap machen. Da ging es weniger um Empowerment, als darum, auf Missstände aufmerksam zu machen. Und Paris ist wie Public Enemy, nur noch viel radikaler. Der hatte dieselbe Einstellung wie Malcom X lange: Wenn jemand einen Finger an eure Familie und euch legt, dann schaut zu, dass er*sie das nie wieder machen können wird. Das war für mich als 13-, 14-Jähriger heftig zu hören. Ich dachte: Ich bin doch gar nicht so stark, dass ich mich dagegen wehren kann, ich könnte nie, wenn andere Menschen mich rassistisch angehen, mit lauter Stimme sagen: He, das kannst du nicht machen. Im Gegenteil: Ich hatte eher das Gefühl, das können sie machen, und ich halte das aus.

Ich hatte eher das Gefühl, das können sie machen, und ich halte das aus.
David Mayonga

Malcom X hat seine Einstellung nach seiner Pilgerfahrt nach Mekka um 180 Grad gedreht. Er hat da gelernt: Es geht nur darum, dass wir als Menschen in Liebe und Frieden zusammenleben. Und genau, als er an dem Punkt war, wurde er erschossen. Damals dachte ich, dass es das Gefährlichste auf der Welt ist, den Leuten zu erzählen, dass Liebe etwas Wichtiges ist. Nicht die romantische Liebe, sondern wenn sie aus Wut, aus Hass, von ganz unten heranwächst. Dann ist Liebe ein richtig starkes Wort. Bis heute sag ich bei jeder meiner Shows, auch wenn es noch so corny und cheesy ist: Wenn wir hier rausgehen und die Liebe, die wir jetzt grad spüren, ein bisschen verteilen, dann wird das mehr. Wir können die Welt nicht alleine verändern, aber wenn wir ein bisschen mehr Liebe rausbringen, wird sich das summieren. Liebe ist bei mir gleichbedeutend mit Empathie. Und Sensibilität. Wenn ich einem anderen Menschen Liebe entgegen bringe, dann wertschätze ich den als den Menschen, der er ist. Liebe als politisches Movement quasi.

Warum hast du jetzt ein Buch über Rassismus geschrieben?

Es gibt viele, die denken, sie seien auf der Seite der offenen Menschen. Die denken, sie müssten sich mit der Problematik gar nicht auseinandersetzen, denn sie seien ja schon sensibel genug. Diese Leute merken oft gar nicht, wie viele rassistische oder sexistische Strukturen sie noch im Denken haben. Und für die wollte ich dieses Buch schreiben. Nicht, um harte Rassist*innen zu bekehren, sondern um Menschen zu zeigen: Das ist meine Realität. Und meine Realität kennst du nicht. Vielen ist nicht bewusst, was für ein privilegiertes Leben sie führen und was für andere Lebensrealitäten in dieser Gesellschaft stattfinden.

Leute fragen mich: 'Ist das wirklich noch so? Ganz schrecklich. Kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich seh ja Farbe überhaupt nicht.' Äh, I beg to differ. Man muss sich bewusst machen: Auch ich, mit meinem Erfahrungs- und Wissensstand, auch ich denke, wenn ich eine Schwarze Person treffe, die mich im astreinen Deutsch anspricht, für eine Millisekunde: Wow, der*die spricht ja gut Deutsch. Die Leute denken, ich wäre frei von diesen Strukturen. Dabei habe ich, der in Deutschland aufgewachsen ist, sie genauso internalisiert.

Ich wollte zeigen, dass Rassismus zwei Ebenen hat: eine individuelle, wie jede*r ihn erfährt, und eine faktische, die mit Zahlen belegbar ist und ein strukturelles Problem darstellt. Man kann beides nicht getrennt voneinander erzählen. Wenn ich nur über strukturelle Probleme erzähle, verstehen Menschen das vielleicht, entwickeln aber kein emphatisches Gefühl dafür. Wenn ich nur individuelle Geschichten erzähle, reagieren sie zwar darauf, aber marginalisieren die Problematik. Wenn ich zum Beispiel sage: Mit meinem Nachnamen und so, wie ich aussehe, ist es für mich schwierig, eine Wohnung in München zu finden. Dann antworten sie: Ja, aber das ist ja für alle schwer. Deshalb wollte ich meine biografischen Erlebnisse mit Fakten verbinden.

Warum hast du dich für den Titel entschieden?

