Zahlreiche fremde Menschen plaudern oberflächlich miteinander und tauschen Visitenkarten aus, während man gedanklich die Tipps aus dem Networking-Ratgeber durchgeht, den man vorher gelesen hat. Man soll sich so viel wie möglich unter Leute mischen, zahlreiche Kontakte knüpfen, permanent Eigenwerbung betreiben und keine Zeit allein verbringen. Doch jetzt, wo man hier steht, erscheint jeder einzelne Tipp unbrauchbar und widerspricht den eigenen Bedürfnissen. Für Introvertierte ist Netzwerken eine echte Herausforderung.

Introvertierte unterscheiden sich von Extrovertierten in erster Linie darin, woher sie ihre Energie beziehen. "Extrovertierte beziehen ihre Energie aus dem Kontakt mit anderen, während dies Introvertierten Energie kostet", erklärt Susanne Strobach, Leiterin der Achtsamkeits-Akademie. Introvertierte schöpfen Kraft, wenn sie zur Ruhe kommen und alleine sind. Daraus ergibt sich, dass Introvertierte ruhiger sind, denken, bevor sie reden, bei Themen gerne in die Tiefe gehen, reflektiert und fokussiert am liebsten allein arbeiten, während Extrovertierte Gruppenarbeit bevorzugen, reden, um zu denken, viele Themen aufgreifen und abdecken und gerne unter Menschen sind. Introversion und Extroversion sind zwei gegensätzliche Pole, wobei der Übergang fließend ist und es ebenso Menschen gibt, die in der Mitte verortet sind, beziehungsweise je nach Situation mal introvertiert, mal extrovertiert reagieren.

Brauche ich Netzwerke?

Wenn Introvertierte also ohnehin lieber allein sind, wozu sollten sie dann netzwerken? "Der Mensch wird am Du zum Ich", zitiert Strobach den Religionsphilosophen Martin Buber. "Über den Austausch mit anderen lerne ich auch viel über mich und entwickele mich weiter", sagt sie. Martina Haas zählt im Buch Crashkurs Networking auf, was Netzwerke leisten können, unter anderem: Gelegenheit, Gemeinschaft zu pflegen, Erweiterung des Horizonts, Informationen, fachlicher Austausch, neue Erfahrungen sammeln, Anregungen etwas zu tun, Ermutigungen bei Vorhaben und Unterstützung. Coach und Berater Roman Spicl erzählt mir, dass besonders im Job ein Netzwerk von Vorteil ist, denn 70 Prozent aller offenen Stellen werden über Networking besetzt und kommen nie zur Ausschreibung. "Die Kunst des Netzwerkens besteht darin, in unterschiedlichsten Zusammenhängen für jede Frage die richtige Person für die richtige Herangehensweise zu kennen", schreibt auch Haas in ihrem Buch.

So kann Netzwerken für Introvertierte angenehm sein:

1. Ziele definieren

Bevor man mit dem Aufbau eines Netzwerkes beginnt, sollte man konkrete Ziele definieren. Geht es um berufliche Neuorientierung und Weiterentwicklung? Möchte man Menschen kennenlernen, mit denen man ein Hobby teilt oder Hilfe bei einem Anliegen? Nur konkrete Ziele ermöglichen die Überprüfung des Fortschritts. "Insbesondere bei der aktiven Jobsuche ist Netzwerken ein unerlässliches Mittel, neue Schritte zu versuchen und sich Personen vorzustellen, die man nicht kennt", sagt Spicl. Je konkreter das Warum definiert ist, umso leichter wird es fallen, über seinen eigenen Schatten zu springen. Außerdem sollten vorab Ressourcen festgelegt werden, die man in Networking investieren will: Zeit, Energie und Geld.

2. Qualität statt Quantität

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass ein gutes Netzwerk riesig groß ist. Häufig ist es nicht so wichtig wie viele Menschen man kennt, sondern wie gut und ob es die richtigen sind. Strobach sagt: "Die Leute, die einem am nächsten sind, kommen mir oftmals gar nicht als erstes in den Sinn. Ich stelle immer wieder fest, dass man da ein bisschen kompliziert denkt." Statt sich ins Getümmel zu werfen, um neue Menschen kennenzulernen – ein Tipp der bei Introvertierten ohnehin auf taube Ohren stößt – sollte man in Ruhe nachdenken, welche Personen man bereits kennt, egal wie flüchtig oder entfernt. Auf so jemanden zuzugehen (vielleicht erst mal per E-Mail) ist wesentlich leichter als auf Fremde. Spicl empfiehlt Freund*innen und Bekannte nach Kontakten zu fragen, die bei Anliegen weiterhelfen könnten.

