Jede*r kennt diese Situation: Du läufst eine Straße entlang, den Blick fest aufs Smartphone gerichtet, um ja niemandem direkt in die Augen gucken zu müssen – denn wie wir spätestens seit Harry Potter und die Kammer des Schreckens wissen, kann Augenkontakt tödlich sein. Und warum haben wir die Dinger sonst? Sicher nicht zum Telefonieren.

Wo war ich stehengeblieben? Achja, beim Laufen: Ich laufe also nichts ahnend und nichts wollend den überfüllten Bürgersteig entlang, als mir aus dem Nichts ein "Hey, na? Wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Wie geht's dir denn?" entgegenschallt und ich just in der Sekunde schon bereue, keine Kopfhörer als sozial verträgliche Ausrede in den Ohren zu haben. Die Person, die es gewagt hat, mich aus der digitalen zurück in die reale Welt zu katapultieren, ist eine Partybekanntschaft. Nennen wir sie, ganz geschlechtsneutral, Alex. Alex möchte sich jetzt also mit mir unterhalten – mitten auf dem Gehweg, in der heißen Mittagssonne, über mein Befinden.

Kurz denke ich über die Frage nach: "Wie geht's dir denn?", möchte Alex wissen. Ich höre in mich hinein, atme tief durch. Ja, wie geht es mir denn eigentlich? Will Alex das wirklich wissen? Interessiert sich Alex tatsächlich für mein Befinden, meine Laune, meinen Gemütszustand? Soll ich jetzt mal auspacken, so einen richtigen Seelenstriptease machen, erklären, wie beschissen mein bisheriger Tag lief, dass ich mir heißen Kaffee übers Shirt gekippt habe, dass kein Brotaufstrich mehr im Kühlschrank war, dass ich einen Mordskater vom Rotwein habe, den ich mir gestern Nacht allein reingekippt habe, dass mein letztes Posting auf Instagram viel weniger Likes gebracht hat, als ich erhofft habe? Nein, ich glaube, das interessiert Alex nicht. Alex will nämlich keine ehrliche Antwort. Alex will Smalltalk mit mir führen.

"Ja, muss ja, ne?"

Es gibt wenige Dinge, die ich so sehr verabscheue wie Smalltalk. Ich kann und will ihn einfach nicht. Diese leeren, uninteressanten Floskeln: "Hey, na?", "Alles gut?", "Ja, klar.", "Ja, muss ja, ne?", "Jaja, muss. Aber wird ja.", "Und sonst?", "Ja, alles super. Was macht das Leben?", "Du, alles tip top, kann nicht klagen.", "Ach schön!", "Ja, schön!", "Bei dir so?", "Nee, auch alles gut.", "Kein Wunder bei dem Wetter, was?", "Ja, das ist wirklich schön.", "Wurde ja auch mal Zeit. Langer Winter gewesen.", "Kannste laut sagen.", "Was macht die Uni?", "Ja, wie immer.", "Und die Arbeit.", "Ja, anstrengend, aber nett." Diese nichtssagenden Konversationen ziehen sich in etwa so lang wie ein Abend in der Oper. Unfassbar zäh, unfassbar nervig, wie ein Kaugummi, den man nur noch im Mund hat, weil weit und breit kein Mülleimer zu sehen ist und man zu gut erzogen wurde, um ihn einfach auf die Straße zu spucken.

So auch mit Alex: Es ist nicht so, dass ich unter Zeitdruck stehen würde oder dringend weiter müsste, ich habe nur einfach keine Lust auf diese Situation. Für mich ist schlechter Smalltalk vergeudete Lebenszeit, die ich sinnvoller hätte nutzen können: In den vier Minuten unangenehmen Rumgestammelns hätte ich Instagram durchscrollen, eine Zigarette rauchen oder darüber nachdenken können, wie es mir eigentlich wirklich so geht. Wahrscheinlich ist Smalltalk eine Typfrage und ich bin einfach nicht dafür gemacht; vielleicht müsste man mir das mal beibringen, dieses freundlich-oberflächliche zwischenmenschliche Geplänkel, denn es hat ja auch Vorteile. Irgendwie finde ich es ja auch beneidenswert, mit jeder noch so entfernten Person ein Gespräch anfangen zu können – ohne, dass diese unangenehme Stille entsteht; vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu misanthropisch für sowas.

Real Talk, Alex!

Ich führe lieber gute, lange Gespräche, mit netten, interessanten Menschen. Nehme mir Zeit für diese Gespräche und im Nachhinein auch etwas daraus mit. Denn sind wir doch mal ganz ehrlich: Alex, du interessierst dich einen Scheiß für mich. Wir haben uns einmal auf irgendeiner schlechten WG-Party kennengelernt, wo ich den ganzen Abend neben der Bowleschüssel verbracht habe. Von daher ist es sowieso mehr als erstaunlich, dass ich dich überhaupt noch erkenne, geschweige denn, dich einordnen kann. An dem Abend haben wir uns wahrscheinlich über den*die gemeinsame*n Freund*in unterhalten, ein Thema, das uns verbindet. Der*die ist jetzt aber gerade nicht bei uns, hier, in Neukölln, auf einem total überlaufenen Gehweg. Du machst das doch gerade nur, weil du denkst, dass man das eben machen muss, dass sich das sogar gehört, dass man eben freundlich ist.

Immer wieder kommt es dadurch zu diesen unangenehmen Situationen, in denen man einer Person begegnet und auf einmal diesen Zwang verspürt, stehen zu bleiben. Meist ist es mit einem Zögern verbunden, wie im Western: Wer zuerst stehen bleibt, hat verloren. Und dann beginnt eine lustige Achterbahnfahrt der Belanglosigkeit. Mir reicht es in solchen Situationen, in denen man Menschen begegnet, die man ganz sicher nicht mit dem Prädikat 'befreundet' auszeichnen würde, wenn man sich einfach nur freundlich zunickt oder "Hallo" sagt.

Alex, bitte sei mir nicht böse, aber nächstes Mal nicken wir uns einfach nett zu und gehen weiter, einverstanden? Denn ich, ich fühle mich jetzt irgendwie unangenehm berührt und möchte mir die leeren Phrasen, die wir uns in den letzten paar Minuten an den Kopf geworfen haben, gerne mit viel, viel Seife abwaschen. Danke.

Unser Autor beschwert sich gerne über Dinge, die es gar nicht wert sind. In unserer Reihe #RegDichAb sammelt er trotzdem, was ihn so nervt.