Der Titel war die erste Idee, die ich hatte. Zuerst dachte ich: Ne, aber das kann man nicht machen. Aber ich bin immer wieder darauf zurückgekommen. Alle anderen Ideen waren so latent poetisch, das hätte bei den Leuten das Gefühl ausgelöst: Rassismus, damit muss ich mich ja nicht befassen, weil ich bin’s ja nicht. Ich dachte mir, wenn die so sensibel sind, wie sie sagen, dann tut es ihnen weh, den Titel zu lesen. Dann fühlen sie sich unangenehm. Das wollte ich erreichen. Ich wollte, dass das unsere erste Kontaktaufnahme ist. Dass die Leute wenigstens einen Teil von dem spüren können, was ich erlebt habe.

Ich finde es wichtig, dass der Titel sich über mein ganzes Gesicht streckt, denn das beschreibt sehr gut, wie die Situation ist. Dieser Satz steht zwischen mir und allen anderen Menschen, mit denen ich kommunizieren will. Dahinter ist eine Geschichte, die 220 Seiten lang ist. Und Rassismus versperrt einem den Zugang zu genau dieser Geschichte.

Das ist jetzt unser Wort. Wir können es hernehmen, aber ihr könnt es nicht zurück haben.
David Mayonga

Ich habe viel mit anderen Schwarzen über den Titel diskutiert, die gesagt haben, dass das eine Reproduktion des Wortes sei, und man das nicht machen könne. Ich meine: Solange Rassismus ein Problem ist, müssen wir, die eine Sensibilität für das Thema entwickelt haben, es benennen können. Wir werden dahin kommen, dass wir als Black/Indigenous/People of Colour (BIPOC) das Wort nicht mehr benutzen müssen, weil wir Rassismus nicht mehr beschreiben müssen. Aber solange müssen wir es benutzen. Ich sehe es nicht als Reproduktion des Wortes, sondern es ist ein Zitat. Es gibt in einem Satz wieder, wie es für einen Menschen mit dunkler Hautfarbe ist, hier aufzuwachsen. Witzigerweise sind es auch viele Weiße, die sagen, dass man das mit dem Titel nicht machen könne. Aber es ist meine Geschichte und ich habe das so gehört. Wieso soll ich den Schmerz für mich alleine behalten?

Wir haben lange überlegt, ob wir das Wort in diesem Interview wirklich ausschreiben sollen, oder nicht. Wie siehst du das?

Sagt den Leuten, wie es euch damit geht. Schreibt nicht nur: 'Ein N-Wort darf nicht neben mir sitzen', sondern schreibt auch, warum. Weil wir nicht wollen, dass das Wort reproduziert wird. Das finde ich total wichtig, weil die Leute dann merken: Krass, der nennt sein Buch ja selbst so, aber das Wort ist deshalb nicht weniger schlimm. Ich freue mich immer, wenn Menschen sich fragen, wie sie damit umgehen sollen. Ich spreche es aus. Man braucht des Wort außerhalb des Titels eigentlich nicht. Bei der Diskussion, ob Weiße es benutzen dürfen, sag ich: Ne. Wie Ice Cube sagt: Das ist jetzt unser Wort. Wir BIPOC können es hernehmen, aber ihr könnt es nicht zurück haben.

Der Musiker Chefket, der auch einen Gastbeitrag für dein Buch geschrieben hat, hat mal in einem Interview gesagt, dass er keinen Bock mehr hat, immer über Rassismus sprechen zu müssen. Ging dir das auch schon mal so?

Wir können es uns nicht aussuchen. Wir machen das ja nicht für uns. Wir machen das für die, die nach uns kommen. Aber ich versteh jede*n, der*die keine Kraft dafür hat. Wie oft ich durchatmen muss, wenn ich mit Leuten diskutiere, weil man schon fünftausendmal erklärt hat, was das Problem an der Frage, wo jemand herkomme, ist. Aber ich diskutiere immer noch. Wenn ich an den Punkt komme, an dem ich nicht mehr kann, mach ich es wie meine Schwester, hau einen beendenden Kommentar raus.

Ich sage dann: 'Du kannst es dir aussuchen. Du hast die Möglichkeit, einen Menschen potenziell verbal zu verletzen, oder nicht. Du kannst dich dazu entscheiden, deinen eigenen Wunsch über das psychische Wohlbefinden von anderen Menschen zu stellen. Das ist okay, aber das muss dir bewusst sein. Und wenn du eine emphatische Person sein möchtest, dann entscheide dich doch dafür, den Menschen als Menschen zu sehen.' Meine Hoffnung ist, dass wir irgendwann dahin kommen, dass Aussehen, Geschlecht, sexuelle Orientierung und so weiter nicht zum Beschreiben von Menschen als erstes Ding benutzt wird. Dass ich zum Beispiel, wenn an einer Straßenecke ein dickerer Mensch steht, nicht sage, 'Schau mal, der Dicke dahinten', sondern 'Schau mal, der mit der gelben Jacke'. Ich kann mir das aussuchen, auf was ich den Fokus lege.

