Mit ganzem Körpereinsatz sperrt Ghaith Henki die schweren Metalltüren des Containers auf. Seit mehreren Wochen schon steht der auffällige hellblaue Stahlkoloss in Franken, genauer in Hof – innenstadtnah, vor einer Schule. Nach wenigen geübten Handgriffen steht die komplette vordere Front des alten Containers offen. Wie eine Ziehharmonika klappen die Türen ineinander. Und das, was im Inneren steckt, würden wohl nur wenige erwarten: eine großzügig ausgestattete Küche.

Dreimal in der Woche lädt das Team von Kitchen on the run zum Kochen in den Container ein und verfolgt damit mehr als nur gemeinsam zu essen. Denn neben den persönlichen Lieblingsgerichten geht es ums Zwischenmenschliche, um Begegnung und um die Geschichten hinter dem Essen. Vor allem aber ums Kennenlernen von Menschen mit und ohne Fluchterfahrung.

Vor gut drei Jahren ging das Team um Ghaith Henki mit ihrem mobilen Container das erste Mal auf Reisen. Ihre mehrmonatige Tour quer durch Europa führte sie nach Frankreich, Schweden, Deutschland, Italien und die Nieder­lande. Nach den ersten Erfahrungen mit dem Container reiste die Küchencrew in den darauffolgenden Jahren durch Deutschland und machte vor allem in kleineren Städten Station. Mehr als hundert Kochabende kamen so bis heute zusammen.

Eine mobile Küche im Schiffscontainer

Die Idee zum Umbau des ausrangierten Containers stammt von Rabea Haß und Jule Schröder – zwei Freundinnen, die eigentlich mit einer Containerbar um die Welt reisen wollten. Doch 2015 bewarben sich die beiden mit einem leicht abgewandelten Konzept erfolgreich bei einem europäischen Wettbewerb. An ihrer Seite stand damals der Berliner Verein Über den Tellerrand, der nicht nur das Projekt Kitchen on the run verantwortet, sondern schon 2013 damit begonnen hatte, mit geflüchteten Menschen zu kochen, um einen Austausch auf Augenhöhe zu ermöglichen.

In die Tat umgesetzt wurde das Konzept der mobilen Küche an der TU Berlin. So fand auch Ghaith Henki, der 2015 nach Deutschland kam, zum Projekt. Seine syrische Heimat musste er wegen des Krieges verlassen. Obwohl der sogenannte Islamische Staat mittlerweile im Land weiträumig zurückgedrängt worden ist, sind viele Städte zerstört. Seine Eltern sind geblieben, zu ihnen hält Ghaith Kontakt.

Denn neben den persönlichen Lieblingsgerichten geht es ums Zwischenmenschliche, um Begegnung.

Eine zufällige Begegnung

Ghaith Henki versuchte nach seiner langen Flucht aus Syrien, schnell Anschluss zu finden. Er wollte nicht alleine in seinem Zimmer sitzen. "Ich wollte Deutsche treffen." Das sei in einer so großen Stadt wie Berlin recht einfach gewesen, meint er.  An der TU Berlin schrieb er sich für eine Sommerschule ein. Dass es im weitesten Sinne ums Kochen ging, wurde ihm erst bewusst, als er dort ankam. Anfangs schlug er sich noch ohne große Sprachkenntnisse durch.

Ghaith Henki studierte in Syrien Architektur, mit Plänen und Skizzen kennt er sich aus. Zusammen mit einem Dutzend anderer Student*innen füllte er die Idee der mobilen Küche mit Leben, baute Stühle, Tische oder Regale, um am Ende alles in den Schiffscontainer zu setzen. Nicht länger als zwei Monate habe der Umbau gedauert, sagt er.

Weil die Chemie stimmte, blieb er dabei. Das Kochen hat er sich selbst beigebracht und viel von seiner Mutter gelernt. Heute gibt er Kurse zu orientalischem Essen und betreut die Kochabende auf der diesjährigen Deutschlandtour. Los ging es im Frühjahr in Berlin. Nach der Station in Hof in Bayern geht es nun für die nächsten sieben Wochen ins thüringische Schmalkalden – und danach in den hohen Norden nach Rendsburg, eine 28.000-Seelen-Gemeinde, gelegen am Nord-Ostsee-Kanal. Die Teilnahme an der Tour wurde ausgeschrieben. 37 Städte hatten sich beworben, vier wurden am Ende ausgewählt.

Was isst du am liebsten?

Franziska Kaiser, Integrationslotsin bei der Diakonie, hat den Container nach Hof geholt. "Ich fand das Projekt ziemlich geil", sagt sie. Kaiser selbst organisierte in den vergangenen Jahren mehrere Veranstaltungen und hoffte mit dem Container auf ein neues Format und auf neue Gesichter.

Bei den Kochabenden habe sie viele Menschen getroffen, die bisher noch wenig Erfahrung in der Arbeit mit Geflüchteten hatten. "Das Kennenlernen funktioniert ganz automatisch – da ist nichts gekünstelt." Dem Team von Kitchen on the run stellt sie sogar ihr Haus zur Verfügung, als Büro und Unterkunft. Negative Stimmen gab es bislang nicht, sagt Kaiser. Ohnehin sei es in Hof eher ruhig. Ablehnung gebe es vor allem im Netz.

