Unsere Autorin wurde mit einer Erkrankung geboren, die nur durch eine schwierige Operation und einen sogenannten Shunt behandelt werden kann. Hier berichtet sie, wie das ihr Leben beeinflusst. 

Die Sonne scheint, während mein Partner und ich im Park spazieren gehen. Es ist ein schöner Sommertag. Wie so oft ist er einen Schritt schneller als ich. Plötzlich gerate ich aus dem Gleichgewicht und stolpere auf gerader Strecke über meine eigenen Füße. Zum Glück kann ich mich gerade noch ausbalancieren, sodass ich nicht stürze. "Hey du, ich glaube deine Freundin hat ein Problem!", ruft ein völlig fremder Mann meinem Partner zu. "Danke, es ist alles in Ordnung. Ich kenne das schon."

Szenen wie diese gibt es in meinem Alltag häufiger. Nach einer frühkindlichen Hirnblutung war ich ein paar Jahre meiner Kindheit halbseitig gelähmt. Darüber hinaus kam es durch die Hirnblutung zu einer Resorptionsstörung des Liquor cerebrospinalis’, auch Nerven- oder Hirnwasser genannt. Normalerweise stehen die Bildung und der Abfluss des Hirnwassers im Gleichgewicht zueinander. Wird dieses ausgeglichene Verhältnis gestört, entwickelt sich ein sogenannter Hydrozephalus. Bei kleinen Kindern bis zu einem Jahr wirkt sich der erhöhte Liquordruck auf das Schädelwachstum aus, da die Schädelknochen auseinander gedrängt werden. Der kleine Kinderkopf schwillt an und sieht aus wie ein Ballon. So war es auch bei mir.

Die durch die Hirnblutung hervorgerufenen massiven Gleichgewichtsprobleme konnten durch Ergo- und Reittherapien glücklicherweise ein wenig gelindert werden. Der Hydrozephalus, welcher im Volksmund als Wasserkopf bezeichnet wird, musste allerdings durch eine schwierige Operation behandelt werden.

Der Shunt – mein Lebensretter

Im Jahr 1992, damals war ich zwei Jahre alt, legte man mir in der Neurochirurgie des Universitätsklinikums Würzburg einen Shunt. Das ist ein dünner Katheter mit Silikonschlauch. Während der Operation bohrten die Ärzt*innen ein winziges Loch in meine Schädeldecke und führten dort den Shunt ein. Er verläuft nun von dort aus unter der Haut und leitet die überschüssige Gehirnflüssigkeit in den Bauchraum, wo der Körper sie abbaut. Diese Variante nennt sich VP-Shunt. Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen VA-Shunt zu implantieren, der dann im rechten Herzvorhof endet. Ein hinter dem Ohr befindliches Ventil reagiert auf den Druck im Ventrikel. Auf diese Weise kann ein starker Hirndruck zeitnah reduziert werden.

Ist ein Shunt erstmal implantiert, können Shuntträger*innen lange Zeit beschwerdefrei leben. Mehrfache Shuntrevisionen sind jedoch nicht unüblich, insbesondere bei Kindern, da diese sich noch im Wachstum befinden.

Ich fühle mich manchmal unwohl, wenn ich mich meinem Freund nackt zeige.

Auch meinem Shunt wurde ein zu schnelles Körperwachstum zum Verhängnis, als er im Alter von neun Jahren abriss. Die Folge: steigender Hirndruck. Die Symptome bei Hirndruck können von Patient zu Patient unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Betroffene fühlen sich ständig müde, klagen über starke Kopfschmerzen und Übelkeit bis hin zu Erbrechen, haben vermehrten Speichelfluss oder sogar Seh- und Gangbeschwerden.

Ich bin ständig im Krankenhaus

Der Abriss meines Shunts im Jahr 1999 blieb leider nicht die einzige Komplikation. Zwei Jahre später kam es durch die Ablagerung von Proteinen aus dem Hirnwasser zu einem Verschluss im Bereich des Ventils, was erneut zu erheblichen Beschwerden und zu einer weiteren Operation führte. Weitere zwei Jahre später war der Shunt im Bauchraum verwachsen – natürlich musste ich wieder operiert werden.

