Die Gruppe Migrantifa Berlin hat am Freitag eine Demonstration per Schiff veranstaltet. Die Aktivist*innen prangerten rassistische Strukturen in Deutschland an und forderten "neue migrantifaschistische Strukturen".

Der 8. Mai wurde anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus als einmaliger gesetzlicher Feiertag in Berlin begangen. Die Gruppe Migrantifa Berlin nutzte den Tag für eine kreative Protestaktion auf der Spree. Mit einem Schiff fuhren sie ins Regierungsviertel, um auf strukturellen Rassismus in Deutschland aufmerksam zu machen. Von einer Befreiung vom Faschismus könne keine Rede sein, so die Botschaft der Demonstrant*innen.

"Befreiung wovon?", fragte Naima von Bord des Protestschiffs Anarche, als es eine leichte Kurve auf der Spree in Berlin nahm. Für die Aktivistin des Aktionsbündnisses Migrantifa Berlin sei der Tag vielmehr einer des Zorns, erklärte sie. Zorn darauf, dass auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland tödliche Gewalt gegen Geflüchtete, Menschen mit Migrationserbe, jüdische und muslimische Menschen, Sintize und Romnja zur Realität gehört. Von einer abgeschlossenen Entnazifizierung könne den Aktivist*innen zufolge in Deutschland heute daher nicht gesprochen werden.

Entnazifizierung ist ein Dauerkampf

Die Mitglieder von Migrantifa Berlin hatten ihre Aktion zunächst als physische Demonstration geplant. Aufgrund der Einschränkung des Versammlungsrechts durch die Covid-19-Pandemie fand die Demo online statt. Dem Livestream schalteten sich verschiedene migrantische Selbstorganisationen und Einzelpersonen aus Wissenschaft, Kultur, Kunst und Politik zu. Vom Protestschiff Anarche aus moderierten Migrantifa-Mitglieder den Stream. Das Schiff diente als kreative Plattform, um auf die Aktion aufmerksam zu machen.

Rassismus soll keine einzige weitere Familie zerstören.
Meryem Malik

Tatsächlich fanden bereits kurz nach 1945 ehemalige Mitglieder und Funktionäre der NSDAP wieder Beschäftigung in Spitzenpositionen in Politik, Justiz, Staatssicherheit und der Wirtschaft. "Entnazifizierung ist ein Dauerkampf. Der staatliche Wille von Staat und Gesellschaft bewaffnete rechte Netzwerke zu verfolgen, Rassismus zu bekämpfen und für die Rechte Geflüchteter einzustehen, fehlt und hat tödliche Folgen für migrantische Menschen", sagte Meryem Malik von Migrantifa. Der Staat würde rassistisches und völkisches Gedankengut befeuern und legitimieren, indem er nationale Interessen in den Vordergrund stelle. Das habe sich zuletzt bei den Anschlägen in Halle und Hanau gezeigt. Ebenso äußere sich dies durch die nach wie vor katastrophalen Zuständen in Geflüchtetencamps an Europas Außengrenzen.

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"Migrantifa ist geboren, weil so viele Migrant*innen gestorben sind. Sie leben in uns weiter und sind nicht für nichts gestorben. Wir kämpfen gegen Rassismus, um dem Schmerz der Opfer, Hinterbliebenen und von Rassismus Betroffenen Würde zu tragen", sagte Malik und forderte: "Rassismus soll keine einzige weitere Familie zerstören."

Die Aktivist*innen bemängeln, dass – obwohl der Verfassungsschutz Einblicke in rechte Netzwerke hat – entsprechende Netzwerke durch die Ermittlungsbehörden sowie die Polizei nicht effektiv zerschlagen würden. Ebenso würden rassistische Gewalttaten nicht verhindert und direkt Betroffene nicht ausreichend geschützt. Außerdem übertöne die Einzeltäterhypothese die Realität struktureller Rassismen und systematischen rechten Terrors in Deutschland.

Für ein Leben in Freiheit und Würde für alle

"Neue migrantifaschistische Strukturen und Protestformen müssen her, um Opfern von Faschismus und Rassismus zu gedenken und unsere Wut zu Rassismus in Aktion zu übersetzen", sagt Naima, die den Protest auf dem Boot als Moderatorin begleitete.

Unter dem Motto "Rassismus tötet! Von Moria bis Hanau – kein Vergeben, kein Vergessen" zog der Protest zunächst zum Regierungsviertel in Berlin-Mitte, ehe er, wieder an Land, mit einer Schlusskundgebung am späten Nachmittag am Hermannplatz endete. mm