Er wird rund um die Uhr beobachtet. Die Polizei hört sein Telefon ab, die Wohnung ist verwanzt, die vermeintlichen Nachbar*innen sind Geheimagent*innen. Es klingt wie Szenen aus einem Actionfilm und doch ist es Realität. Realität für Menschen, die an einer Schizophrenie erkrankt sind.

Aktuell betrifft das in Deutschland laut Bundespsychotherapeutenkammer etwa 800.000 Menschen. Die Krankheit, die bei etwa einer von hundert Personen im Laufe ihres Lebens auftritt, hat die Medizin lange vor viele Rätsel gestellt. Ohne die Schizophrenie in all ihren Facetten durchdrungen zu haben, gestaltet sich eine eindeutige Diagnose sowie optimale Behandlung schwierig.

In den vergangenen Jahren ist es Mediziner*innen jedoch gelungen, der Entschlüsselung dieser komplexen Krankheit entscheidende Schritte näherzukommen. Forschungsaktivitäten fokussieren sich dabei auf die unterschiedlichsten Aspekte. So zeigt eine aktuelle Studie aus Toronto, dass Schizophrene anders auf Stress reagieren als gesunde Patient*innen. In einem Stresstest wurden 14 schizophrene Personen, 14 Personen mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung einer Psychose und zwölf gesunde Menschen miteinander verglichen. Die Forscher*innen konnten nachweisen, dass die Ausschüttung verschiedener Stresshormone bei Schizophrenen im Gegensatz zu den beiden anderen Vergleichsgruppen gestört ist. Eine wichtige Erkenntnis, die dabei helfen kann, dem Ausbruch der Krankheit besser vorzubeugen.

Außerdem ist es der Medizin gelungen, eine lang vermutete These wissenschaftlich zu beweisen: Schwangerschaftskomplikationen können das Schizophrenie-Risiko erhöhen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das ungeborene Kind eine genetische Veranlagung dafür besitzt. Ein internationales Forscher*innenteam hat das Genmaterial von insgesamt 2885 gesunden und schizophrenen Menschen untersucht und festgestellt, dass bei entsprechend genetischer Disposition das Risiko einer Schizophrenie-Erkrankung um das Fünffache höher ist, wenn es Komplikationen während der Schwangerschaft gab.

Wie diese Studie bereits nahelegt, ist für den Ausbruch der Krankheit das Zusammenspiel verschiedener Faktoren entscheidend. Peter Falkai ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums München und forscht seit vielen Jahren an der Schizophrenie. Der Professor stellt fest: "Wir kennen etwa 150 Risikogene der Schizophrenie, von denen viele etwas mit der Hirnentwicklung und Hirnregeneration zu tun haben". Genetische Faktoren sind dabei aber nicht die einzige Ursache. "Es handelt sich um eine Interaktion aus genetischen Faktoren und Umweltfaktoren", so Peter Falkai. Letztere haben dabei vor allem etwas mit negativen Erfahrungen im sozialen Umfeld zu tun, wie der Verlust eines Elternteils oder sexueller Missbrauch. Aber auch das Aufwachsen in einem urbanen Umfeld oder ein Wohnortwechsel in jungen Jahren können einen Einflussfaktor darstellen.

Durch die diversen Risikogene hat das Gehirn bei Schizophrenen Schwierigkeiten, sich optimal zu entwickeln und ist damit nicht so belastbar wie bei einem gesunden Menschen. Neben weiteren Umweltfaktoren kommen in jungen Jahren zusätzliche Belastungen wie die Pubertät oder der erste Job hinzu. All diese Dinge führen zu einer Überforderung im Gehirn, wodurch es zu Problemen in der Informationsweiterleitung kommt.

Die Schizophrenie tritt meist erstmals im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr auf. Ein Großteil leidet an Wahnvorstellungen wie Verfolgungs- oder Größenwahn. Auch Halluzinationen kommen häufig vor. Betroffene nehmen Dinge wahr, die nicht existieren, und hören so beispielsweise Stimmen, die Befehle geben oder auf sie einreden. Da es sich dabei um Phänomene handelt, bei denen das normale Erleben übersteigert ist, werden Wahnvorstellungen und Halluzinationen zur Gruppe der sogenannten Positivsymptome gezählt. Als Gegenstück dazu leiden Schizophrene allerdings auch an spezifischen Negativsymptomen. Dazu gehören sozialer Rückzug sowie Teilnahms- und Antriebslosigkeit.

