Es ist 2018 und Bundestagsreden gehen viral. Videos werden in sozialen Netzwerken hunderttausend Mal angesehen, gelikt und geteilt. Was früher nur Katzenvideos und Kindern nach dem Zahnarztbesuch zuteil wurde, passiert inzwischen auch immer häufiger Politiker*innen. Vor allem, seit im September 2017 eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag eingezogen ist und mit Kleinen Anfragen, kalkulierter Provokation und grenzüberschreitenden Reden um Aufmerksamkeit kämpft.

Wie geht man mit diesen neuen Politiker*innen um, die sich seit knapp einem Jahr in ihrer Rolle als Schulschläger*innen und Unruhestifter*innen eingenistet haben? Man bietet ihnen immer wieder Paroli, zeigt ihnen klar auf, dass menschenfeindliche Formulierungen in einem demokratischen Parlament nichts zu suchen haben und macht auf Fehler in ihrer Arbeitsweise aufmerksam.

Der Wunsch nach Haltung

Die Zustimmung, die emotionale und wütende Reden von Politiker*innen im Internet erhalten, macht deutlich, wie viele Menschen mit einer menschenverachtenden, rechten Politik nichts anfangen können. Klare Worte werden gehört, gelikt, geteilt. In den sozialen Netzwerken entbrennen darunter zum Teil heftige Diskussionen. Das ist gut, denn es zeigt, dass die Brandreden dazu motivieren sich einzubringen und selbst Haltung zu zeigen. Und es macht deutlich, dass alle inhaltlichen Konflikte zwischen Parteien diskutierbar sind, wenn man sich auf einen gemeinsamen Nenner beruft: konsequente Ablehnung der menschenfeindlichen Arbeit der AfD. Und solange dieser Nenner Menschen so zusammenbringt, wie Videos von niedlichen Kätzchen, gibt es noch Hoffnung für unser demokratisches System.

"Es ist Zeit, dass die Demokratie sich gegen diese Leute wehrt."

Als Alexander Gauland seine Rede zum Beginn der Generaldebatt gestern mit den Worten "Hass ist keine Straftat" schloss, konnte sich Martin Schulz nicht mehr zurückhalten. Der ehemaliger Kanzlerkandidat und aktuelle Abgeordnete der SPD wollte schon während Gaulands Rede eine Frage an den Fraktionsvorsitzenden der AfD stellen, diese wurde aber abgelehnt. Also kommentierte er die Worte des Politikers im Anschluss an dessen Redezeit.

Schulz bemängelte die "Reduzierung komplexer Sachverhalte auf ein einziges Thema" und nannte die Versuche der AfD, die Ursache für jedes Problem in der Migration zu sehen als "Mittel des Faschismus".  Er rief alle Demokrat*innen dazu auf, sich den Machenschaften der Partei in den Weg zu stellen und erklärte, dass Enthemmungen und menschenverachtende Wortneuschöpfungen einer Partei im Bundestag auch mit Gewalt gegen Menschen auf den Straßen Deutschlands zusammenhängen würden.

Am Ende wünschte Schulz Gauland in Anspielung auf dessen Vogelschiss-Kommentar auf den Misthaufen der deutschen Geschichte. Für seine Rede erntete Schulz immer wieder Zwischenapplaus und bestätigendes Nicken. Mehrere Abgeordnete erhoben sich. Gauland und Franktionschefin Alice Weidel hatten während den Worten von Schulz nur giftige Blicke und ein süffisantes Grinsen für den Politiker übrig.

"Hass macht hässlich!"

Im Zuge der Generaldebatte sprach auch Johannes Kahrs SPD-Politiker vor den Abgeordneten. Zu Beginn seiner Rede dankte er Martin Schulz dafür, dass dieser "endlich mal eine klare Ansage" gemacht hätte und ging dann dazu über, gegen die AfD auszuteilen: Rechtsradikale seien unappetitlich, hätten außer dummen Sprüchen nichts zu bieten und wären hässlich und peinlich. "Man muss sich diese Traurigen da nur angucken!" Wer Schulz Kommentar, Gauland gehöre auf einen Misthaufen, schon beleidigend fand, musste bei Kahrs Rede mehrfach schlucken.

Seine Wortwahl legt die Frage nahe, ob solche plumpen Beschimpfungen die AfD nicht eventuell sogar bestärken. Diese inszeniert sich gerne selbst als Opfer und so erstaunt es nicht, dass die Fraktion nach Kahrs Rede geschlossen den Plenarsaal verließ. Kahrs Rede zeigt aber auch, wie zermürbend es für Politiker*innen sein muss, sich jeden Tag mit den Anliegen einer Partei herumzuärgern, die die Würde aller Menschen immer wieder in Frage stellt.

