Wer hin und wieder die Gedanken schweifen lässt, versetzt sein Gehirn in einen wohltuenden Zustand, in dem es kreative Einfälle produziert und den Lebenskompass neu ausrichtet. Das passiert zum Beispiel ganz automatisch auf längeren Zugfahrten, wenn wir uns zur Abwechslung mal keiner bestimmten Aufgabe widmen. So eine mentale Pause sollten wir uns auch im Alltag immer wieder gönnen. Das macht nicht nur ausgeglichener, sondern wir können hinterher auch wieder erfrischt an die Arbeit gehen.

Forscher*innen haben in den vergangenen Jahren mehrere Wege gefunden, wie sich unser Gehirn verlässlich in den Tagträum-Modus versetzen lässt. Was lädt unseren Geist besonders zum Flanieren ein? Musik! Und hier funktioniert Bon Iver offenbar besser als Bon Jovi, wie Forscher*innen um die Psychologin Liila Taruffi, damals an der Freien Universität Berlin, zeigten. Als sie ihre Proband*innen im Hirnscanner mit den unterschiedlichsten Liedern beschallten, stellten sie fest, dass deren Gedanken bei trüben Klängen eher auf Wanderschaft gingen.

Das machten sie an der gesteigerten Aktivität in einem weit verzweigten Netz aus Hirnarealen, dem sogenannten Ruhemodusnetzwerk, fest. Zu diesem Netzwerk gehört unter anderem der Precuneus, ein Teil des Großhirns, der an unserer visuellen Vorstellungskraft mitwirkt. Auch langsamere Rhythmen luden Taruffis Versuchsteilnehmer*innen eher zum Tagträumen ein. Die Schwermut, die Musik in uns auslöst, habe eine andere Qualität als ein trauriger Moment in unserem Leben, schreiben die Forscher*innen. Viele Menschen genießen es sogar, für ein paar Minuten in Melancholie zu schwelgen.

Taruffi und ihr Team überwachten nicht nur die Hirnaktivität der Musikhörenden, sondern befragten sie auch zwischendurch, woran sie gerade gedacht hatten. Auffallend oft traten die Proband*innen eine Reise in die Vergangenheit an, während sie sich davon träumten – typisch für den Tagträum-Modus, der immer auch innere Bilder aus unserer Biografie zutage fördert. Forscher*innen vermuten, dass wir, wenn wir in unsere Gedankenwelt abtauchen, stärker über persönliche Ziele und das große Ganze unseres Lebens sinnieren.

Ein Grund mehr, ins Museum zu gehen

Die Tagträume kommen in der Regel zum Erliegen, sobald wir uns mit der Umwelt auseinandersetzen oder auch nur aufmerksam einen Gegenstand betrachten. Der Neurowissenschaftler Edward Vessel und sein Team fanden 2012 an der New York University eine erstaunliche Ausnahme: Kunst, die uns berührt. Sie zeigten ihren Proband*innen im Hirnscanner mehr als 100 unbekannte Kunstwerke verschiedener Stile und Epochen, darunter Porträts, Stillleben, Landschaften und schlichte geometrischen Formen – Bilder, die ganz unterschiedliche Geschmäcker bedienen. Die Teilnehmenden der Untersuchung sollten dann bewerten, wie sehr sie ein Gemälde bewegte.

Es zeigte sich: Nur die Bilder, die sie am stärksten berührten, hielten das Ruhemodusnetzwerk in Gang. Welche Werke das waren, unterschied sich von Person zu Person. Für die eine war es die wolkenverhangene Landschaft in Öl, für den anderen der schwarze Kreis auf rotem Grund, der seine Gedanken davontrug. Wer den eigenen Kunstgeschmack kennt, hat jetzt also das perfekte Argument, noch öfter ins Museum zu gehen. Am besten mit einem melancholischen Song im Ohr.

Mehr über die Vorteile des Tagträumens und eine Anleitung zum Geist entrümpeln gibt es von unserer Autorin in der April-Ausgabe von ZEIT WISSEN.