Beim Kochabend in Hof ist von Vorurteilen allerdings nichts zu spüren. Interessierte können wählen, welche Rolle sie einnehmen – ob sie als Gastgebende auftreten möchten, "um anderen dein Lieblingsrezept zu zeigen", oder lieber als Gast, "wenn du neue Gerichte kennenlernen möchtest". Abgefragt werden Name, E-Mail, Herkunft und natürlich das gewünschte Datum. Auch Allergien und den Wunsch nach vegetarischem Essen erfasst das Formular. Die Deutschen würden sich damit leichter tun, scherzt Ghaith. Die Geflüchteten seien da deutlich spontaner, erzählt er. So ein Anmeldeprozedere mit genau festgelegten Zeiten sei eben doch typisch deutsch.

Skeptisch, aber neugierig

In Franken bekam das Team Hilfe von arabischen Restaurants, türkischen Supermärkten oder von Bio-Läden, die ihnen Lebensmittel überließen. "Am Anfang ist es nicht immer ganz so einfach, weil niemand weiß, was passiert." Doch die Idee von Kitchen on the run spreche sich schnell rum in einer kleinen Stadt wie Hof. Nach einer Woche schon wurden sie sogar auf der Straße erkannt, so Ghaith. Gleichzeitig gebe es auch jene, die mit Skepsis auf das Projekt schauten. "Oft ist es aber eine Mischung aus kritisch und neugierig. Sie wollen wissen, woher das Geld für das Projekt kommt oder was wir erreicht haben."

Mehr als 20 Interessierte haben sich anlocken lassen,um  einen Abend lang zu kochen, miteinander zu sprechen, zu essen, gemeinsam zu spülen. Bevor sich alle auf die Zutaten stürzen, stellen sie sich in einem großen Kreis vor dem Container auf. Alle tragen Schürzen, auf der Brust klebt ein Stück Klebeband mit dem jeweiligen Namen. Es geht weniger ums Kochen, sondern vielmehr ums Kennenlernen und die Begegnung. Das funktioniert dann am besten, wenn alle etwas mehr voneinander wissen. Also sagen alle ihren Namen, woher sie kommen und was sie am liebsten essen – heute Abend sind das Sushi, Taboulé, Spätzle und Pizza. Danach wird die mobile Küche angeschaut und Regeln werden festgelegt. Auch einen Feuerlöscher gibt es an Bord – für alle Fälle.

Schneiden, hacken, rühren

Es gibt Reis mit Hackfleisch, Erbsen und Nüssen. Außerdem mariniertes, gegrilltes Hähnchenfilet mit Taboulé – ein traditioneller Salat aus der syrischen Küche mit Bulgur, allerlei Gemüse, frischer Petersilie und Minze. Auch ein Dessert steht an diesem Abend auf der Speisekarte – Erdbeer-Tiramisu mit Basilikum.

Damit bei der Zubereitung dieses Drei-Gang-Menüs möglichst wenig schief geht, erklären die Gastgebenden ihren Gästen, wie sie sich das Gericht vorstellen und was es zu tun gibt: Salat schneiden, Reis kochen, Karotten schälen, Mascarpone verrühren, Petersilie hacken, Zitronenschale abreiben und das Fleisch auf lange Spieße stecken. Auch der Grill wird angefeuert, eine große Flamme steigt durch das metallene Gitter nach oben. Auf dem Platz vor dem Container riecht es nach Gegrilltem, es duftet nach frischen Kräutern und orientalischen Gewürzen. Deutsche und arabische Vokabeln mischen sich immer wieder in den Gesprächen.

"Die Teilnehmer müssen sich selbst organisieren. Es ist ihre Aufgabe, fleißig Aufgaben zu verteilen und Dinge zu erklären – zur Not auch mit Händen und Füßen", sagt Ghaith Henki. Er ist so etwas wie der Joker, wenn es bei der Verständigung hakt. Drei Sprachen spricht er mittlerweile: Deutsch, Englisch, Arabisch. Mit seinem Humor und seiner Begeisterung reißt er die anderen mit.

Deutschland kennenlernen

Ein Dutzend Menschen haben sich in Hof zusammengetan und wollen diese Kochabende auch weiterhin anbieten. Zumindest eine Location haben sie schon gefunden, erzählt Ghaith. Ein Haus der evangelischen Jugend soll ihre neue Sammelstätte werden – eine Küche gibt es dort schon. Kitchen on the run will mit ihren gemütlichen Abenden den Anstoß für ein gelebtes Miteinander in der Stadt geben und an allen Standorten eine aktive Community hinterlassen, die nach der Abreise Begegnungsveranstaltungen organisiert.

Ghaith freut sich über den großen Zuspruch. Er fühlt sich wohl in Deutschland, schätzt vor allem das Leben in Berlin – trotz der AfD oder Menschen, die gegen Geflüchtete auf die Straße gehen und ihre Ablehnung im Netz verbreiten. "Es gibt überall schlimme Leute", meint er. Anfeindungen habe er selbst kaum erlebt, anfangs aber auch gar nicht alles verstanden, was die Menschen auf der Straße zu ihm gesagt haben. "Wenn du freundlich mit allen umgehst, dann tun sie es auch mit dir", diese Erfahrung hat er gemacht.

Durch die Kochabende möchte Ghaith Deutschland noch besser kennenlernen, das Leben in den kleineren Städten verstehen. Einen gravierenden Unterschied spürt er bislang nur an den Wochenenden. Dann findet er nämlich keinen Späti wie in Berlin, dann habe nur noch die Tanke offen.

Von Tom Waurig (Text) und Benjamin Jenak (Fotos) auf Veto.

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