Zugegeben: Ordnung ist nicht unbedingt sexy und die damit verbundene Eigenschaft steht sicher nicht ganz oben auf der Wunschliste, wenn wir uns den*die ideale*n Partner*in oder Mitbewohner*in vorstellen. Dennoch kann sie in jeder Beziehung zum Stolperstein werden. Denn Studien zeigen, dass die unterschiedliche Auffassung von Ordnung einer der häufigsten Streitpunkte bei Paaren ist. Kein Wunder, dass auch in Wohngemeinschaften beim Thema Putzplan oft die Fetzen fliegen. Doch brauchen wir Ordnung überhaupt? Und wie können wir uns selbst motivieren, um in Ordnung zu leben?

Eine, die Antworten auf diese Fragen hat, ist Ursula Kittner. Ordnung zu schaffen ist ihr Job; früher als Angestellte in Personalabteilungen, heute vor allem in Privathaushalten. Dort hilft sie, das Chaos zu bändigen, ob online oder direkt vor Ort. Sie entrümpelt mit ihren Klient*innen Kleiderschränke, räumt Küchen um, sortiert deren Zettelwirtschaften und erarbeitet mit ihnen individuelle Strukturen und Systeme, mit denen sie dann allein weitermachen können.

Während es den meisten schon reicht, sich um den eigenen Kram zu kümmern, blüht die Ordnungsexpertin im Wust fremder Menschen auf. In ihrer Selbstständigkeit hat sie, nach fast 30 Jahren Büro, ihre Erfüllung gefunden, weil sie "endlich eigenständig denken und wirklich etwas bewegen kann", wie sie sagt. Denn Unordnung raube uns viel Zeit, Geld, Energie und der damit verbundene Stress Lebensqualität und so fühlten sich viele Kund*innen nach ihrem Besuch regelrecht befreit.

Ordnung ist, dass jedes Ding seinen Platz hat und ich diesen Platz kenne.
Ursula Kittner

Einen Hang zur Ordnung hatte Kittner schon immer: "Ich erinnere mich an eine Szene in meiner Kindheit: Eine Freundin zog ihren Pulli auf links aus und warf ihn einfach auf den Boden. Ich hingegen legte meinen ordentlich gefaltet ab, Kante auf Kante." Supermärkte haben es ihr besonders angetan, sie liebe das Gefühl durch wohlsortierte und exakt eingeräumte Regale zu gehen. Zwanghaft sei ihre Ordnungsliebe aber nicht, denn bei anderen könne sie Unordnung problemlos ertragen, ohne alles geraderücken zu müssen. Und auch sie habe noch unangetastete Kisten im Keller, wisse allerdings genau, was darin zu finden ist. Genau das bedeutet für sie Ordnung: "Dass jedes Ding seinen Platz hat und ich diesen Platz kenne. Und dass ich nur Dinge besitze, die ich liebe, beziehungsweise wirklich benutze. Ordnung soll das Leben erleichtern."

Expert*innen seien sich einig, dass Ordnung wichtig für unser inneres Gleichgewicht und das sogenannte kreative Chaos meist eine Ausrede sei. Chaotischen Menschen auf den Zahn gefühlt, käme oft heraus, dass sie sich in ihrem Durcheinander nicht wirklich wohlfühlen. "Wenn eine gewisse Ordnung da ist, können wir uns aufs Wesentliche konzentrieren und dann hat unser Geist auch den Raum, sich zu entfalten", so Kittners Meinung.

Das "Zu viel" in unserem Leben verursacht Chaos

In ihrem Berufsalltag beobachtet Kittner, dass wir zu viel unnötigen Krempel anhäufen. Nicht umsonst singen Silbermond darüber, dass es sich mit "leichtem Gepäck" besser lebt. Das Überangebot unserer Konsumgesellschaft sei auf jeden Fall ein Grund für Unordnung. Kittner erzählt von Menschen, die abgenutzte oder gar kaputte Gegenstände zwar durch neue ersetzen, aber die alten nicht wegwerfen, weil sie die ja irgendwann nochmal brauchen könnten. So häufen sich schnell zehn oder mehr ausrangierte Handys an, von Sammelleidenschaften ganz abgesehen. Hinzu kommt, dass Unternehmen bei uns den Wunsch nach Dingen wecken, den wir ohne Werbung gar nicht hätten. Überflüssige Haushaltshelfer wie Apfelzerteiler oder Melonenschneider lassen grüßen. Häufig überfordere auch der niemals endende Papierkram, ob es nun Versicherungsunterlagen, offizielle Schreiben oder Rechnungen sind. Viele wüssten nicht, was wichtig ist und was in "Ablage P" wandern kann.

