Rechtsextreme in Deutschland führen Listen, auf denen sie Namen und teils Adressen von mehr als 35.000 sogenannter Feinde aufführen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleinen Anfrage der Linken hervor (PDF).

Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu diesen Listen:

Wie viele Listen gibt es?

Bekannt sind den Sicherheitsbehörden zum jetzigem Stand drei Listen:

  1. Die NSU-Liste: Während der Ermittlungen im bisher nicht vollständig aufgeklärten NSU-Fall stellten Sicherheitsbehörden eine sogenannte Gesamtliste zusammen. Sie beinhaltet unter anderem 10.000 Adressen und Telefonnummern, welche die Neonazis digitalisiert sammelten. Zudem gibt es Adresslisten in Papierform und Karten mit Markierungen, die sich aber nicht eindeutig lokalisieren lassen. Schon 2012 war bekannt geworden, dass der NSU Terrorziele im ganzen Land ausspähte. Im Brandschutt der Zwickauer Wohnung, in der Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich verschanzten, fand man Stadtpläne, auf denen fast 400 Adressen von Politiker*innen, Parteien, Militärstandorten und jüdischen Einrichtungen markiert waren. Eine Anschlagsgefahr wurde damals ausgeschlossen, da der NSU schon 2011 aufflog.
  2. Die Franco-A.-Liste: Der Bundeswehr-Oberleutnant Franco A. führte ein Doppelleben als syrischer Asylbewerber in Bayern. Österreichische Behörden setzten Franco A. 2017 am Wiener Flughafen fest, als er eine in einer Toilette verstecke Waffe abholen wollte. Die Beamt*innen ließen ihn laufen, damit deutsche Behörden verdeckte Ermittlungen gegen ihn einleiten konnte. Bei diesen wurde im vergangenen Jahr eine Liste in Papierform sichergestellt, auf der 32 Personen oder Örtlichkeiten verzeichnet sind. Darunter befanden sich auch mögliche Anschlagziele in Berlin. Zudem standen unter anderem die Namen vom damaligen Justizminister Heiko Maas, der Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und mehreren Aktivist*innen auf der Liste. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Franco A. es auf "das Leben hochrangiger Politiker und Personen des öffentlichen Lebens" abzielte, die er für besonders "flüchtlingsfreundlich" hielt.
  3. Die Nordkreuz-Liste: Das ist die Liste, von der die in aktuellen Medienberichten angesprochene Zahl der 25.000 stammt. Bei Ermittlungen gegen zwei Mitglieder der rechtsextremen Prepper-Gruppierung Nordkreuz wurden 2017 schriftliche Aufzeichnungen und Datenträger gefunden, auf denen die Namen von 25.000 Personen stehen. Die Kenntnis über diese Liste ist neu, sie wurde vom Bundeskriminalamt (BKA) mit einer Gefährdungsbewertung an die Bundesländer weitergegeben. Die Menschen auf dieser Liste wurden bisher nicht von den Behörden darüber informiert, dass ihre Namen von Rechtsextremen gesammelt wurden.

Fabian Virchow, Leiter der Forschungsstelle zu Rechtsextremismus und Neonazismus an der Hochschule Düsseldorf, geht davon aus, dass die Dunkelziffer solcher Listen höher ist. Wie viele Listen es wirklich gibt und wie umfassend diese sind, lässt sich allerdings nicht eindeutig beantworten.

Was wollen Rechtsextreme mit diesen Listen?

"Solche Listen hat es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gegeben", sagt Virchow, der unter anderem am Standardwerk Handbuch Rechtsextremismus mitwirkte. 1992 sei beispielsweise eine Schrift mit dem Titel Der Einblick aufgetaucht, in dem zahlreiche Namen und Adressen enthalten waren. Die aktive, bewaffnete Neonazi-Gruppe Combat 18 wollte im vergangenen Jahr sogenannte Todeslisten erstellen lassen und durch Exekutionen und Bombenanschläge einen sogenannten Rassenkrieg auslösen.

