Dieser Text ist Teil einer Kolumnenserie für ze.tt crime. Im Wechsel berichten ein Polizist, eine Anwältin und eine Gerichtsmedizinerin über ihren Berufsalltag, Themen, die sie beschäftigen und kuriose Fälle. Den Anfang macht Katharina Feld, die für das Institut für Rechtsmedizin in Köln arbeitet.

Von vielen Freund*innen und Bekannten höre ich oft die Frage: "Sag mal, wie kannst du das eigentlich?" Häufig folgt dann der Nachsatz: "Für mich wäre ja absolut nichts!" Ehrlicherweise denke ich dasselbe über viele Jobs von Freund*innen und Bekannten, denn ich bin froh, täglich das zu tun, was ich mir ganz bewusst ausgesucht habe. Schon früh haben mich Kriminalfälle fasziniert, ich liebe Logik und arbeite gerne mit meinen Händen. Medizinerin wollte ich – mit kleinen gedanklichen Abschweifungen zwischendurch – schon immer werden, aber mein Frust über das Gesundheitswesen wuchs während des Studiums. So wurde ich Rechtsmedizinerin – und ich liebe meine Arbeit.

Aber was macht eine Rechtsmedizinerin überhaupt? Auf jeden Fall nicht dasselbe wie eine Pathologin, auch wenn das viele denken und manche Medien diese Geschichte erzählen. Patholog*innen arbeiten hauptsächlich mit Geweben und stellen daran Erkrankungen fest. Sie obduzieren selten. Und wenn, dann handelt es sich um Verstorbene, die eines natürlichen Todes gestorben sind.

So hatten wir beispielsweise einen Mann, der tot im Van einer Prostituierten gefunden wurde und von dem seine Frau dachte, er sei bei der Arbeit.
Katharina Feld

Als Rechtsmedizinerin ist Obduzieren an der Tagesordnung. Ich obduziere Verstorbene, bei denen der Verdacht auf eine Fremdeinwirkung besteht, nicht identifizierte Verstorbene, Fälle mit Behandlungsfehlervorwürfen, Unfalltote und auch ganz offensichtliche Tötungsdelikte. Es ist ein buntes Spektrum verschiedenster Fällen, alle im Auftrag von Polizei und Staatsanwaltschaft, ganz selten mal einen Privatauftrag, bei dem Angehörige bereits von der Staatsanwaltschaft freigegebener Verstorbener gern die Todesursache von uns geklärt haben möchten.

Eine Gemeinsamkeit haben somit alle Fälle: Nach dem Tod wurde die Polizei informiert, weil Hinweise auf einen nicht natürlichen Tod oder eine ungeklärte Todesart vorliegen.

Die Arbeit mit dem Tod lehrt mich Dinge über das Leben

Der Tod ist jedoch nicht das Einzige, womit ich mich als Rechtsmedizinerin beschäftige. Ein Großteil meiner Arbeit – und das wissen nur wenige – beschäftigt sich mit Lebenden. Dazu gehört neben der Begutachtung von Verletzungen, zum Beispiel in Fällen von Körperverletzungsdelikten, häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung auch die Begutachtung von Fällen in Verbindung mit Alkohol oder Drogen im Straßenverkehr. Häufig bin ich als Sachverständige zu Gerichtsverhandlungen geladen.

Insgesamt habe ich als Rechtsmedizinerin sehr viel mit Polizei und Justiz, aber auch mit anderen medizinischen Fachrichtungen zu tun. Manchmal berate ich auch Autor*innen von Kriminalromanen und die Film- und Fernsehbranche. Ich bin sozusagen täglich gezwungen, mich in Neues einzudenken, über meinen Tellerrand hinauszuschauen und das ist einer der Aspekte, die die Arbeit als Rechtsmedizinerin so reizvoll machen.

Beispielhaft ist vielleicht auch, dass ich oft mit den einzelnen Fällen keinen Namen der Verstorbenen verbinde, aber genau weiß, welche Verletzungen vorlagen.
Katharina Feld

Man lernt in diesem Fach so einiges über das Leben. Erst einmal, wie wertvoll ein harmonisches und gewaltfreies persönliches Umfeld ist und wie dankbar man dafür sein muss, dass man selbst gesund ist. Dies wird mir insbesondere klar, wenn ich Verstorbene obduziere oder während einer Leichenschau betrachte, die so alt wie ich oder jünger sind. Ich setze mich täglich mit teilweise skurrilen Fällen auseinander, wie zum Beispiel mit völlig abstrusen Geschichten, die mir Eltern als Grund für die Verletzung ihres Kindes präsentieren. Das lehrt mich, offen zu denken und alle Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Außerdem bringt es mich dazu, mein Denken außerhalb von Schubladen zu bewegen, da dies die Interpretation von Ereignissen und Verletzungsbildern, aber auch der verursachenden oder betroffenen Personen stark verzerren würden.

Meine Arbeit basiert auf Fakten, nicht auf Gefühlen

Aber wie schafft man es nun, bei so viel Tod und Gewalt nicht vollkommen den Glauben zu verlieren? Professionelle Distanz ist das Zauberwort. Es gibt viele Aspekte, die diesen Begriff ausmachen. Meine Arbeit in der Rechtsmedizin begründet sich zumeist auf polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen oder auf medizinischen Befunden, das heißt, dass die Arbeit auf Fakten basiert. Ein Kontakt mit Emotionen oder gar trauernden Angehörigen ist hier weder vorgesehen noch förderlich für eine schlussendlich von mir geforderte sachliche und unparteiische Beurteilung eines Zusammenhanges.

