Dieser Text ist Teil einer Kolumnenserie für ze.tt crime. Eine Anwältin, eine Gefängnisarchitektin und eine Rechtsmedizinerin berichten über ihren Berufsalltag, Themen, die sie beschäftigen, und kuriose Fälle.

Zuerst einmal muss ich gestehen, dass ich seit dem Beginn meiner Arbeit in der Rechtsmedizin keine Krimis mehr im Fernsehen angeschaut habe und auch nur noch ganz wenige gelesen habe. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass sich gerade bei deutschen Fernsehproduktionen die dargestellte Arbeit der Rechtsmediziner*innen teilweise extrem von meiner täglichen Arbeitsweise unterscheidet. Weniger sagen kann ich zu anglo-amerikanischen Produktionen, da sich grundsätzlich die Arbeit und das Berufsbild einer*s Rechtsmediziner*in aus dem deutschsprachigen Raum im anglo-amerikanischen so nicht wiederfinden lässt. Tatsächlich ist das Berufsbild, so wie ich es kenne und täglich erlebe, ein deutschsprachiges Phänomen, das in der Ausprägung nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu finden ist.

Rechtsmediziner*innen sind keine Einzelkämpfer*innen

Was unterscheidet sich aber nun konkret? Meine oder besser unsere tägliche Arbeit ist zuallererst keine One-Man-Show à la Karl-Friedrich Boerne (Münsteraner Tatort). Das soll nicht bedeuten, dass diese One-Man-Show im Fernsehen nicht unterhaltsam ist, sie spiegelt jedoch nicht die Tatsachen wider. Sicherlich ist auch das Fernsehen kein Medium, welches darauf aus ist, die Tatsachen zu 100 Prozent wiederzugeben, da diese nun einmal oft nicht so unterhaltsam sind wie eine überspitzte Version. Wir sind jedoch täglich darauf angewiesen, in einem großen und interdisziplinären Team zusammenzuarbeiten, in welchem jede*r eine spezielle Aufgabe im Rahmen der Ermittlungen hat. Ermittlungstätigkeiten wie die Befragung von Zeugen*innen oder Ähnlichem, gehört hier definitiv nicht zu den Aufgaben der Rechtsmedizin.

Unsere Arbeit ist deutlich blutiger, als das, was man im Krimi so sieht.
Katharina Feld

Rechtsmediziner*innen kümmern sich in diesem Team um alles, was mit der Leiche und möglichen Blutspuren zu tun hat und nur in den seltensten Fällen kommen wir im schwarzen Anzug zum Fundort. An einen Fundort werden wir nur gerufen, wenn es sich mehr oder minder offensichtlich um ein Tötungsdelikt handelt. Dann gilt für alle, die den Fundort betreten, Schutzkleidung (Overall, Überschuhe, Handschuhe und Mundschutz) zu tragen, um sich selbst zu schützen und keine falschen Spuren zu legen.

Was am Fundort der Leiche geschieht

Zudem ist eine Abstimmung über das Vorgehen am Fundort mit der Polizei zwingend notwendig, auch wenn die Polizei oft auf die Einschätzung der Zuständigen für Rechtsmedizin wartet, um Details im weiteren Vorgehen zu planen. Am Fundort selbst kann man anhand der Spuren vor Ort oft schon viele Aussagen treffen. Es wäre jedoch vermessen, bereits am Fundort ohne Obduktion sicher die Todesursache festzustellen oder gar die Todeszeit auf Minuten genau zu bestimmen.

Die Todeszeitbestimmung ist zwar die zentrale Aufgabe am Leichenfundort, jedoch ist die Methodik trotz moderner Technik nicht so genau, wie es in Krimis suggeriert wird. Wir können den Todeszeitpunkt nur auf plus/minus 2,8 Stunden genau bestimmen. Diese Zeitspanne beruht auf einer komplizierten Rechenmethode, auf die ich hier nicht im Detail eingehen möchte. Wenn die Leiche schon anfängt, zu faulen, ist eine genauere Bestimmung der Todeszeit nicht mehr möglich. Das liegt daran, dass sich die Todeszeitpunktbestimmung hauptsächlich auf Phänomene stützt, die nur kurz nach dem Tod auftreten, und Fäulnis ist bereits eine späte Leichenveränderung. Außerdem gibt es bei der Fäulnis kein klassisches, hintereinander gereihtes Auftreten verschiedener Prozesse, da Fäulnis stark von den Umgebungsbedingungen abhängt.

Auch sind wir, bis auf wenige Abriebe für die DNA, nicht mit der Spurensicherung am Fundort betraut. Hierum kümmern sich speziell ausgebildete Polizist*innen, die die gefundenen Spuren auch auswerten, teils jedoch mithilfe unserer DNA-Abteilung und der der Kriminalämter.

