"Wir haben ein Herz für unsere Tiere", steht auf der Homepage der Land-schafft-Verbindung (LSV) Deutschland, einem Verbund von Bäuer*innen und Nutztierhalter*innen. Aufnahmen, die Spiegel Online vergangenen Freitag veröffentlichte und die aus einer Schweinezucht stammen, an der ein Sprecher der Bewegung beteiligt ist, zeigen jedoch das Gegenteil.

Das Foto- und Videomaterial wurde dem Spiegel von der Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (ARIWA) zur Verfügung gestellt. Es wurde nach Angaben der Tierrechtsorganisation in zwei Nächten Anfang Juni 2020 in einer Schweinezuchtanlage in der Ortschaft Siedenbollentin in Mecklenburg-Vorpommern aufgenommen. Die Bilder zeigen zahlreiche verletzte, kranke, tote und sterbende Ferkel. Außerdem ist eine Sau mit einer Rückenwunde zu sehen, vermutlich verursacht durch den Kastenstand, sowie eine regungslose, nach Angaben von ARIWA tote Sau, an deren Zitzen die Ferkel vergeblich versuchen, Milch zu saugen.

Der Betrieb, der nach Angaben von ARIWA für 1.250 Sauen ausgelegt ist, gehöre Dirk Andresen, Sprecher von LSV Deutschland, sowie dessen Vater, schreibt Spiegel Online. Dirk Andresen bestätigt auf seinem Facebook-Profil, er habe Anteile an der Anlage.

Sandra Franz, Sprecherin von ARIWA, ist von den Aufnahmen nicht sonderlich überrascht. Sie sagt gegenüber ze.tt: "Die Zustände in dieser Anlage unterscheiden sich nicht von den Zuständen in anderen Schweinehaltungen." Die Tierrechtlerin ist der Meinung: "Die Zustände in der Schweinezucht spiegeln den Branchendurchschnitt wieder."

Auch die von ARIWA dokumentierten Rechtsverstöße – die Kastenstände, die in der Anlage zum Zeitpunkt der Aufnahmen mit einer Breite von 52 Zentimetern illegal eng gewesen seien – seien branchentypisch. "Eigentlich ist ja in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung geregelt, dass die Sauen im Liegen ihre Beine ausstrecken können müssen. Dafür müssten die Kastenstände so breit sein wie die Sau hoch ist. Das ist in dieser Anlage nicht der Fall." Sie fügt hinzu: "Aber ich habe noch nie Videomaterial aus einer Schweinezucht gesehen, in der diese Verordnung irgendwie eingehalten worden wäre."

Die Bilder zeigen, wie es um diese Branche steht.
Sandra Franz, ARIWA

Auch Andresen schreibt in einem Facebook-Post, die vom Spiegel verbreiteten Bilder könnten "aus jedem anderen Betrieb mit Schweinehaltung in Deutschland stammen". Was Andresen als Argument zu seiner Verteidigung ansieht, wertet Sandra Franz von ARIWA hingegen als Grund, die Schweinehaltung insgesamt zu kritisieren und zu hinterfragen: "Die Bilder zeigen einmal mehr, wie schlimm die Zustände für die Tiere dort sind. Sie zeigen, wie es um diese Branche steht." Franz kritisiert nicht nur den einzelnen Betrieb, sondern das gesamte System. Wir wollen deswegen wissen: Wie genau sieht das Leben einer Sau in Deutschland aus?

Die Sauen in den Zuchtanlagen seien nur dafür da, Ferkel zur Welt zu bringen. In den vergangenen Jahrzehnten seien die Sauen so gezüchtet worden, dass sie immer mehr Nachwuchs bekämen. "Zuchtsauen in Deutschland sind letztendlich lebende Gebärmaschinen und nichts weiter", sagt die Tierrechtlerin. Das Leben der Sauen sei ein einziger Zyklus aus Besamung, Schwangerschaft, Geburt und Säugen.

Wie sieht dieses Leben der Tiere in Schweinezuchten in Deutschland aus? Wir gehen den Zyklus Schritt für Schritt durch.

