Silja Korn streicht einem steinernen Seelöwen über den Kopf. "Hier sind die Augen, ne?", fragt sie ihren Mann.

"Ja", antwortet er.

Sie tastet weiter, findet den Kopf des zweiten Seelöwen. "Und das ist sein Hinterteil?"

"Nee, das ist der andere."

"Ach, das sind zwei, ja?" Silja richtet sich auf, tritt ein paar Schritte zurück, holt ihre Kamera heraus, hält sie vor's Gesicht und drückt auf den Auslöser.

Die Fotografin ist blind, ihre Motive muss sie mit den verbliebenen Sinnen erspüren. Sie fotografiert oft Springbrunnen wie die am Brandenburger Tor in Berlin. "Ein perfektes Foto ist für mich, wenn ein Baum zu sehen ist, ein Ast, Blätter, ein Stück vom Himmel und wenn die Sonne ein bisschen durchscheint", beschreibt sie. "Weil es mich an frühere Zeiten erinnert, als ich noch sehen konnte. Wir sind früher mit unseren Eltern viel im Wald gewesen und dann habe ich gesehen, wie ganz feine Strahlen der Sonne durch die Blätter gekommen sind. Das hat so einen ganz tollen Schatten am Boden geworfen."

Silja ist schon als Kind sehbehindert, aber mit einer Brille kann sie normal durch die Welt gehen. Mit zwölf Jahren hat sie einen schweren Autounfall. Die Ärzt*innen bemerken nicht, dass es in ihren Augen blutet. Der steigende Druck schädigt ihren Sehnerv. Als Silja ihre eigene Schrift nicht mehr erkennen kann, ist es zu spät. Sie erblindet.

Zuvor hatte sie Spaß am Fotografieren, doch nun lässt sie die Kamera liegen. Wie soll eine Blinde gute Fotos machen, wenn alles schief ist oder verschwommen oder das Motiv nur zur Hälfte zu sehen ist?

2004 liest sie den Aufruf einer schweizerischen Fotografin. Die sucht nach Blinden, denen sie das Fotografieren näher bringen will. Silja ist die einzige, die sich meldet. Die Fotografin macht sie auf ihre Umgebung aufmerksam: "Sie hat mich gefragt: 'Was spürst du hier? Was könnte hier interessant sein?' Ich musste wirklich erst einmal spüren lernen", erzählt Silja. Blende, Fokus, Weißabgleich, all die Einstellungen nimmt sie so vor, wie sie ihre Motive findet: nach Gefühl.

Die Schweizerin und Silja machen Fotos und vergleichen die Ergebnisse später. Silja sagt: "Das war total spannend. Ich habe zum Beispiel Fahrradfahrer gehört und sie fotografiert. Die sind ein bisschen aus meinem Bild herausgefahren. Sie hat das selbe Foto gemacht. Meines war verschwommener, eigentlich interessanter als ihres."

Dass ihre Bilder nicht gerade sind oder perfekt scharf, das empfindet sie jetzt nicht mehr als Manko. Die Fotos bieten ihr die Möglichkeit, den Sehenden ihre Welt zu zeigen.

Inzwischen hat Silja keinen Kontakt mehr zu der Fotografin, die sie wieder für das Fotografieren begeistert hat. Doch die Kamera hat sie wieder oft dabei. Ihre Fotos stellt sie aus und hofft, dass sie andere Sehbehinderte und Blinde motivieren kann, zu fotografieren. "Weil es Spaß macht. Es ist ein Lebenselixier."