Aus diesem Grund bin ich auch sehr froh, dass weder investigative Tätigkeiten, wie Zeugenbefragungen, noch das Überbringen schlechter Botschaften an Angehörige zu meinen Aufgaben gehören. Es ist somit recht leicht, sich aufgrund von Fakten nüchtern mit dem Tod oder den Verletzungen von Personen auseinanderzusetzen.

Wenn ich eine*n Verstorbene*n anschaue oder obduziere, stehen somit für mich die Verletzungen im Vordergrund, wie diese entstanden sein könnten und was für Konsequenzen sich daraus ableiten. Das bedeutet konkret, dass ich zwar einen erstochenen, erschlagenen oder erschossenen Menschen vor mir auf dem Sektionstisch liegen habe, für mich aber hier besonders zählt, wie tief eine Stichverletzung ist, welche Organe dadurch verletzt worden sind, ob man dadurch verbluten kann und wie lange die*der nun Verstorbene die Verletzung vielleicht noch überlebt hat. Beispielhaft ist vielleicht auch, dass ich oft mit den einzelnen Fällen keine Namen von Verstorbenen verbinde, aber genau weiß, welche Verletzungen vorlagen.

Ich bin ein Teil der großen Ermittlungskette.
Katharina Feld

Schlussendlich bin ich auch nicht diejenige, die eine*n Schuldige*n konkret benennt, sondern eher diejenige, die aufgrund der vorliegenden Fakten und der in der Obduktion oder bei einer körperlichen Untersuchung erhobenen Befunde schlussfolgert, dass der Tod oder die Verletzungen von außen, das heißt von einer weiteren Person oder einem weiteren Umstand, herbeigeführt worden sind.

Ich bin sozusagen ein Teil der großen Ermittlungskette, die in einem Strafverfahren vor Gericht gipfeln kann. In einem solchen fungiere ich dann als Sachverständige und begründe meine Schlussfolgerungen anhand meiner Untersuchungsergebnisse mithilfe meines Sachverstandes. Und dies kann natürlich bedeuten, dass aus meiner rechtsmedizinischen Sicht ein Fall, der vordergründig nach Suizid aussieht, doch eher ein Tötungsdelikt ist oder auch dass Verletzungen, die vordergründig nach einem Messerangriff aussehen, doch eher als Akt der Selbstverletzung einzuordnen sind. Es ist schlussendlich schon sehr befriedigend, zu sehen, dass man einen nicht unerheblichen Teil zur Aufklärung eines solchen Falles beitragen kann.

Austausch mit den Kolleg*innen ist wichtig für die Psychohygiene

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Zusammenhalt mit meinen Kolleg*innen, sprich das gesamte Arbeitsumfeld. Ich glaube nicht, dass ich falsch liege, wenn ich sage, dass wir alle echt Spaß bei der Arbeit haben. Und das würde ich sicher nicht für meine ehemaligen Kommiliton*innen unterschreiben, die jetzt vielleicht in der Innere-Medizin-Abteilung eines Krankenhauses arbeiten. Und natürlich sprechen wir auch untereinander über die Fälle, nicht zuletzt, um uns auszutauschen; insbesondere, wenn uns ein spezieller Fall wegen – unserer Ansicht nach – völlig sinnloser Brutalität mitnimmt. Auch frage ich oft meine Kolleg*innen und werde auch selbst oft um Rat gefragt, da einfach viele Fälle auch nicht eindeutig sind. Ein solcher Austausch ist absolut wichtig und für die eigene Psychohygiene unabdingbar, insbesondere, wenn eine skurrile Fallkonstellation einen ganzen Raum voller Ärzt*innen, Toxikolog*innen, Molekularbiolog*innen und Sektionsassistent*innen zum Schmunzeln bringt. So hatten wir beispielsweise einen Mann, der tot im Van einer Prostituierten gefunden wurde und von dem seine Frau dachte, er sei bei der Arbeit.

Es fühlt sich also alles andere als schlimm oder gar bedrückend an, den ganzen Tag von Leichen umgeben zu sein, auch wenn dies aufgrund der Vielschichtigkeit meiner Arbeit nicht jeden Tag direkt der Fall ist. Zumal: ich habe mich ja wie meine Kolleg*innen ganz bewusst für diesen Weg entschieden. Wenn es nicht so platt klingen würde, könnte man sagen: "Es ist ein Job wie jeder andere", nur halt etwas spannender und mit vielen Hintergrunddetails.

"Gibt es denn wirklich gar nichts, was du mit nach Hause nimmst?", werde ich dann oft gefragt. Nun ja, sicherlich gibt es Fälle, die mich mehr beschäftigen als andere und die ich unter Umständen zumindest thematisch mit nach Hause nehme. Für mich sind es vor allem Fälle sinnloser, übertriebener Gewalt oder schicksalhafte Unfälle von Kindern, wie ein vom Lastwagen überrolltes Kind. Zumeist kann der Weg nach Hause hier schon ein Zeitraum sein, in dem ein Fall gedanklich für den Abend verblasst. Und wenn nicht, ist das private Umfeld in Kombination mit einem guten Glas Rotwein spätestens das, was mich abschalten lässt, bis ich am nächsten Morgen wieder frisch in die Arbeit eintauche.
Du wolltest dich schon immer mal mit "Crime-Expert*innen" austauschen? Dann sei bei unserem Crime-Videochat am 20. April dabei. Gerichtsmedizinerin Katharina Feld und Crime-Autor Manuel Bogner beantworten eure Fragen. Alle Informationen gibt es hier.