Die Besamung

Eine Sau in Deutschland sei zwei bis drei Mal im Jahr schwanger, berichtet die studierte Tierärztin Sophie Langner, die in der Rechercheabteilung der Albert-Schweitzer-Siftung arbeitet. Zwischen dem Absetzen der Ferkel und der erneuten Besamung vergehe maximal eine Woche. Im Alter von etwa einem halben Jahr werden Zuchtsauen das erste Mal besamt. Künstlich. Denn schließlich sollen möglichst viele Sauen zum selben Termin schwanger werden. Die Besamung findet im sogenannten Deckzentrum statt, wo die Sauen, fixiert in Kastenständen, in einer langen Reihe stehen.

Die Besamung wird in der Regel eingeleitet, indem ein Eber durch den Gang geführt wird. "Es geht darum, dass der Eber Pheromone abgibt, damit die Sauen stimuliert werden und bereit sind, besamt zu werden", erklärt Sandra Franz von ARIWA. Anschließend bringt ein*e Mitarbeiter*in, in der Fachsprache Besamer*in genannt, einen sogenannten Besamungsbügel an den Rücken der Sau an. Die Sau habe dann das Gefühl, der Eber würde sie besteigen, erklärt Sandra Franz. So ist es dem*der Besamer*in möglich, einen dünnen Plastikschlauch, eine sogenannte Besamungspipette, in die Scheide der Sau einzuführen und den Samen in die Gebärmutter einzusetzen. "Das Sperma wird vorher gekauft und stammt von einem Zuchteber, der in irgendeiner anderen Anlage steht und besonders gute Merkmale mitbringt", erläutert Sandra Franz.

Im Deckzentrum bleiben die Tiere für circa fünf Wochen. Manchmal auch länger. Denn nicht jede Sau werde gleich beim ersten Besamungsversuch schwanger, so Tierärztin Sophie Langner: "Dann werden sie noch einmal besamt und dementsprechend kann sich die Zeit im Deckzentrum noch ziehen." Das bedeute für die Sauen weitere Wochen ohne Bewegung, sagt die Expertin. Denn: "Im Deckzentrum sind die Sauen durchgängig in Kastenständen fixiert", wie Langner betont: Im Kastenstand könnten die Sauen lediglich liegen, sitzen oder stehen.

Die Schwangerschaft

Ihre Schwangerschaft verbringen Sauen im sogenannten Wartebereich. Hier leben sie circa elf Wochen in Gruppenbuchten mit anderen Sauen zusammen. Wer glaube, im Wartebereich werde die Sau nun artgerecht gehalten, liege falsch, betont Tierärztin Sophie Langner. Zwar hätten die Sauen in den Gruppenbuchten im Vergleich zum Kastenstand etwas mehr Platz, aber immer noch nicht genügend.

In der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) steht zum Thema Gruppenbuchten in § 24 (2): "Bei Gruppenhaltung muss jede Seite der Bucht mindestens 280 Zentimeter, bei Gruppen mit weniger als sechs Schweinen mindestens 240 Zentimeter lang sein." Was diese Zahlen konkret für die Sauen bedeuten, verdeutlicht die Albert-Schweitzer-Stiftung in einem Artikel auf ihrer Homepage: "Den ausgewachsenen Zuchtsauen wird darin (in der Gruppenbucht) jeweils nur eine Fläche von höchstens 2,5 Quadratmetern zugestanden."

Das sei weder genügend Platz, um Rangkämpfen mit anderen Sauen aus dem Weg zu gehen, noch genügend Platz, um Funktionsbereiche, also einen Kotbereich und einen Liegebereich, voneinander zu trennen, sagt Tierärztin Sophie Langner: "Aufgrund des geringen Platzangebots ist das alles eins, was so gänzlich gegen die Natur eines Schweines ist." Nicht artgerecht also, aber legal.

Denn in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) heißt es lediglich vage: "Haltungseinrichtungen müssen so beschaffen sein, dass (…) die Schweine nicht mehr als unvermeidbar mit Harn und Kot in in Berührung kommen (…)." Was unvermeidbar beziehungsweise vermeidbar ist, bleibt Auslegungssache.

Die Geburt

Eine Woche vor der Geburt der Ferkel, dem Abferkeln, wie es in Fachkreisen heißt, darf die Sau erneut in einen Kastenstand eingesperrt werden. "In diesem Abferkelgitter sind die Sauen für circa vier bis fünf Wochen fixiert", so Tierärztin Sophie Langner.

Drei bis vier Wochen muss die Sau ihren vielen Ferkeln nun Milch geben. "Die Ferkelzahlen sind ja immer weiter hochgezüchtet worden", erzählt Langner, "was für die Sau natürlich sehr belastend ist, weil schließlich alle Ferkel von ihr versorgt werden müssen." Die Tierärztin betont: "Es ist ein sehr hoher Energieaufwand, diese Milchproduktion die ganze Zeit hochzuhalten."