Die Listen haben laut Virchow aber grundsätzlich drei Funktionen:

  1. Psychologisch intern: In den Reihen extrem rechter Gruppen sollen sie den Eindruck vermitteln, man kenne "den Gegner" und könne ihn jederzeit angreifen.
  2. Taktisch intern: Sie dienen als Datenbank, über die mögliche Bedrohungen und Angriffe auf die Szene selbst analysiert werden sollen.
  3. Psychologisch extern: Sofern die Listen öffentlich werden, wie im Fall der Nordkreuz-Liste nun geschehen, sollen sie in der Öffentlichkeit für Einschüchterung sorgen.

Wer landet auf einer sogenannten Feindesliste wie aktuell die der Nordkreuz-Gruppierung?

"Auf den Listen können potenziell alle Personen landen, die als ,Feinde des deutschen Volkes' angesehen werden", sagt Experte Virchow. Er zählt auf:

  • Staatsanwält*innen
  • Polizeiangehörige und Richter*innen, wenn sie zum Beispiel das geltende Recht strikt anwenden
  • Politiker*innen, die für eine liberale Migrationspolitik eintreten
  • Jüd*innen und deren Vertretungen und Einrichtungen
  • Muslim*innen und deren Verbände und Einrichtungen
  • Gewerkschaften und migrantische Organisationen
  • Die politische Linke, dazu gehören die Antifa, die Linke, die SPD, die Grünen und aus Sicht der Rechtsextremen zum Teil auch einzelne Politiker*innen der Union und FDP
  • Journalist*innen, wenn sie durch kritische Berichterstattung gegenüber Rechten aufgefallen sind

Auf der Liste aufzutauchen sei möglich, aber nicht sicher. Das hänge davon ab, wie aufmerksam die Sammler*innen seien. "Die Qualität der Listen, also die Aktualität der Angaben und die Konkretheit, etwa mit oder ohne Wohnadresse, ist sehr unterschiedlich", sagt Virchow. Vielfach seien in der Vergangenheit die Adressen aus Telefonbüchern zusammengetragen worden. Zum Teil sei aber auch ersichtlich gewesen, dass Personen in ihrem privaten Umfeld von Rechtsextremen ausgekundschaftet wurden.

Welche Gefahr geht von solchen Listen aus?

Auf die Frage, wie die Bundesregierung die Gefährdung von Personen einschätzt, die auf solchen Listen aufgeführt sind, antwortet sie in vagem Behördensprech: "Ohne detaillierte Hintergrundinformationen zur Intention des jeweiligen Anlegens beziehungsweise Führens einer solchen Liste ist eine Aussage zur Gefährdung Betroffener erst nach einer Einzelfallprüfung und -bewertung möglich."

Laut Martina Renner, stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, ignoriere die Bundesregierung damit bewusst rechtsterroristische Gefahr. Es sei völlig irrwitzig, wenn der Generalbundesanwalt Terrorverfahren führe, aber gefährdete Personen letztlich nicht vom BKA selbst informiert würden. "Hier sind die Sicherheitsbehörden am Zug, die Menschen endlich zuverlässig zu warnen. Man stelle sich vor, auf solch einer Liste zu stehen und im Unklaren gelassen zu werden", sagt Renner. Beschlagnahmte Listen müssten zentral erfasst werden. Renner erinnert an die Opfer des NSU: "Rechte Morde und Anschläge sind eine ganz reale Bedrohung. Das Prinzip Aussitzen darf nicht länger geduldet werden."

Auch der Deutsche Journalistenverband fordert umgehende Aufklärung. Das Anlegen dieser Listen sei kein Hobby wie Briefmarkensammeln, "sondern muss vor dem Hintergrund rechtsextremistischer Gewalttaten alle Alarmsirenen schrillen lassen".

Abgesehen davon, ob und welche Gefahr besteht: Menschen, die auf solchen Listen vorkommen, stehen zumindest im Fadenkreuz von Rechtsextremen, die in ihrem Privatleben herumschnüffeln – diese Tatsache allein dürfte für Betroffene für Unbehagen sorgen. Zu Recht.

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