3. Keine Angst, jemandem zur Last zu fallen

Die Ablehnung von Seiten der Networking-Hasser*innen – auch bekannt als Introvertierte – bezieht sich auch auf den Aspekt, dass bewusstes Netzwerken nach Berechnung klingt. Als würde man andere für die eigenen Zwecke ausnutzen und ihnen zur Last fallen. Laut Spicl ist dies allerdings nicht der Fall. "Meistens ist das für die anderen nicht unangenehm und vielleicht fühlt man sich dadurch sogar geschmeichelt und wertgeschätzt, sodass man es gerne macht." In der Regel helfen Menschen gerne weiter, geben Ratschläge und Tipps, wenn sie danach gefragt werden. Wer trotzdem Vorbehalte hat, sollte sich das Buch The Art of Asking von Amanda Palmer zu Gemüte führen.

4. Sich seiner Stärken bewusst werden

Networking ist keine Einbahnstraße. Introvertierte verfügen genauso über Wissen, Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie anderen zur Verfügung stellen können. Spicl rät dazu, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen. "Introvertierte können in der Regel gut zuhören, Gesprächssituationen besser analysieren und argumentieren eher auf der sachlichen Ebene. Gerade in einer Gruppe tragen sie oft zur Ausgewogenheit bei." Strobach erzählt mir eine Anekdote von ihrer introvertierten Tochter, die oft stundenlang still beobachtet, aber dann einen Satz sagt, der so auf den Punkt ist, dass alle Anwesenden ganz überrascht sind.

5. Networkingevents nicht allein bestreiten

Ein Raum voller fremder Menschen, die mit Small Talk beschäftigt sind und Visitenkarten verteilen, so stellen sich Introvertierte die Hölle vor. Die erste Hürde ist das Hingehen zu so einem Event, die zweite dort mit jemandem zu sprechen. Laut Spicl spricht nichts dagegen eine*n Freund*in mitzunehmen. Außerdem hilft eine gute Vorbereitung, um sich wohler zu fühlen. Vorher Sätze überlegen, die das Eis brechen und sich gedanklich ein kleines Statement zurechtlegen, mit dem man sich anderen vorstellt. Wem trotzdem noch immer die Nackenhaare aufstehen, dem sei gesagt, dass man jederzeit gehen kann. Oder man versucht es erst mal mit dem Besuch einer Lesung oder Diskussionsrunde, belegt eine Weiterbildung oder einen Kurs.

6. Auf Small Talk vorbereitet sein

Ohne Small Talk geht es nicht und statt ihn zu verteufeln, sollte man sich die zentralen Funktionen von Small Talk vergegenwärtigen: Small Talk ermöglicht prinzipiell lockeren, leichten Kontakt, vor allem zu Fremden. Er sorgt für Vertrauen und offenbart Gemeinsamkeit und schließlich ist er eine Möglichkeit die Unterhaltung auf eine tiefere Ebene zu führen. Mit den Bedeutungen im Hinterkopf ist es eventuell leichter sich auf Small Talk einzulassen. Unverfängliche Fragen und Aussagen über Offensichtliches wie das Wetter oder die Veranstaltung, auf der man sich gerade befindet, sind ein empfehlenswerter Gesprächsbeginn. Trotzdem muss man es nicht auf der Ebene belassen. Es spricht nichts dagegen den ersten Schritt zu machen, um das Gespräch auf eine tiefsinnigere Ebene zu bringen auf der man sich wohler fühlt.

7. Sich nicht verbiegen

Wir leben in einer extrovertierten Welt von Reizüberflutungen, Großraumbüros und Gruppenarbeit. Trotzdem sollten Introvertierte nicht versuchen sich zu verstellen, sondern auf ihre Bedürfnisse Rücksicht nehmen und authentisch bleiben. Ansonsten würden sich Introvertierte ihrer Stärken berauben, sagt Spicl. Außerdem schafft man es in der Regel nicht lange, sich zu verbiegen.

Abschließend sei gesagt, dass sowohl Strobach als auch Spicl die Erfahrung gemacht haben, dass die Ergebnisse am besten sind, wenn Introvertierte und Extrovertierte gemeinsam zusammenarbeiten. Wenn Strobach ein Team zusammenstellt, achtet sie darauf, dass es aus Extrovertierten und Introvertierten besteht, weil sie unterschiedliche Stärken einbringen. Ihrer Meinung nach entdecken momentan Extrovertierte die Qualitäten, die vielen Introvertierten zu eigen sind, was sie an einem vermehrten Interesse an dem Thema Achtsamkeit festmacht. Dabei geht es auch darum, zur Ruhe zu kommen und innezuhalten. "Extrovertierte, die sich damit beschäftigen, nähern sich ein bisschen den Introvertierten an. Ich glaube, es kommt jetzt die Zeit der Introvertierten."