"Jede Sprache ist Kulturgut"

Deutsch als einzige Landessprache? Eine blödsinnige Idee, fand SPD-Abgeordneter Johann Saathoff und konterte den Antrag der AfD mit einer leidenschaftlichen Rede, die er in seiner Muttersprache hielt: auf Plattdeutsch. Er betonte, wie wichtig es für erfolgreiche Politik sei, sich mit Bürger*innen verständigen zu können und wies darauf hin, dass Sprachkenntnisse auch immer den Horizont erweitern würden: "Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nicht nur nichts von seiner eigenen Sprache, er weiß auch nichts von den anderen Ländern und ihren Beweggründen. Und wer nichts weiß, der hat Angst."

Diese Angst würde Menschen mitunter in die Isolation treiben und den Nähboden für nationalistische Tendenzen bereiten. Man würde nichts verlieren, nur weil etwas anderes dazukommen würde, ganz im Gegenteil. Obwohl viele der Abgeordneten im Bundestag wohl nur die Hälfe dessen verstanden, was Saathoff auf Plattdeutsch erzählte, erntete seine Rede großen Applaus.

"Was für ein Blödsinn, die haben noch nicht mal einen Antrag auf Aussprache gestellt!"

"Schämen Sie sich nicht?", fragte der AfD-Abgeordnete Stefan Keuter die Bundestagsmitglieder, als diese im Dezember 2017 eine Erhöhung der Diäten beschlossen. Von 665 Bundestagsmitgliedern stimmten 505 für eine automatische Anpassung der Bezüge, 152 stimmten dagegen. Die Hälfte der Nein-Stimmen kam von der AfD. Deren Versuch, sich nach der Abstimmung als Gegner*innen des Beschlusses zu positionieren, scheiterte allerdings an Grünen-Politikerin Brittal Haßelmann. Diese machte in einer wütenden Rede deutlich, dass die AfD sich bei vorangegangenen Diskussionen über die Anpassung nicht geäußert oder ihren anscheinenden Unmut zur Sprache gebracht hätte. Haßelmann zeigte mit ihrer Rede, welche unprofessionellen Arbeitsweisen die AfD an den Tag legte: "Wer meint, uns hier im Parlament vorführen zu können, der muss früher aufstehen!"

"Hören Sie mir mal zu, da können Sie nämlich noch was lernen über die Verfassung."

Philipp Amthor ist das zweitjüngste Mitglied des deutschen Bundestags. Als Abgeordneter der CDU/CSU vertritt er konservative Standpunkte und macht sich für diese stark. So auch bei dem Antrag auf ein deutschlandweites Verschleierungsverbot. Inhaltlich ist er damit gar nicht so weit von der AfD entfernt.

Und doch machte er bei seiner Rede im Februar 2018 deutlich, dass er die Arbeitsweisen dieser Partei zutiefst verurteile. Er erklärte den Abgeordneten der AfD, was es mit der Religionsfreiheit auf sich habe und appelierte an eine verfassungkonforme Politik. "Mit ihrem Vorschlag opperieren sie ganz deutlich im grundrechts-sensiblen Bereich der Religionsfreiheit." Ein Viertel der AfD-Fraktion bestünde aus Jurist*innen, "diese Expertise findet sich in dem Antrag in keiner Weise wieder."

"Wer sich so gebiert, ist ein Rassist!" – Cem Özdemir

Deniz Yücel war noch keine Woche aus türkischer Haft freigelassen, da brachte die AfD den Antrag vor, Yücel für zwei Artikel maßregeln zu lassen, in denen sich dieser kritisch zu Deutschland geäußert hatte. Das brachte den ehemlaigen Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir dazu, der Fraktion in einer leidenschaftlichen Rede Pressefreiheit zu erklären: "Journalismus ist kein Verbrechen."

Er kritisierte die verfassungsfeindlichen Anträge der AfD und berief sich immer wieder auf die demokratische Grundordnung: "Sie verachten alles, wofür dieses Land steht." Özdemir benannte offen den Rassismus aus den Reihen der AfD und deren heimlichen Wunsch nach einem totalitären System: "Sie sind aus dem selben faulen Holz geschnitzt, wie diejenigen, die Deniz Yücel verhaften lassen haben."