Zum 5.001. Mal: Was ist das Problem an der Frage 'Wo kommst du her'?

Man kann daran gut erklären, was das strukturelle Denkproblem ist. Die Leute begründen die Frage mit Interesse. Wo kommt das Interesse her? Du hast gelernt, dass es etwas Besonderes ist, wenn jemand anders aussieht als du. Das ist dir angelernt worden, deshalb interessiert es dich. Diese Normalität, die dir angelernt worden ist, bedeutet, dass du mit dieser Frage jemand anderen als außerhalb dieser Normalität absteckst. Er*sie ist immer noch etwas Besonderes oder Exotisches. Das ist kein echtes Interesse. Die Leute wollen nur kategorisieren und einordnen.

Die Frage 'Wo kommst du her?' ist für mich nicht per se das Problem. Das Problem ist erstens der Zeitpunkt, wann sie gestellt wird. Problematisch ist es, wenn sie beim ersten Aufeinandertreffen fällt. Wir haben fast alle gelernt, dass, wenn jemand eine prominente Narbe im Gesicht hat, man nicht beim ersten Treffen fragt: Hallo, was ist das für eine Narbe, wo kommt die her? Wenn das jemand macht, dann ist gesellschaftlicher Konsens, dass das unsensibel ist. Man wartet, bis man den Menschen besser kennt oder er*sie es von selbst erzählt. Und genauso sollte man mit der Woher-Frage umgehen.

Und zweitens muss man sich bei der Frage 'Wo kommst du her?' im Jahr 2019 bewusst sein, was man da antriggert. Nur weil der eigene Antrieb zu der Frage positiv ist, heißt das nicht, dass das kein Gefühl von Diskriminierung oder Ausgrenzung auslösen kann. Insbesondere bei Leuten, die schon ihr ganzes Leben lang sowas erleben.

Du bist vor Kurzem Vater geworden. Überlegst du, wie du deine Tochter auf mögliche Rassismuserfahrungen vorbereitest?

Ständig. Ich frag mich häufig, ob ich ihr Sachen mitgeben darf, die sie vielleicht gar nicht erleben wird. Ich hab total Schiss, dass ich meine Muster an jemanden weitergebe, die in einer Gesellschaft groß wird, die schon einen Schritt weiter ist. Aber ich glaube, sie wird ähnliches mitmachen. Ich glaube, es geht weniger um konkrete Vorschläge, was sie tun soll, als ihr das Gefühl zu geben, dass es nicht in Ordnung ist, was ihr passiert. Das habe ich im Kampfsport gelernt. Ich kann einem Menschen, der kämpft, sagen: Du musst jetzt das machen, weil ich sehe von außen, wenn du das macht, dann löst es die Situation. Aber wenn sich der Mensch in dem Moment nicht dazu fähig fühlt, dann bekommt er das Gefühl: Woah, ich kann das nicht, ich hab jetzt schon verloren. Deswegen bin ich vorsichtig mit konkreten Handlungsvorschlägen.

Als ich kleiner war, hat meine weiße Mutter immer gesagt: 'Deine Hautfarbe ist etwas Schönes, das ist nichts Schlimmes.' Sie wollte das positiv aufladen. Das bringt leider nichts im Bezug auf die Erfahrung selbst. Weil man erfährt ja das Schlimme. Und man erfährt das Schlimme wegen der Hautfarbe. Sie hatte niemanden, der*die ihr hätte sagen können, was besser wäre. Wenn mein Vater da gewesen wäre, hätte er das auch nicht gecheckt. Der hat keine Antenne für diesen Rassismus, weil er nicht hier geboren ist. Er kommt aus einer wohlhabenden Familie aus dem Kongo, ging dort auf eine Eliteschule mit den ganzen Europäer*innen, ist als Student mit einem Stipendium nach Deutschland gekommen. Das ist etwas anderes. Du kommst mit breiter Brust hierher, dann kommt irgend so ein dahergelaufener Lackl, der dir irgendeinen Spruch drückt – das ist an dem einfach abgeprallt. Aber ich und alle Leute, die hier groß geworden sind, wir haben nur das hier. Dann ist es viel, viel härter, wenn man Ablehnung erfährt.

Hat Deutschrap ein Problem mit Rassismus?

