Eine Narbe ist für viele ein Makel, ein unschöner Fleck am Körper, ein hässlicher Schönheitsfehler. Doch Narben können schön sein, können Geschichten erzählen, Erinnerungen darstellen. Das zeigt die 24-jährige Fotografin Sophie Mayanne aus England mit ihrer Fotoserie Behind The Scars. Für das Projekt lichtet Sophie ganz unterschiedliche Menschen ab, die eins gemeinsam haben: Narben. "Die Serie entstand aus einer Editorialstrecke im August 2016, in der ich die Idee hatte, dass Narben ein Teil unserer Geschichte sind. Nachdem ich diese erste Reihe fotografierte, verstand ich, dass da immer noch eine Menge Arbeit ist, die ich mit diesem Projekt leisten könnte, und dass die Bilder, die ich mache, Menschen bewegen können", sagt die Fotografin.

Seit April vergangenen Jahres arbeitet sie nun an der Serie und will tausend verschiedene Menschen sowie ihre Narben und die Geschichten dahinter fotografieren. Die Protagonist*innen sind keine professionellen Models, sie zeigen sich in einem neutralen Setting, lächeln, spielen mit der Kamera. Oft kommen sie auf Sophie zu, nachdem sie die Bilder durch Zufall gefunden haben oder von jemandem, der schon daran teilgenommen hat, davon erfahren haben.

Die Fotos veröffentlicht Sophie dann auf ihrer Webseite. Die Fotografin hat sich im Oktober 2017 außerdem dazu entschieden, Menschen und deren Haut in ihren Bildern nicht mehr länger mit Computerprogrammen digital nachzubearbeiten. Nur Licht- und Kontrastbearbeitung führt sie noch durch: "Ich habe sowieso niemals eines der Bilder aus der Behind-The-Scars-Serie digital nachbearbeitet, aber in meinen anderen Arbeiten habe ich das ab und zu getan. Ein Mädchen, das ich vor ungefähr vier Jahren mal fotografiert habe, postete auf Instagram über ihre Erfahrungen mit Anorexie. Als ich sie damals fotografierte, bearbeitete ich die Bilder – und ich fühlte mich, als hätte ich persönlich dazu beigetragen. Von diesem Zeitpunkt an schwor ich mir, meine Bilder nie wieder auf diese Weise zu verändern", erklärt sie.

Wir haben nur diesen einen Körper, also verschwende keine Zeit und Energie damit, ihn zu hassen.
Sophie Mayanne

Ihr sei es wichtig, andere Menschen zu ermutigen, sich wohl in ihrer Haut zu fühlen: "Wir haben nur diesen einen Körper, also verschwende keine Zeit und Energie damit, ihn zu hassen." Deshalb lässt Sophie in der Fotoserie nicht nur die Bilder für sich sprechen. Auch die Menschen vor der Kamera kommen zu Wort und teilen die Geschichten hinter den Narben. Offen erzählen sie von den zum Teil erschreckenden, schmerzhaften und dramatischen Erlebnisse, die zu den Wunden führten und machen auf beeindruckende Weise deutlich, wie schön sie sich mit ihren Narben fühlen.

BILLY

"Mit 18 Jahren wurde bei mir Ewing-Sarkom diagnostiziert, ein seltener Knochenkrebs, der hauptsächlich junge Menschen trifft. Vor meiner Diagnose hatte ich noch nie davon gehört und keine Ahnung, wie sehr das mein Leben beeinflussen würde. Ein Teil der Behandlung bestand daraus, meinen Oberschenkelknochen mit Titan zu ersetzen, woraus die Narbe entlang meines Oberschenkels entstand. Ich hatte oft das Gefühl, dass die Narbe eine dauerhafte, schlechte Erinnerung an die Zeit, die ich krank im Krankenhaus verbrachte, bleiben würde, aber ich lerne allmählich sie als ein Symbol für Gesundheit, Genesung und die Chance auf ein langes Leben zu sehen. Ich kann nun darauf schauen und sehe mehr als nur einen kranken Körper: eine Person, die noch motivierter als zuvor durchs Leben geht."

Ich trage diese Narbe, weil sie ein Teil von mir ist.
Bintu

BINTU

"Als ich jung war, zog ich eine Tasse mit kochendem Tee von der Theke. Dadurch verbrannte ich mir die linke Schulter, runter bis zur Brust und zum Bauch. Meine Narbe ist ein Teil von mir, seitdem ich elf Monate alt bin – das ist alles, was ich weiß. Ich kenne meinen Körper nicht ohne die Narbe. Ich habe meine selbstbewussten Tage, an denen ich sage: ,Es ist nur eine Narbe.' Ich bin mir sicher, dass jeder Mensch eine Narbe hat. Ich hatte definitiv meine schlechten Tage, aber nur wenn ich jemanden kennenlerne und der angeekelt drauf starrt. Ich denken dann: ,Oh mein Gott, ist da etwas auf meinem Körper?' Und dann erinnere ich mich an ,die Verbrennung'. Ich trage diese Narbe, weil sie ein Teil von mir ist. Es ist nur eine Narbe."

CHLOE

"Ich fing an, mich selbst zu verletzen, als ich 13 war und habe seitdem damit gekämpft. Das Ding mit dem Selbstverletzten ist, dass es schrittweise schlimmer wird und du damit endest, dir immer mehr Schaden zuzufügen, als du zu Beginn für möglich gehalten hast. Es ist wirklich eine Sucht und du kommst an einen Punkt, an dem Chirurgen dir sagen, dass plastische Chirurgie nichts gegen die Narben machen kann. Dann ist das einzige, was du tun kannst, deine Narben so sehr zu lieben, dass all die negativen Gedanken, die mit selbstverletzendem Verhalten kommen, langsam verschwinden – gemeinsam mit all dem Schmerz, der mit den Narben verbunden ist. Meine Narben erzählen meine Geschichte und das wird sich nicht durch die Gedanken oder Meinungen anderer ändern."

DEBORAH

"Mein Körper ist voller Narben, welche für den Weg meiner Krebserkrankung stehen. Jede ist eine Kriegsverletzung und bedeutet, dass ich dem Krebs ins Auge gesehen habe und ihm einen Tritt mitten ins Gesicht verpasst habe. Anfangs hasste ich meine Narben, aber mit der Zeit habe ich gelernt, sie zu lieben. Ich schlage vor, dass wir unsere Narben mit Stolz tragen und dabei wissen, dass sie uns eher aufgebaut als herausgefordert haben. Mein Leben wurde vor sieben Monaten auf den Kopf gestellt, als ich die Diagnose Darmkrebs im vierten Stadium bekam. Menschen haben gesagt, ich sei tapfer, weil ich da durchgegangen bin, aber das bin ich nicht – ich habe einfach keine andere Wahl. Ich bin immer noch ich. Ich kann immer noch sexy sein. Ich kann immer noch Spaß haben – der Krebs muss mich nicht definieren."

Mehr von Sophie Mayanne findet ihr auf ihrem Instagram-Account oder auf ihrer Webseite