Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, frohes Neues! Wir fallen uns in die Arme, beglückwünschen uns gegenseitig und zünden Dinge an, die sich Megabang oder Boombastic nennen. Wir trinken unbedingt Sekt, essen Schokolade, die plötzlich Glück bringen soll, und orakeln über die Zukunft. Das Allerwichtigste aber ist: Spaß haben! Wir müssen unter allen Umständen wirklich, wirklich sehr viel Spaß haben. Schließlich ist Silvester. Da macht man das so.

Genau dieser Zwang macht Silvester zum Gegenteil dessen, was es eigentlich sein sollte.

Soll: dem Prozess vertrauen. Alle, worauf sie Lust haben.

Ist: Eine durchgeplante Nacht mit zu hoch gesteckten Erwartungen.

Ein Krampf, der nur mit einer beeindruckenden Menge Vorzeigespaß zu lösen ist. Du warst nur bist zwei Uhr wach? Lame. Du hast Silvester zu Hause verbracht? Oh, du musst krank gewesen sein. Die Nacht auf den 1. Januar ist ein Feierwettbewerb, den niemand gewinnen kann. Wieso nicht einfach bleiben lassen?

Burn the money

Silvester ist prätentiös. An keinem anderen Tag nehmen wir so viel Geld in die Hand, um es in Sekundenbruchteilen wieder zu verbrennen. Das kurze Knallen am Nachthimmel ist den Deutschen 129 Millionen Euro wert. So viel haben wir 2015 in nur drei Verkaufstagen vom 29. bis 31. Dezember für Feuerwerksartikel ausgegeben. Und warum? Für ein unnützes Bumm.

Wer statt Licht in den Himmel zu schießen lieber zum Feiern in den Club geht, kommt nicht billiger davon. Diese eine Nacht ist nämlich so besonders, dass wir dreimal so viel Eintritt als an allen anderen Nächten zahlen dürfen. Für Spaß im Club, der noch voller als sonst ist, für den du dich noch länger als sonst anstellen musst und der noch verkaterter als sonst endet. Die Silvesternacht ist nichts anderes als eine kollektive Geldverbrennung.

Why the fuck?

Na gut, wer tatsächlich immer noch Angst vor dem germanischen Kriegsgott Wotan hat und ihn vertreiben will, dem sei das laute Feiern vergönnt. Schließlich muss man sich schützen – auch vor dem eigenen schizophrenen Aberglauben. Für alle anderen gilt: Nein! Ein Jahr endet, ein neues beginnt ... äh, wow? Wir haben – ohne eine Wahl gehabt zu haben – einfach 365 Tage vergehen lassen, Glückwunsch zu dieser Leistung. Wieso ballern wir nicht zu jedem Monatsende oder gleich täglich um Mitternacht lustiges Sprengstoffspielzeug in den Himmel? Eben.

Umwelt

In der letzten Nacht des Jahres bereitet es uns wahnsinnig viel Spaß, Chemikalien und Metalle in Form von Raketen in den Himmel zu schleudern. Die hinterlassen am nächsten Tag so viel Feinstaub in der Luft, wie es sonst der Straßenverkehr im ganzen Jahr nicht schafft. Wer sich trotzdem auf die halb verbrannten Straßen traut, darf mit stechenden Augen und kratzendem Hals durch eine knöchelhohe Flut an Böllerresten und Kotze waten. Um unseren Dreck wegzumachen, waren in Berlin vergangenes Jahr 1.700 Mitarbeiter*innen der Stadtreinigung mit 450 Fahrzeugen beschäftigt. Umweltfreundliche Feuerwerkskörper gibt es übrigens nicht. Wer das Lautsein nicht lassen kann, der könnte sich der Umwelt zuliebe nach Alternativen umsehen. Vielleicht eine Ratsche drehen oder beatboxen.

Vorsicht, Spaß

Das alte Jahr endet mit Partyzwang, das neue beginnt mit Drama. Zumindest für viele. In den Krankenhäusern herrscht vor allem zwischen 24 und 10 Uhr morgens Hochbetrieb, manche Kliniken stellen sich am 1. Januar sogar auf 70 Prozent mehr Patient*innen ein als sonst. Denn es gilt Menschen mit Brandwunden und Knalltraumen zu versorgen, Menschen mit einer weniger als üblichen Menge an Fingern, Händen oder Augen zu vervollständigen, und Menschen von einem erfolgreichen Tauchgang im Schnapsfass in die Realität zurückzubringen.

Armer schwarzer Kater

Wen die Böllerexplosionen und das betrunkene Gegröle schon nerven, der fragt am besten mal unsere lieben Tiere. Schon vergessen? Das sind diese anderen Wesen, mit denen wir unseren Heimatplaneten teilen. Egal, ob Haustiere wie Katzen und Hunde, Tiere in freier Wildbahn oder im Zoo, für sie muss die Silvesternacht besonders unerträglich sein. Vor allem, weil sie teils viel empfindlichere Ohren und Nasen haben. Mit jedem Knall und jedem Pfeifen fährt ihnen der Schreck tiefer in die Knochen oder Gräten. Sie kennen diesen irren Menschenbrauch nicht, an einem bestimmten Datum freiwillig ganz viel Lärm zu machen und seltsame Lichtformen in den Himmel zu zeichnen. Für sie geht wahrscheinlich jedes Jahr aufs Neue die Welt unter. Gott im Himmel, sie können sich nicht mal selbst die Ohren zuhalten!

Auch wenn es jetzt anders scheint, eigentlich will ich Silvester gar nicht abschaffen. Ich will ihm bloß den Druck und den Lärm nehmen – wie jedem guten Stuhlgang. Lasst uns einfach zusammenkommen, als wäre es ein normales Wochenende. Das kann jede*r so hart feiern wie er*sie will. Oder eben auch nicht.

Etwas Gutes hat das dieses Silvester: Es ist die Nacht, die endlich das bittere Jahr 2016 beendet. Noch mehr schlechte Nachrichten wären kaum zu ertragen gewesen. Bleibt zu hoffen, dass die nächsten 365 Tage keine Dexits oder Mario Barths als Kanzlerkandidaten hervorbringen.