Wie die Leiche aufgeschnitten wird

Ist die Leiche dann einmal bei uns im Institut und liegt auf dem Sektionstisch, ist ebenfalls fast alles anders als im Krimi. Auch im Sektionssaal arbeiten wir in voller Schutzausrüstung in bester Beleuchtung und nicht im schummrigen Licht einer einzelnen Lampe, wie es oft in Krimis dargestellt wird. Wichtig ist für uns zu dem Zeitpunkt nicht das möglichst dramatisch wirkende Ambiente, sondern die Tatsache, dass wir gut sehen können und müssen, um Befunde darstellen und dokumentieren zu können. Zumeist kommen in solchen Fällen eines vermuteten oder offensichtlichen Tötungsdeliktes Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft zur Sektion, um sich die Befunde live anschauen zu können. Natürlich ist diese Arbeit deutlich blutiger als das, was man im Krimi so sieht.

Nur ein kleiner Teil meiner Arbeit dreht sich wirklich um medientaugliche Fälle.
Katharina Feld

Schon allein die Schnittführung beim Hautschnitt ist zumindest dort, wo ich arbeite, völlig anders: Nämlich nicht der meist in Krimis dargestellte Y-Schnitt, sondern einer, der vom Mundboden bis zur Symphyse gerade in der Körpermittellinie verläuft. Von dem spannendsten und zeitaufwendigsten Teil unserer Arbeit, der Obduktion selbst, bekommt man im Krimi gar nichts mit. Aus verständlichen Gründen ist dies auch nichts, was man der breiten Masse der Fernsehzuschauer zutrauen möchte beziehungsweise ist es kaum möglich, dies mit Statisten und Requisiten zu realisieren. In der Literatur ist das natürlich viel einfacher.

War Gift im Spiel?

Viele Fragen, beispielsweise nach Schusskanälen oder Stichkanalverläufen, nach Würgen, Drosseln oder anderen Arten von Gewalteinwirkungen lassen sich im Rahmen der Obduktion beantworten. Allerdings schließen sich oftmals neue Fragen an, die weiterer Analysen bedürfen und nicht direkt am Tisch geklärt werden können. Auch die Frage nach einer möglichen Vergiftung lässt sich nicht, wie im Krimi, sofort auf dem Sektionstisch lösen. Hierfür werden im Rahmen der Sektion verschiedene Proben von Organen und Körperflüssigkeiten asserviert und durch die Toxikologie analysiert. Das kann, je nach Aufwand, schon einmal mehrere Wochen dauern. Einfache Fragestellungen, zum Beispiel nach dem Grad der Alkoholisierung oder einer Rauchgasvergiftung, sind deutlich schneller zu beantworten.

Medientaugliche Fälle sind die Ausnahme

Es zieht sich also durch die reale Arbeit der Zeitfaktor hindurch, sprich, es dauert alles etwas länger als im Krimi dargestellt. Zudem dreht sich, ganz nüchtern betrachtet, nur ein kleiner Teil meiner Arbeit wirklich um medientaugliche Fälle. Ob beispielsweise jemand, der*die leblos in einer verschlossenen Wohnung aufgefunden wurde an einem Herzinfarkt oder einer Vergiftung in suizidaler Absicht gestorben ist, interessiert die Medienwelt nun einmal wenig. Das ist nicht der Stoff, aus dem Krimis mit Beststellerpotenzial oder hohen Einschaltquoten gestrickt sind. Das ist aber der Stoff des täglichen Lebens, ebenso wie die Frage nach Fehlern und Versäumnissen im Rahmen einer ärztlichen Behandlung oder die Aufklärung von Verkehrsunfällen. Auch diese Fälle können sehr komplex und zeitaufwendig werden und sind für das persönliche Umfeld der*des Betroffenen sehr belastend.

Was ebenfalls in Krimis völlig unter den Tisch fällt, ist die Tatsache, dass die Rechtsmedizin auch viele Lebenduntersuchungen durchführt, sich Verletzungen von Menschen anschaut, die eine Straftat, beispielsweise einen Messerangriff, überlebt haben. Dies ist notwendig zur Rekonstruktion dessen, was passiert ist, sowie zur Einschätzung der Schwere der Verletzungen, was wiederum für die juristische Würdigung bei Gericht unabdingbar ist. Hierzu gehört auch die Begutachtung von möglichen Verletzungen der*des Tatverdächtigen. Hat beispielsweise jemand, der*die eine*n andere*n mit einem Messer angegriffen hat (ganz egal, ob diese*r nun überlebt hat oder verstorben ist) Verletzungen, die auf das Führen eines Messers zurückzuführen sind? Konkret wären das Schnittverletzungen an den Händen. Oder gibt es noch Hinweise auf andere Gewaltarten, die beispielsweise Rückschlüsse erlauben könnten, dass eine körperliche Auseinandersetzung stattgefunden hat, die in dem Messerangriff gegipfelt ist?

Schlussendlich ist die reale tägliche Arbeit einer*s Rechtsmediziner*in deutlich vielschichtiger, als in Krimis dargestellt. Wir fungieren beispielsweise auch oft als Sachverständige bei Gericht und beraten ärztliche Kollegen*innen zu Fragen bei Verdacht auf Kindesmisshandlung. Wir sind nicht die Schlüsselfiguren der Ermittlungen, sondern ein Teil des Ermittlungsteams – darin jedoch ein Puzzleteil, das nicht fehlen darf.