Wenn du einen eineiigen Zwilling hast, kannst du stolz sein. Du gehörst damit zu einem besonderen Club, den nur wenige Menschen verstehen, aber wohl alle faszinierend finden.
Seelenverwandt geboren: Niemand ist so stark verbunden wie eineiige Zwillinge
13 Jahre alt, Delilah um zwei Minuten älter
„Die Leute fragen immer dasselbe: ‚Wie ist es, ein Zwilling zu sein?‘. Aber wie sollen wir diese Frage beantworten, wenn wir nicht wissen können, wie es ist, kein Zwilling zu sein?“
© Twins von Peter Zelewski, veröffentlicht bei Hoxton Mini Press
13 Jahre alt, Leah ist eine Minute älter
„Cloe ist einmal von der oberen Ebene unseres Stockbetts gefallen und hat so ihr Schlüsselbein gebrochen. Obwohl sie große Schmerzen hatte, hat sie kein einziges Mal geweint. Ich aber konnte gar nicht aufhören zu weinen. Es war so, als wäre ihr Schmerz zu mir gesprungen. Ich wusste exakt, wie sie sich fühlte.“
© Twins von Peter Zelewski, veröffentlicht bei Hoxton Mini Press
37 Jahre alt, Alan um 20 Minuten älter
„Wir streiten wegen den dümmsten Sachen. Vergangene Woche hat Gary eine Pizza mit Knoblauchsoße statt Tomatensoße bestellt. Wer bestellt denn bitte Pizza mit Knoblauchsoße?! Ich wurde wütend und wir haben für zwei Tage nicht miteinandergesprochen.“
© Twins von Peter Zelewski, veröffentlicht bei Hoxton Mini Press
18 Jahre alt, Elson um fünf Minuten älter
„Ich wusste schon mit 13, dass ich schwul bin. Ich hatte große Angst, aber fühlte mich gleich besser, als ich das erste Mal mit Elton darüber sprach. Er erzählte mir, dass er bisexuell sei. Es war eine Erleichterung. Wenige Jahre später hatten wir unser Coming-out bei unseren Eltern, die uns seither sehr unterstützen.“
© Twins von Peter Zelewski, veröffentlicht bei Hoxton Mini Press
35 Jahre alt, Hermon um eine Minute älter
„Wir sind in Eritrea in Afrika geboren und zogen mit etwa sieben Jahren nach London. Wir brauchten medizinische Hilfe, nachdem wir beide zur gleichen Zeit taub geworden sind. Unsere Behinderung hat uns einander näher gebracht. Unsere Verbindung ist unzerbrechlich, sie vereint uns. Wir beenden die Sätze der jeweils anderen, lesen deren Gedanken und fühlen deren Schmerzen. Ja, es ist wahr.“
© Twins von Peter Zelewski, veröffentlicht bei Hoxton Mini Press
15 Jahre alt, Duke ist eine Minute älter
„Joe ist ein Paradiesvogel und möchte später Make-up-Artist werden. Ich selbst liebe Fotografie und bleibe lieber im Hintergrund. Das Beste daran, ein Zwilling zu sein, ist, dass wir ungezwungen miteinander reden können. Wir müssen niemals Angst davor haben, dass wir uns falsch verstehen.“
© Twins von Peter Zelewski, veröffentlicht bei Hoxton Mini Press
Zwei Jahre alt, Mickey ist zwei Minuten älter
„Als Eltern von den beiden sind wir froh, dass sie Zwillinge sind. Denn wir wissen, dass sie ihr ganzes Leben beste Freunde sein werden. Wir hoffen, dass ihre Verbindung ihnen immer die Sicherheit und das Vertrauen geben wird, dem anderen sagen zu können: ‚Ich bin stolz auf dich‘.“
© Twins von Peter Zelewski, veröffentlicht bei Hoxton Mini Press
23 Jahre alt, Sharmeena um zwei Minuten älter
„Wir sind früher sehr oft umgezogen. Wir waren an keinem Ort lange genug, um ihn als unser Zuhause bezeichnen zu können. Freunde zu finden war schwierig, aber wir hatten uns immer gegenseitig.“
© Twins von Peter Zelewski, veröffentlicht bei Hoxton Mini Press
15 Jahre alt, Taya um zwei Minuten älter
„Als Kinder hatten wir nie das Gefühl, viele Freunde zu brauchen. Aber jetzt wäre es super, jemanden anderen als die eigene Zwillingsschwester als beste Freundin zu haben. Das Problem ist, dass alle, die uns treffen, uns als Einheit und nicht als Individuen sehen. Unsere individuelle Identität ist unser sehr wichtig.“
© Twins von Peter Zelewski, veröffentlicht bei Hoxton Mini Press
Sechs Jahre alt, Grace um eine Minute älter
„Wir sehen vielleicht gleich aus, aber wir haben unterschiedliche Gefühle. Unser liebstes Zitat ist von Walt Disney, der einmal sagte: ,If you can dream it, you can do it‘. Ich liebe meine Schwester.“
© Twins von Peter Zelewski, veröffentlicht bei Hoxton Mini Press
Habt ihr schon mal Rollen getauscht? Könnt ihr gegenseitig eure Gedanken lesen? Könnt ihr fühlen, wenn der andere Schmerzen hat? Typische Fragen, über die sich Zwillinge wohl regelmäßig freuen oder ärgern. So oft haben sie diese Fragen schon gehört und zu beantworten versucht. Denn Zwillinge faszinieren uns seit jeher. Nicht ohne Grund ist das Zwillingsdasein Gegenstand von Mythen, Aberglaube, Literatur und Forschung. In der Filmindustrie wird es dazu gerne übertrieben und fetischisiert. In den Handlungen geht es um falsche Identitäten, um Gut gegen Böse, um geteilte Liebschaften. Sie werden als nicht unterscheidbar dargestellt, als ein- und dieselbe Person in zwei Körpern oder wie im Falle von Stanley Kubricks The Shining als Horrorfiguren.
