Biopics über Rockstars sind einigermaßen sichere Nummern. Immerhin können die Macher*innen davon ausgehen, dass die Fans der porträtierten Musiklegenden ins Kino strömen. Doch wie lebensnah sind solche biografisch geprägten Filme? Was sagen sie uns über die Themen Selbstfindung, Selbstdarstellung und den Umgang der Gesellschaft mit Menschen, die sich verbiegen müssen, um in einer milliardenschweren Branche Erfolg zu haben? Leider nicht viel, wie vergangenes Jahr Bohemian Rhapsody und jetzt Rocketman beweisen. Statt sich vor allem mit Identität und den schwierigen Seiten des globalen Erfolgs intensiver zu beschäftigen, zieht es Hollywood vor, an der Oberfläche zu bleiben und bei den intimen Momenten mehr auf die Tränendrüse zu drücken, statt ein differenzierteres Bild zu zeichnen.

Gerade bei den schillernden und scheinbar starken Charakteren wie Freddy Mercury und Elton John weiß der*die Zuschauer*in, dass deren Leben nicht immer einfach war. Aber im Film kommen gerade diese Momente, in denen man den Stars ganz nah kommen könnte, zu kurz. In Rocketman wird die Vater-Sohn-Beziehung maßgeblich für Elton Johns Verhalten, sowohl auf der Bühne als auch hinter ihr, beschrieben. Auf diese Behauptung kommt der Film zwar immer wieder zurück, in der notwendigen Tiefe erzählt wird die Geschichte allerdings nicht, sondern vor allem überdramatisiert: So eisern, wie Elton Johns Vater dargestellt wird, soll er gar nicht gewesen sein.

Statt sich differenziert mit der Beziehung von Elton John zu seinen Freund*innen und Bekannten auseinanderzusetzen, konzentrieren sich Regisseur Dexter Fletcher und die Produzenten auf das, was die Kinokassen klingeln lässt: Unterhaltung. In überladenen Bildern und mit zahlreichen Elton-John-Hits aus allen Boxen rutscht Rocketman allzu oft in das Genre Musicalfilm ab. Da beginnen plötzlich die Besucher*innen eines Jahrmarktes zu tanzen, eine Barschlägerei wird zur Tanzchoreografie, selbst der Abtransport von Elton John ins Krankenhaus ist eine Musicalnummer. Das mag zwar kurzfristig Fanherzen zufrieden stellen, ins Langzeitgedächtnis schafft es Rocketman als Biopic dadurch allerdings nicht.

Die leisen Momente machen die Musik

Dabei sind es gerade die leisen Augenblicke, die uns ganz nah an die Rockstars herankommen lassen, eine Verbundenheit herstellen und sie wieder zu ganz normalen Menschen werden lassen. Denn genau das sind Freddy, Elton und Co.: Menschen, die manchmal überfordert sind von der Last, ständig im Rampenlicht zu stehen, von Fans nur aufgrund einer Fassade geliebt zu werden oder davon, den falschen Menschen zu vertrauen.

Doch diese Momente werden zu wenig beleuchtet. Rocketman fühlt sich oftmals so an, als könne sich Elton John, der als ausführender Produzent natürlich auch immer am Set war, nicht entscheiden, welche Geschichte er erzählt haben möchte. Das ist allzu verständlich, denn schließlich warten viele Zuschauer*innen und Fans ja auch nur auf die Hits, die sie in den Kinositzen leise jubeln und mitsingen lassen. Aber die stillen, äußerst traurigen und deprimierenden Situationen, in denen Elton John mit sich selbst und der Suche nach Identität ringt, müssen direkt wieder dem nächsten überspannten Rockstarmoment weichen.

Wer hoch fliegt, fällt tief

Hauptdarsteller Taron Egerton geht zwar gerade dann ab wie eine Rakete und überzeugt auf ganzer Linie in der Umsetzung des schillernden Rockstars, aber genau er hätte dieser Verletzlichkeit mehr Ausdruck verleihen können. Hätte man ihn nur gelassen. Das ist übrigens dasselbe Problem, das Rami Maleks Freddy-Umsetzung hatte: Statt ihm einen Oscar dafür zu geben, wie überzeugend er Freddy Mercury in den verwundbaren Momenten gespielt hat, konzentrierte man sich darauf zu betonen, wie ähnlich sich Original und Schauspieler gesehen haben.

Die Frage, die sich schlussendlich immer stellt, ist die, was Filmemacher*innen mit ihren Werken erreichen und Kinogänger*innen sehen wollen: Geht es um die reine Unterhaltung, so sind Rocketman und Bohemian Rhapsody durchaus Streifen, die man sich angucken kann und damit glücklich wird. Geht es aber darum, Themen wie Absturz, Selbstdarstellung und die Frage nach einer Gesellschaft, die in der Musikwelt vor allem auf schillernde Persönlichkeiten steht, zu behandeln, so schwächeln diese Unterhaltungsfilme. Und das sind sie schlussendlich: Unterhaltungsfilme und keine Biopics.

Dabei gibt es auch Biopics, wie Born to be Blue, die gleichzeitig unterhalten, aber auch ganz intim und eindrucksvoll die Geschichte von Überfliegern, in diesem Fall von Jazzlegende Chet Baker und deren tiefem Fall, erzählen können. Nur mit dem Unterschied, dass man nicht auf pure Unterhaltung, sondern vor allem auf die Persönlichkeit des Stars setzt. Freddy und Elton haben sie, definitiv, aber wir hätten in den Tribute-Filmen gerne mehr davon gesehen.

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