Safe. Genauso wie die Gesellschaft ein Problem mit Rassismus hat. In der Deutschrap-Szene spiegelt sich dieselbe Dynamik wider, dass Menschen nicht verstehen, wo Rassismus beginnt, dass Menschen glauben, es sei völlig okay, das N-Wort im Hip-Hop-Kontext zu sagen, weil das machten die US-Amerikaner*innen ja auch. Gleichzeitig gibt es auch eine große Bewegung, die dagegen steht. Musiker*innen wie Chefket, Tua oder Megaloh. Interessant ist, dass die Leute, die im öffentlichen Licht stattfinden, meistens nicht Teil dieser Bewegung sind. Es ist eben ein Spiegel der Gesellschaft.

187 Straßenbande, Gzuz, die hab ich früher auch mal gefeiert. 2018 war ich auf dem Splash-Festival und hab mitbekommen, dass Gzuz zwei Frauen so krass sexuell angegangen ist, dass die beiden psychologischen Beistand gebraucht haben. Der Typ ist nicht vom Festival geflogen. Nicht weil er so berühmt ist, sondern weil er mit echt gefährlichen Leuten unterwegs ist. Leuten, denen du nicht sagen kannst, hey, ihr habt was getan, was nicht in Ordnung ist, ihr müsst jetzt gehen. Die Veranstalter haben ihm dann nur Bühnenverbot erteilt. Bei dem Auftritt von Trettmann stand ich hinter der Bühne. Die Gzuz-Strophe im Lied Standard schrien Zehntausende Menschen im Publikum mit. Hinter der Bühne stand Gzuz, der sich selbst abfeierte. Das war echt ne Sauerei. Du hast nicht nur den Tag, sondern vielleicht sogar das Leben von zwei Menschen nachhaltig verändert – und es ist voll wurscht. Er muss nichts befürchten.

The sky is the limit – für die anderen.
David Mayonga

Das Ding ist: Diese Leute finden so krass in der Öffentlichkeit statt, weil sie ein gewisses Klischee bedienen, und das wird so gewollt. Die Labels pumpen da Geld rein. Die Agenturen nehmen die Leute mit. Ein Bonez oder RAF Camora füllt ein Stadion mit 15- bis 25-jährigen Menschen. Ein Chefket spielt in kleinen Clubs. Das liegt definitiv nicht daran, dass er schlechtere Mukke macht. Daher kann man die Problematik von Rassismus innerhalb des Raps nicht davon trennen, dass wir in einer rassistischen Gesellschaft leben.

Was ist für dich einer der empowernsten Deutschrap-Songs?

Superheld von Samy Deluxe. Der kam zwar raus, als ich schon erwachsen war, aber ich hab jedes Mal Tränen in den Augen. Weil er das erlebt hat, ich das erlebt hab, sein Kind, für den Samy den Song geschrieben hat, das erlebt hat: dieses Gefühl, sich nicht zu sehen. Nicht repräsentiert zu sein. Du siehst keine Schwarzen Anwält*innen, Richter*innen, Polizist*innen, Pilot*innen oder Ärzt*innen in irgendwelchen Vorabendserien. Und eben keine Schwarzen Superheld*innen. Das war vor dem Black Panther-Film, der krass nationalistische Züge trägt. Aber wir dürsten so nach Repräsentation, dass wir alles nehmen.

In der Schule hatten wir im Kunstunterricht den Auftrag, eine Collage von unserer Familie zu machen, und sollten dafür Katalogbilder ausschneiden. Es waren keine Schwarze Menschen im Katalog. Auf dieser Collage bin ich ein weißes Kind, mein Vater ein weißer Mann, meine Mutter ist eigentlich dunkelhaarig, aber dann war’s ja eh schon wurscht, deshalb ist sie auf der Collage blond. In New York habe ich das erste Mal alle möglichen Versionen von Schwarzen Menschen gesehen, nicht nur Rapper*innen, sondern Straßenarbeiter*innen, Polizist*innen, Anzugträger*innen an der Wall Street. Ach krass, dachte ich mir damals. Wir können wirklich alles sein. Als Kind nimmt man das ja wirklich so wahr: The sky is the limit – für die anderen. Wir haben einen klaren Deckel. Und genau dieses Gefühl drückt dieser Song aus. Dass du versuchst, deinen Weg zu finden, in einer Welt, die dir keine Wegweiser zeigt.

*Anmerkung: Das N-Wort wird im Buchtitel ausgeschrieben. Auch David Mayonga spricht das Wort, wenn er Rassismuserfahrungen zitiert, aus. Wir haben uns jedoch dazu entschieden, den rassistischen Begriff im Text nicht zu reproduzieren. Grund dafür ist, dass wir nicht wollen, dass der Begriff bei Leser*innen, die von Rassismus betroffen sind, negative Gefühle triggert.