Man möchte Sauen haben, die nicht lange trauern, wenn ihnen die Ferkel weggenommen werden, sondern die sofort wieder besamungsfähig sind.
Sophie Langner, Albert-Schweitzer-Stiftung

Durch das Abferkelgitter, in dem sich die Sauen befänden, sei es ihnen kaum möglich, eine Beziehung zu ihren Ferkeln aufzubauen, so Langner. "In dieser Haltung kann die Sau gar keine richtige Mutter-Kind-Beziehung zu ihren Ferkeln aufbauen", sagt sie. Eine wirkliche Beziehung zwischen Sau und Ferkeln, wie sie sich in der Natur durch den häufigen Nasenkontakt zwischen Sau und Ferkel aufbaue, sei in der Schweinezucht gar nicht erwünscht. "Man möchte Sauen haben, die nicht lange trauern, wenn ihnen die Ferkel weggenommen werden, sondern die sofort wieder besamungsfähig sind."

Die Ferkel werden der Sau in der Regel nach drei bis vier Wochen weggenommen, sagt Sandra Franz, abgesetzt, wie es im Branchenjargon heißt. Was passiert mit ihnen? Ein Teil der weiblichen Tiere werde vom Schweinezuchtbetrieb behalten, um Nachwuchs für die Zuchtsauen zu haben, so Langner. Die restlichen Tiere würden zu Mastschweinen. "Das heißt, sie werden aufgezogen, werden für ein halbes Jahr lang gemästet, dann geschlachtet und weiterverarbeitet", berichtet Langner.

Was passiert mit den kranken und verletzten Ferkeln, wie man sie auf den Bildern aus der Schweinezucht in Siedenbollentin sieht? "Die werden sterben gelassen oder getötet", so Sandra Franz. Meist würden diese

Tiere einfach in einer Mülltonne landen. "Wenn man die Geburten überwachen würde und sich direkt um diese schwachen Ferkel kümmern würde, dann würden sie auch überleben", sagt die Tierrechtlerin: "Aber das passiert ja in diesen Anlagen nicht, weil sich um die Ferkel zu kümmern, würde wieder mehr Aufwand, mehr Kosten bedeuten."

Die Schlachtung

Und was passiert mit der Sau? "Die Sau wird sofort wieder in einen Kastenstand eingesperrt und erneut besamt", sagt Sandra Franz von ARIWA. "Dann geht dieser Zyklus wieder von vorne los." Den Zyklus aus Besamung, Schwangerschaft, Geburt und erneuter Besamung würde eine Sau in der Regel sechs Mal durchmachen. "Dann ist sie komplett fertig." Die Gesundheit lasse nach. Sie sei immer schwerer zu besamen. Sie bekäme immer weniger Ferkel. Kurz: Sie werde immer weniger wirtschaftlich. Sie lohne sich nicht mehr.

Das Leben einer Zuchtsau – ein Leben, das das Tier etwa zur Hälfte fixiert in Kastenstand oder Abferkelgitter zugebracht hat – endet wie fast jedes Schweineleben im Schlachthof. Auf ein strapaziöses Leben folgt ein qualvoller Tod. Insbesondere bei der Betäubung durch Elektrozangen komme es bei Sauen oftmals zu Fehlbetäubungen, so Tierärztin Langner. "Die Sauen sind ja im Vergleich mit Mastschweinen deutlich größer, sodass die Betäubungsgeräte teilweise gar nicht auf die Größe der Sauen ausgelegt sind", sagt die Expertin. Die Stromstärken der Geräte würden oftmals nicht genügen, damit die Sau beim Stich – so nennt sich die Schlachtung – ausreichend betäubt sei. Viele Sauen seien bei ihrer Schlachtung noch oder wieder bei Bewusstsein und erlebten ihren Tod mit.

Zum Zeitpunkt ihres Todes sind Sauen zwischen zwei und drei Jahren alt. Ein recht hohes Alter, wenn man es mit dem Schlachtalter von Mastschweinen vergleicht, die bei ihrer Schlachtung erst sechs Monate alt sind. Ein niedriges Alter, wenn man es mit der natürlichen Lebenserwartung eines Schweins vergleicht: 15 bis 20 Jahre.