In einer Therapie ist es wichtig, genau auf die Bedürfnisse des*r Patient*in eingehen zu können. Darum veröffentlicht die American Psychological Association, kurz APA, seit Jahren Richtlinien für Psycholog*innen, die dabei helfen sollen, die Probleme der Patient*innen auch gesellschaftlich und strukturell einordnen zu können. Eine Bevölkerungsgruppe fehlte dabei bisher: Männer und Jungen.

Die Tatsache, dass es keine expliziten Empfehlungen für die Behandlung von männlichen Personen gab, lässt sich dadurch erklären, dass diese historisch als die Norm angesehen wurden. Wer den Richtwert stellt, braucht keine expliziten Behandlungsansätze, so die Begründung. Doch das hat sich nun geändert. Nach über 40 Jahren der Forschung veröffentlichten die Wissenschaftler*innen der APA im letzten Jahr einen Leitfaden, mit dem problematische Verhaltensmuster und gesellschaftlich geprägte Verhaltensweisen erkannt werden können. Sie sollen Psycholog*innen bei einer  sogenannten geschlechts- und kulturspezifischen psychologischen Behandlung unterstützen.

Typisch Mann?

Die Wissenschaftler*innen kamen zu der Erkenntnis, dass traditionelle Männlichkeitskonzepte, oft als toxische Männlichkeit bezeichnet, in einem negativen Zusammenhang mit psychischer Gesundheit stünden. Laut der Richtlinien der APA variiert das Verständnis davon, was als männlich gilt, zwischen verschiedenen Altersgruppen oder sozialen Schichten. Doch Eigenschaften wie ein ausgeprägtes Leistungsdenken, die Vermeidung von Schwäche, einer höheren Risikobereitschaft, die Tendenz zur Gewaltbereitschaft und die Abwertung von Weiblichkeit wurden gruppenübergreifend mit einem traditionellen Verständnis von Männlichkeit zusammengebracht.

Solch ein Männlichkeitskonzept kann dazu führen, dass es männlichen Personen aus Angst, als schwach dazustehen, schwerer fällt, eine*n Therapeut*in oder eine*n Ärzt*in aufzusuchen. Es kann ungesunde Lebensentscheidungen begünstigen und dazu führen, dass eher zu einer Bulette und einem Bier gegriffen wird als zu einem Smoothie. Es kann dazu führen, dass Ängste und Trauer nicht ausgelebt werden. Kurz: Es kann Männer krank machen.

Doch dagegen möchte die APA nun vorgehen. Die Ergebnisse der Studie wurden in zehn Richtlinien zusammengefasst, die bei der psychischen Behandlung von Männern und Jungen beachtet werden sollten. Sie sollen Psycholog*innen außerdem dazu animieren, sich mit ihren eigenen Rollenbildern auseinanderzusetzen. Auch wenn sich die Regeln in erster Linie an Therapeut*innen richten, lassen sie sich auch in unserem Alltag anwenden. Wir haben die Richtlinien für euch zusammengefasst:

1. Erkennt an, dass Männlichkeit ein Konstrukt ist, das auf sozialen, kulturellen und kontextuellen Normen beruht

Klassisch männliche Eigenschaften gibt es nicht. Was wir als männlich verstehen, ist geprägt von unserem Umfeld und der Gesellschaft, in der wir leben.

2. Männlichkeit ist nicht eindimensional

Im Laufe unseres Lebens entwickeln Menschen verschiedene soziale Identitäten. Beim Sport werden andere Persönlichkeitsaspekte ausgelebt als im Freundeskreis oder in einer Partnerschaft. Jede dieser Identitäten hat ihre Berechtigung und ist ein gleichrangiger Teil des Charakters.

3. Erkennt an, dass Sexismus, Privilegien und Machthaben Einfluss auf euer Leben haben

Der Geburtsort, die Hautfarbe und das Geschlecht spielen entscheidende Rollen, wenn es um die Möglichkeiten geht, die einem Menschen im Laufe seines*ihres Lebens geboten werden. Erkennt eure Privilegien an, reflektiert eure Macht und nutzt den Einfluss, den ihr habt, um eine gerechtere Welt möglich zu machen.

4. Seid positive Vaterfiguren für eure Kinder

Bringt euch ein! So lautet ein Tipp der APA an alle Väter. Denn die Überwindung von Geschlechterrollen gelingt nur, wenn Kindern gleichberechtigte Partnerschaften vorgelebt werden und sie positive Vorbilder haben.

5. Gefühle sind für alle da

Männer weinen, Männer sind verletzlich und wollen sich geborgen fühlen. Denn Emotionen sind menschlich.

6. Findet Bewältigungsstrategien

Leider ist Punkt 5 noch nicht überall angekommen. Viele Männer und Jungen lernen, starke Emotionen eher in Aggression als in Trauer auszudrücken. Doch damit verletzen sie Menschen in ihrer Umgebung und sich selbst. Reflektiert eure Gefühle und sucht euch Unterstützung, um gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

7. Traut euch, euch um eure Gesundheit zu sorgen

Eure Männlichkeit ist nicht in Gefahr, nur weil ihr regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen geht, euch gesund ernährt oder meditiert. Versprochen. Und wer Angst vor Ärzt*innen hat, kann einfach jemanden mitnehmen, der*die ihm die Hand hält.

8. Setzt euch für die Überwindung von Geschlechterklischees ein

Nochmal zur Erinnerung Punkt 1: Männlichkeit ist ein Konstrukt. Genauso wie Weiblichkeit oder die Annahme, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Ganz ehrlich, wenn jede Person endlich genau so sein kann, wie sie möchte, ist damit allen geholfen. Also bringt euch aktiv in den Kampf um die Überwindung von Geschlechterklischees ein.