Meine bisher letzte Operation hatte ich am 23. April diesen Jahres. Auch dieses Mal war der Shunt im Bauchraum verwachsen. Er hatte sich um meinen Blinddarm gewoben, der obendrein noch entzündet war.

Niemand hätte je gedacht, dass ich eine normale Schule besuchen würde.

Wie die Ärzt*innen mir mitteilten, war es eine sehr schwierige Operation, da man erstmal drei Stunden lang verwachsenes Gewebe hatte entfernen müssen, um den Blinddarm finden und entfernen zu können. Ich konnte mir schon denken, dass es eine schwierige Operation gewesen war, denn ich hatte danach vier neue Narben und höllische Schmerzen.

Lieben mit Shunt

Da mein Shunt unter der Haut verläuft, sieht man meine Behinderung von außen kaum. Ich muss mich schon sehr recken und strecken, bis der Schlauch in meinem Hals zu erahnen ist. Was jedoch (je nach Situation) offensichtlich ist, sind meine zahlreichen Narben. Durch die Operationen habe ich eine Narbe am Kopf, fünf am Bauch und zwei im Leistenbereich davongetragen. Durch die vielen Infusionen sind meine Hände von kleinen Narben übersäht. Natürlich beeinflusst meine Beeinträchtigung so auch mein Liebesleben.

Ich fühle mich manchmal unwohl, wenn ich mich meinem Freund nackt zeige. Teilweise habe ich wegen meiner Narben ein schwaches Selbstwertgefühl. Durch meine Gleichgewichtsstörung kann (und will) ich beim Sex nie oben sein.

Wie es mein Leben bestimmt

Heute bin ich 28 Jahre alt. Meine Krankheitsgeschichte und der Shunt haben mein Leben immer stark beeinflusst und tun es noch heute. Ich war, abgesehen von meinen Operationen, so oft in Krankenhäusern, dass ich es schon gar nicht mehr zählen kann. Alle vier Jahre muss ich sowieso zur Kontrolle, oft war und ist es aber auch nur ein Fehlalarm.

Niemand hätte gedacht, dass ich jemals eine normale Schule besuchen würde. Aber ich habe es geschafft: Ich besuchte eine gewöhnliche Grundschule und ging auf ein Gymnasium. In der Schule bekam ich immer eine Sonderbehandlung. Für den Mathe- und den Sportunterricht hatte meine Mutter einen sogenannten Nachteilsausgleich beantragt, sodass ich für Klausuren 15 Minuten mehr Zeit bekam und in meinen sportlichen Leistungen nicht mit den Anderen verglichen werden durfte. In der Oberstufe wurde ich schließlich ganz vom Sportunterricht befreit. Ich schaffte mein Abitur, absolvierte ein Germanistik- und Anglistikstudium. Sprachen lagen mir schon immer.

Ja, meine Vergangenheit hat mein Verhalten und Denken geprägt. Die langjährige Behütung durch die Ärzte und die Überfürsorglichkeit meiner Mutter, die sich heute in Kontrollanrufen und übertriebener Anhänglichkeit widerspiegelt, haben dazu geführt, dass ich es nur schwer ertrage, allein zu sein. Am liebsten wäre es mir, wenn ich immer jemanden um mich hätte, weil ich es einen großen Teil meines bisherigen Lebens eben nicht anders kannte. Außerdem leide ich unter starker Verlustangst und befinde mich in psychotherapeutischer Behandlung.

Von Irritation bis Hochachtung

Menschen, die mich nicht kennen, und sehen, wie ich mal wieder irgendwo herumstolpere oder im Schneckentempo eine Treppe hinuntergehe, sind erstmal irritiert. Schließlich sieht man mir meine Behinderung nicht an. Sie schauen mich komisch an oder tuscheln untereinander.

Wenn sie dann aber erfahren, was dahintersteckt und was ich bereits in sehr jungen Jahren durchgemacht habe, zeigen sie sich überrascht, ja, sogar bewundernd und sprechen mir ihren vollsten Respekt aus. Und ich? Ich bin selbst unheimlich stolz auf mich, wenn ich meine Entwicklung und meine erreichten Ziele betrachte.