Die Symptome sind jedoch meist nicht permanent vorhanden. "Relativ viele Patienten, die eine Schizophrenie haben, haben einen episodischen Verlauf", erklärt Jürgen Gallinat, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am UKE in Hamburg. "Es beginnt mit einer Episode, in der die Symptomatik ansteigt. Diese lässt dann mit oder ohne Therapie im Laufe der Zeit nach und es kommt bei manchen Patienten zu einem symptomfreien Intervall bis zu einer nächsten Episode", so der Professor weiter. Auch wenn nicht alle schizophrenen Personen an wiederholten Episoden leiden, so ist das Risiko doch groß. Etwa 85 bis 90 Prozent sind laut Jürgen Gallinat davon betroffen.

Man kann sich das ähnlich vorstellen wie bei einer Schiffsschleuse. Diese lässt im Normalfall kontrolliert ein Schiff nach dem anderen passieren, wodurch die geladene Fracht von einer Seite auf die andere Seite des Flusses transportiert wird. Der Fluss mit seinen beiden Ufern stellt im Gehirn die Verbindungsstelle zwischen zwei Nervenzellen dar. Damit Informationen von der einen auf die andere Seite gelangen, werden im Gehirn Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, freigesetzt. Hier repräsentiert durch die Schiffe mit ihrer geladenen Fracht.

Betroffene nehmen Dinge wahr, die nicht existieren.

Eine funktionierende Schleuse lässt die Schiffe kontrolliert passieren, damit die Fracht ordnungsgemäß auf der anderen Seite des Flusses ankommt. Wenn die Schleuse jedoch aus irgendwelchen Gründen defekt ist und nicht funktioniert, so überqueren den Fluss deutlich mehr Schiffe als notwendig. Dies führt auf dem anderen Ufer zu einem Überangebot der Schiffsfracht, die dann nicht mehr richtig zugeordnet werden kann.

Wie bei diesem Beispiel kommt es bei einer schizophrenen Episode in bestimmten Stellen im Gehirn bei der Informationsweiterleitung zu einer exzessiven Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin. Diese Mehr-Aktivität an Dopamin führt dann zu den Positivsymptomen bei den Betroffenen. Die übermäßige Dopamin-Ausschüttung an der einen Stelle bewirkt dadurch ein Dopamin-Defizit an anderer Stelle – die Negativsymptome setzen ein.

Endgültig sind die neurologischen Vorgänge allerdings noch nicht geklärt. "Man weiß bis heute nicht genau, warum dieser Dopaminexzess entsteht", räumt Jürgen Gallinat ein. Man vermute dahinter weitere Mechanismen, so dass die Mehraktivität des Neurotransmitters möglicherweise nur ein sekundäres Phänomen sei, so der Professor weiter.

Auch wenn diese sogenannte Dopaminhypothese noch nicht abschließend bestätigt ist, so ist die Wirksamkeit entsprechender Medikamente zur Behandlung der Schizophrenie ein wichtiger Beleg dafür. Antipsychotika blockieren die Dopaminrezeptoren im Gehirn, an welche der Neurotransmitter andocken muss, um Informationen weiterzuleiten. Die übermäßige Dopaminausschüttung während einer schizophrenen Episode wird damit unwirksam. "Bei der Behandlung der Positivsymptomatik ist eine Blockade der Dopaminrezeptoren zentral", bestätigt Prof. Falkai. Die Negativsymptome können dadurch allerdings nicht behandelt werden. Prof. Gallinat räumt ein: "Es gibt noch kein Medikament, das Negativsymptome in dem Ausmaß behandeln kann, wie es nötig wäre und man sich es wünschen würde". Deshalb werde aktuell noch auf andere Strategien wie Antidepressiva zurückgegriffen.

Peter Falkai betont, dass die Forschung zur Schizophrenie bisher gut vorangekommen sei. Zwar ist die Krankheit nicht heilbar, zur besseren Diagnose soll es nach Ansicht des Professors aber zukünftig eine Art Schizophrenie-Test geben. Bei diesem soll mittels MRT die genaue Struktur des Gehirns erfasst werden. Weitere Untersuchungen und Studien bleiben zur Erforschung der Schizophrenie also auch zukünftig zentral. Durch weitere Forschung kann es damit in den kommenden Jahren möglicherweise gelingen, alle bisher noch ungeklärten Aspekte vollständig zu entschlüsseln.
HILFE HOLEN

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