Es gibt aber noch weitere Gründe, warum Menschen den Überblick verlieren. Die Düsseldorferin beobachtet zum Beispiel, dass viele im Job ordentlich sind, aber nach Feierabend keine Lust haben, auch noch zu Hause aufzuräumen. Durch das wachsende Arbeitspensum, Kind und Karriere, die Verschmelzung von Arbeit und Freizeit, auch durch die Ablenkung der digitalen Medien bliebe kaum noch Zeit zum Aufräumen und Ausmisten.

Nicht selten ist das heimische Chaos auch krankheitsbedingt: "Wenn jemand eine Depression oder ein Burnout hat, ist Aufräumen das Letzte, was er*sie tut", sagt die "Ordnungstante", wie Kittner sich selbst gern nennt. Auch der Verlust eines geliebten Menschen und andere Schicksalsschläge könnten aus ordentlichen Menschen im schlimmsten Fall Messies machen. Gerade das Loslassen von erinnerungsbehafteten Gegenständen sei für viele eine Herausforderung.

Ordnung können und müssen wir lernen

Und dann gibt es auch noch diejenigen, die nie gelernt haben, wie Ordnung geht. Denn ob jemand ordentlich ist oder nicht, sei nicht genetisch bedingt, sondern Erziehungssache. "Wenn ich einem Kind sage 'Räum auf', ihm aber nicht zeige, wie das geht, wie soll es dann lernen, wie Ordnung funktioniert? Eltern sollten bestimmte Systeme vorleben und mit ihren Kindern üben", sagt die 49-Jährige. Doch auch im späteren Leben können wir Ordnung noch lernen: "Es gibt in Büchern und im Netz sehr viele Anleitungen und Tipps, aus denen man sich das Passende heraussuchen kann. Außerdem kann man auch Freund*innen fragen oder Leute wie mich um Hilfe bitten."

Doch den meisten fällt es schwer, zuzugeben, dass sie ihren Haushalt nicht mehr im Griff haben. Nicht selten führe Unordnung auch in soziale Isolation, weil die Betroffenen sich schämen. Der Gedanke, dass man es eigentlich endlich angehen müsste, werde zur permanenten Belastung. Denn je größer das Chaos sei, desto größer sei die Angst, sich diesem zu stellen. Dann sei es wichtig, überhaupt anzufangen. Möglichst kleine Einheiten zu bilden und sich Stück für Stück vorzuarbeiten. Also erst eine Schublade, dann die nächste, dann das Regal, die Kiste usw. Wer das allein nicht hinkriege, könne sich Unterstützung holen.

Aufräumen und Ausmisten: So geht es leichter

Denjenigen, die dagegen das lästige Fensterputzen vor sich herschieben, empfiehlt Kittner, feste Termine einzuplanen, sich eine Belohnung in Aussicht zu stellen und ungeliebte Aufgaben nicht alle auf einmal anzugehen. Sich das Gefühl vorzustellen, es geschafft zu haben, sei eine gute Motivation. Oft helfe auch das Commitment gegenüber anderen. Wir könnten uns zum Beispiel mit einem*einer Freund*in zusammentun und gemeinsam erst bei ihm*ihr, dann bei uns für Ordnung sorgen.

