"A cidade maravilhosa" – die wunderbare Stadt, so nennen die Brasilianer Rio de Janeiro. Und das ist sie wirklich, wie man unschwer erkennen kann:

Aber es gibt trotz allem gleichzeitig auch unzählige, unfassbar massive Probleme und sowohl die Verwaltung Rios als auch die brasilianische Regierung können sie nicht mehr bewältigen.

Vier Wochen vor dem Start der Olympischen Spiele sieht es in Rio dramatisch aus:

Nicht nur die Stadt und der Bundesstaat Rio – ganz Brasilien steckt in einer handfesten Krise.

Gegen Präsidentin Dilma Rousseff läuft ein Amtsenthebungsverfahren. Sie wurde im Mai suspendiert. Unter ihrer Führung sind mehrere gigantische Korruptionsskandale öffentlich geworden, in die auch Rousseffs engste Vertraute verwickelt waren. Ende August, also nach den Spielen, entscheidet das Parlament endgültig über ihre Absetzung.

Zudem stützt sich Brasiliens Wirtschaft hauptsächlich auf Öl. Da der Ölpreis in den vergangenen zwei Jahren aber gesunken ist, sind auch die Einnahmen gesunken. Brasilien befindet sich in einer langanhaltenden Rezession, die Wirtschaft schrumpfte 2015 um 3,8 Prozent.

Damit die Spiele stattfinden können, hat der Bundesstaat Rio de Janeiro den finanziellen Notstand ausgerufen – so etwas passiert sonst bei Naturkatastrophen.

Was denken und fühlen junge Menschen in Rio?

Wir haben drei Brasilianerinnen aus zwei von Rios von Drogengangs befreiten Favelas gesprochen. Niemand weiß, wie es nach den Spielen für sie weitergehen wird. Sie erzählen uns, was sie von Olympia halten, was sie sich wünschen und wovor sie sich fürchten.

Nathalia Macedo Biliani, 19, Studentin und Verkäuferin aus Vidigal

"Ich freue mich absolut nicht auf Olympia. Die Spiele kosten uns viel mehr, als wir bezahlen können. Unser Land gibt dafür Gelder aus, die wir so dringend für Bildung und Gesundheit bräuchten. Das ist doch viel wichtiger als Sport!"

Nathalia ist auch nicht überzeugt vom Befriedungs-Programm der UPP (Unidade de Polícia Pacificadora): "Ich lebe schon mein ganzes Leben in Vidigal und aus meiner Sicht hat sich durch das Programm, ehrlich gesagt, nicht viel geändert. Die Polizei respektiert die Menschen hier genauso sehr wie umgekehrt – nämlich gar nicht. Es gibt absolut keinen gegenseitigen Respekt."

Für sie als Studentin mit Nebenjob ist vor allem die Inflation ein Riesenproblem. "Alles ist einfach furchtbar teuer geworden, das ist echt schwer. Ich hoffe, dass die Touristen, die jetzt kommen, irgendwie der Wirtschaft auf die Beine helfen können."

Maryanne dos Santos, 28, Verwaltungsassistentin bei einer NGO aus Rocinha

"Ich denke, wir haben wichtigere Dinge als Olympia, die uns beschäftigen sollten. Wir haben nicht mal Bildung, ein Gesundheitssystem oder ausreichende Sicherheit. Wir haben Geld für gar nichts. Die Stadt ist ein totales Chaos! Als Rio für die Spiele nominiert wurde, war die Bevölkerung noch optimistisch. Wir dachten, dadurch entstünden Arbeitsplätze, bessere Infrastruktur, Chancen für alle. Aber öffentliche Gelder wurden veruntreut. Denn das größte Problem in Brasilien ist die Korruption. Die meisten Politiker interessieren sich nicht für das Volk."

Mary lebt in Rocinha, der größten Favela Rios. Sie geht mit dem Programm zur Befreiung der illegalen Siedlungen von Drogengangs hart ins Gericht: "Das Programm hätte gut für alle sein können, aber die Realität sieht anders aus. Polizeipräsenz allein reicht nicht, es gab keine Investitionen in soziale Projekte. Dabei brauchen wir mehr Schulen und nicht mehr Gefängnisse! Doch unsere Regierung interessiert sich nicht für die Sicherheit der Menschen in den Favelas. Sie interessiert sich nur für die Sicherheit der Leute, die wegen Olympia hierherkommen."

"Jeden Tag verlassen wir das Haus in Angst und ohne zu wissen, ob wir lebend zurückkommen werden. Ich hoffe, dass die Politik in diesem Land wieder ernst genommen wird und dass die Menschen sich von Politikern wieder vertreten fühlen. Jedenfalls habe ich genug von unseren Politikern."

Trotzdem bleibt Mary verhalten optimistisch: "Ich glaube, wenn jeder seine Einstellung im Kleinen ändert, werden wir in der Lage sein, unser Land zu verändern."

Victoria Almeida Botelho, 19, Studentin und Rezeptionistin aus Vidigal

"Irgendwie freue ich mich doch ein bisschen auf die Spiele. Wenn wir etwas aus der Weltmeisterschaft gelernt haben, dann dass wir wissen, wie man eine Show abzieht, um Großveranstaltungen nicht zu verderben."

Das zeigt auch die Errichtung einer Mauer entlang der Autobahn vom Flughafen in die Stadt:

Victoria: "Ehrlich, es laufen grad so viele Dinge in Brasilien schief – es ist schwer, auch nur einige davon aufzuzählen. Ich bin jemand, der sich lieber aus der Politik raushält, so wie die Mehrheit in Brasilien – genau DAS ist eines unserer größten Probleme."

Für sie war das Programm der UPP ein Segen. "Ich erinnere mich, dass ich vor der Befriedung jeden Morgen aufgewacht bin und nicht wusste, ob ich rechtzeitig für meine Lieblings-Fernsehshow wieder zu Hause – oder schlimmer – noch am Leben sein würde oder nicht", erzählt Victoria. "Jetzt habe ich das Recht, kommen und gehen zu können, wann ich will. Ich kann bis sechs Uhr früh in Clubs gehen und muss mir keine Gedanken darüber machen, ob ich beim Nachhausekommen eine Leiche vor meiner Tür finde."

Natürlich denkt sie auch an die Zeit nach Olympia, wenn die Augen der Welt wieder woanders hinschauen. Dass ihr Zuhause Vidigal von Drogengangs zurückerobert werden könnte, hält sie für unwahrscheinlich: "Ich mache mir viel mehr Sorgen um die anderen Favelas. Vidigal ist eine der wenigen, die wirtschaftlich funktionieren. Es gibt hier viel Tourismus mit über 30 Hostels und einem Fünf-Sterne-Hotel, neuen Bars und Restaurants. Die Chancen stehen gut, dass die Verwaltung diese Favela halten wird. Sicher weiß ich das natürlich nicht. Und das gilt längst nicht für alle anderen Gemeinden. Denn weil die Regierung pleite ist, kann sie Polizisten nicht bezahlen und so ein teures Projekt dauerhaft nicht finanzieren."

Aber auch Victoria versucht, trotz aller Sorgen und Ängste positiv zu bleiben: "Schlussendlich werde ich keine große Wahl haben, also werde ich einfach weitermachen. Es wird schon gut gehen. Wir haben vielleicht einen Haufen Probleme, aber dieses Land ist einzigartig. Und es sind die Menschen, die es so besonders machen."