Die künftige EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist noch nicht offiziell im Amt und sorgt bereits für Aufruhr im EU-Parlament. Ihre Idee, ein Fachressort für Asyl und Migration umzubenennen, steht in der Kritik. Dem "Schutz des europäischen Lebensstils" soll sich das Ressort künftig widmen, auf Englisch soll die Devise "Protecting our European way of life" lauten. Die Mitglieder des Fachbereichs sollen Antworten auf den Umgang der EU mit Migration und Geflüchteten finden, vorgesehener Kommissar ist der griechische Politiker Margaritis Schinas.

Zuvor hieß das Ressort schlicht "Migration, Inneres und Bürgerschaft". Viele Politiker*innen finden die Namensänderung problematisch. Martina Michels, Sprecherin von Die Linke im Europäischen Parlament, äußerte sich besorgt: "Ich bin entsetzt, dass so die Gedankenwelt der Rechtsextremen in die neue Kommission einzieht." Statt europäische und menschliche Grundwerte wie "Demokratie, kulturelle Vielfalt, Menschenrechte und Rechtsstaat" zu verteidigen, würde Kommissar Margaritis Schinas seine Arbeit wohl darauf konzentrieren, "eingebildete Gefahren von außen" abzuwehren.

In einem Begleitbrief an Schinas heißt es zu dem Aufgabenbereich des Ressorts unter anderem: "Wir müssen die legitimen Ängste und Befürchtungen wegen der Folgen ungeordneter Migration auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft ernst nehmen." Von den Ängsten und Befürchtungen von Menschen mit Migrationsgeschichte und PoCs steht in dem Schreiben hingegen nichts.

Ska Keller, Vorsitzende der Fraktion Die Grünen/EFA im EU-Parlament, sagte im Gespräch mit dem Spiegel, sie hoffe, dass von der Leyen den Titel ändern werde. "Auch wenn der nicht so gemeint ist, suggeriert der Titel, dass Migranten das europäische Lebensgefühl gefährden. Das ist mitnichten so." Auf Twitter nannte Keller die Entscheidung für den Ressortnamen "erschreckend".

Von der sozialdemokratischen und der liberalen Fraktion gab es ebenfalls Kritik an der Wahl des Namens. Katalin Cseh, eine ungarische Politikerin und Teil der liberalen Fraktion, sagte, die Wortwahl erinnere sie an die Rhetorik von Viktor Orbán. Sie gab zu bedenken: "Man kann Populismus nicht bekämpfen, indem man ihn zum Mainstream macht."

Juncker hofft auf Änderung

Auch der amtierende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker äußerte sich kritisch zu der Umbenennung. Juncker, dessen Nachfolge von der Leyen voraussichtlich am ersten November antreten wird, erklärte im Gespräch mit Euronews, es sei ein Teil des europäischen Lebensstils, diejenigen zu akzeptieren, die von weit entfernt kommen. Er sehe darum einen Änderungsbedarf bei dem von von der Leyen gewählten Titel für das Migrationsressort.

Kurzzeitig kursierten Gerüchte, nach denen von der Leyen von dem umstrittenen Titel absehen wolle. Doch eine Sprecherin der Kommission in Brüssel wies dies zurück.

Von der Leyen auf Kuschelkurs mit den Rechten?

Viele sehen in dem Titel des Migrationsressorts ein Zugeständnis an die rechte Fraktion des EU-Parlaments. Bereits vor der Wahl zur Kommissionspräsidentin vermuteten Expert*innen, dass von der Leyen ihre Positionen mit Bedacht wählen würde, um die Nationalist*innen und Rechtspopulist*innen nicht zu verschrecken. Denn bei knappen Mehrheiten könnten diese für sie entscheidend sein.

In der Fraktion Identität und Demokratie sitzen aktuell 73 Politiker*innen aus neun Ländern, unter ihnen auch Vertreter*innen der AfD. Sie ist damit die fünftstärkste Fraktion des Parlaments. Die starke Rechte ist mit schuld daran, dass von der Leyen lange um ihre Wahl zur Kommissionspräsidentin bangen musste. Mit nur neun Stimmen mehr als nötig wurde sie im Juli gewählt.

Die kritischen Reaktionen auf die Ressortumbenennung der EU-Politiker*innen deuten darauf hin, dass die Zusammenarbeit zwischen von der Leyen und einigen Fraktionen schwierig werden könnte, sollte sie weiterhin die Rhetorik der Rechten bedienen und sich nicht klarer abgrenzen. Zwar verkündete von der Leyen bei ihrer Antrittsrede: "Wer Europa schwächen will, findet in mir eine erbitterte Gegnerin." Ob sich dies bewahrheitet, bleibt abzuwarten.