Eine Mutter, die ständig vorwurfsvoll die Nase über das Chaos ihres Nachwuchses rümpft, ist wenig hilfreich.
Ursula Kittner

Das funktioniere besonders gut beim Ausmisten, weil andere rationalere Entscheidungen fällen als wir selbst. Doch Vorsicht bei Familienmitgliedern: "Eine Mutter, die ständig vorwurfsvoll die Nase über das Chaos ihres Nachwuchses rümpft, ist wenig hilfreich", sagt Kittner und lacht. Sie hat ihre eigenen Tricks, beim Loslassen zu helfen. Wenn die Frage, wann Gegenstände zuletzt benutzt worden seien, nicht zieht, bittet sie ihre Kund*innen auch mal, betreffende Klamotten anzuziehen oder lässt sie Dinge fotografieren, bevor sie in den Müll wandern.

(Un-)Ordnung im Außen und Innen hängen oft zusammen

Der psychologische Aspekt von Kittners Arbeit sei nicht zu unterschätzen. Hänge Unordnung nicht ausschließlich mit Zeitmangel zusammen, wobei auch das eine Frage der Prioritäten sei, gäbe es fast immer einen Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Ordnung. "Das eine wirkt sich oft auf das andere aus", erzählt die Expertin. Nicht umsonst gleichen die Zimmer von Pubertierenden oft Müllhalden. Sie stelle immer wieder fest, dass sich durch klare Strukturen im Außen auch im Innern ihrer Klient*innen Dinge klären würden und umgekehrt. Was aber nicht zwangsläufig heiße, dass jeder ordentliche Mensch eine aufgeräumte Seele habe und jeder chaotische durcheinander sei.

Die Fragen, die sich jede*r stellen sollte, seien eher: Wie will ich leben? Wie wirkt sich (Un-)Ordnung auf mich aus? Will ich etwas ändern? Denn es gäbe auch sogenannte Chaosresistente. Als Partner*in oder WG-Mitbewohner*in von eher ordentlichen Menschen seien die denkbar ungeeignet. "Natürlich kann jede*r in seinem*ihrem eigenen Bereich machen, was er*sie will. Aber wenn in einer Gemeinschaft keine Regeln befolgt werden, funktioniert sie nicht", sagt Kittner.

Drüber reden hilft: Tipps im Kampf gegen das WG-Chaos

Die klare Kommunikation darüber, wie man sich das Zusammenleben und damit auch Punkte wie Ordnung und Sauberkeit vorstellt, sei daher elementar und am besten auch schon beim Bewohner*innen-Casting zu klären. Das wirke zwar etwas spießig, aber ohne Regeln ginge es nicht.

Der berühmt-berüchtigte Putzplan sei tatsächlich eine sinnvolle Maßnahme, sofern jedem*jeder WG-Bewohner*in klar sei, was mit den einzelnen Aufgaben im Detail gemeint ist, schließlich habe jede*r eigene Vorstellungen von Ordnung.

Bei der Verteilung der Aufgaben könne man ruhig kleinteilig vorgehen und sich nach Vorlieben richten. Wenn es jemand zum Bespiel hasst, die Toilette zu putzen, wird er*sie es dementsprechend machen oder gar ganz lassen. Er*sie könne stattdessen Aufgaben übernehmen, die andere nicht so gern tun. Ein Punktesystem könne zusätzlich anspornen: Wer zum Beispiel am Monatsende eine bestimmte Punktzahl nicht erreicht hat, muss zur Strafe Pizza ausgeben oder ähnliches.

Habe jemand überhaupt keine Lust zum Putzen und Aufräumen, könne er*sie seinen*ihren Part auch outsourcen, indem er*sie eine Putzhilfe engagiert oder einen Deal mit einem anderen WG-Mitglied schließt. Das kann dann so aussehen, dass er*sie beim Putzen raus ist, dafür aber das Fahrrad oder das Auto des anderen wartet, die Steuer erledigt etc.

Ordnung ist das halbe Leben, heißt es. So weit geht Ursula Kittner nicht. Aber für sie steht fest: Wer sein Leben in Ordnung bringt, hat mehr davon: mehr Zeit, mehr Platz, mehr Geld, mehr Energie und mehr Klarheit.

Außerdem auf ze.tt: Diese Bilder zeigen, wie beruhigend Ordnung sein kann