In einigen Kulturen außerhalb der fiktiven Welt hat die Geburt von Zwillingen tatsächlich eine besondere Bedeutung. Dann gilt sie als über- oder widernatürlich. In Madagaskars ländlichen Gegenden wird von der Mutter erwartet, ihre Zwillinge kurz nach der Geburt abzustoßen, damit der restliche Stamm nicht von Unglück oder bösen Flüchen befallen wird. Der nigerianische Stamm Bassa-Nge sieht die Geburt von Zwillingen hingegen als göttlichen Segen, der Glück und Reichtum mit sich bringt. Generell ist die Geburtenrate von Zwillingen in Westafrika etwa viermal höher als in der restlichen Welt. Das Zentrum dieses Zwillingsgipfels ist dabei in Igbo-Ora, ein kleines Dorf im Südwesten Nigerias: das sogenannte Twin Capital of the World. Hier werden mehr Zwillinge geboren als irgendwo sonst. Warum das so ist, ist zwar bis heute nicht vollends geklärt. Studien legen aber nahe, dass es an den speziellen Essgewohnheiten der Frauen liegen könnte.
Der unsichtbare Faden
Abseits des Aberglaubens bleiben Zwillinge etwas Besonderes, vor allem die Verbindung zueinander. Schon in der Gebärmutter, nach 14 Schwangerschaftswochen, strecken sie die Hände nacheinander aus. Nach 18 Wochen berühren sie einander öfter als ihren eigenen Körper. Das fanden Forscher*innen der Universität Padua in Italien heraus, nachdem sie 3D-Videos von Zwillingen in der Gebärmutter analysierten. Die DNA eineiiger Zwillinge ist zwar nicht identisch, aber sehr ähnlich. Kein Wunder also, dass sie sich so ähneln. Berichten zufolge seien eineiige Zwillinge bereits zum selben Zeitpunkt taub geworden, haben gespürt, als es dem jeweils anderen nicht gut ging, oder sind gegen einen Spiegel gerannt, weil sie dachten, das Zwillingsgeschwister winkte ihnen zu.
Die Faszination von Zwillingen hat auch vor Peter Zelewski keinen Halt gemacht. Das erste Mal kam er in der Grundschule mit eineiigen Zwillingen in Kontakt. Sein Lehrer stellte der Klasse die neuen Schüler Eric und Tim vor, und Zelewksi bekam große Augen: „Es war so offensichtlich, dass diese beiden irgendetwas Besonderes an sich hatten. Sie waren so voller Selbstbewusstsein, redeten gleich, kleideten sich gleich. Ich wurde sogar ein bisschen eifersüchtig, als ich diese starke und spezielle Verbinden der beiden sah“, erinnert er sich. Eine derart außergewöhnliche Verbindung habe er sich mit seinem älteren Bruder auch gewünscht. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass er so eine Einheit, eine Freundschaft, die im Mutterleib beginnt und das restliche Leben hält, wie mit einem unsichtbaren Faden verknüpft, niemals haben kann.
Von ihr zu du
Als der erwachsene Zelewski Jahre später in London als Fotograf zu arbeiten begann, erinnerte er sich an diesen Moment. Und sofort war ihm klar: Das nächste Fotoprojekt wird um eineiige Zwillinge handeln. Über insgesamt vier Jahre fotografierte er daraufhin mehr als 50 identische Zwillingsgeschwister und hörte sich ihre Geschichten an. Die Teilnehmenden machten ihm dabei schnell bewusst, dass viele Menschen idealtypische Vorstellungen über das Zwillingsdasein haben. Nicht alles ist als Zwilling besser. Sie erzählten davon, wie schwer es sei, während des Aufwachsens eine eigene Identität zu entwickeln und nicht automatisch in denselben Topf geworfen zu werden. Wir schwer es sei, von anderen nicht immer nur als ihr, sondern auch mal als du wahrgenommen zu werden und auch das eigene Denken vom Wir zu trennen und durch ein Ich zu ersetzen.
Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass zwei Personen zusammen aufwachsen, meist im selben Haushalt, sich im selben Entwicklungsstadium befinden, zusammen dieselben Kindergartengruppen, Schulklassen und Sportkurse besuchen, das Leben auf ähnliche Art und Weise begreifen, sich vertrauen und sich noch dazu so ähnlich sehen. Trotz dieser Herausforderungen seien sich alle von Zelewski fotografierten Zwillingsgeschwister in einer Sache einig gewesen: Sie fühlten sich privilegiert, ein Zwilling zu sein, und würden es sich unter keinen Umständen anders wünschen. Ein Zwilling beschreibt seine Beziehung zu ihrer Schwester folgendermaßen: „Es ist so, als hätte man seinen besten Freund, seinen Seelenverwandten bereits in die Wiege gelegt bekommen. Wir müssen nicht nach dieser Person suchen, wir haben sie von Anfang an bei uns.“