Selbst die smartesten Dating-Apps haben keine Chance gegen den Funkenflug im Job: 38 Prozent der Menschen in Deutschland haben sich schon mal in eine*n Kolleg*in verguckt. Viele Langzeitbeziehungen und Ehen beginnen in der Mittagspause. Aber wieso knistert es eigentlich so oft zwischen Kopierraum und Kantine? Und vor allem: Was tun?

"In der Praxis ist es häufig so, dass sich Leute ineinander verlieben, die in ein gemeinsames Projekt involviert sind", erklärt die Münchner Paartherapeutin Andrea Bräu. "Dabei entsteht sehr viel enger Kontakt, Austausch und Nähe, auch auf Reisen und Veranstaltungen." Mit anderen Worten: Gelegenheit macht Liebe. Logisch – wenn man den Großteil der wachen Lebenszeit miteinander verbringt, entsteht fast zwangsläufig eine Verbindung.

Oft ist es zudem so, dass Menschen in der gleichen Branche sich charakterlich ähneln, weil sie aufgrund ihrer Persönlichkeit bestimmte Jobs und Umfelder bevorzugen – prima Voraussetzungen für Attraktion und Partnerschaft. Außerdem schweißt das Verfolgen gemeinsamer Ziele zusammen. "Bei Paaren sagt man immer, dass sie eine gemeinsame Vision brauchen", meint auch Andrea Bräu.

"Never kiss in the company"

Allerdings bringt Liebe am Arbeitsplatz auch Risiken mit sich, die Phrase "Never kiss in the company" kommt nicht von ungefähr. Die Vermischung von Privatem und Beruflichem auf der Beziehungsebene berührt nämlich mehrere Problemfelder.

Da ist zum Einen gedankenloses Gerede der Kolleg*innen, vielleicht aus Neid oder bloßer Lust am Klatsch. Vor allem zu Beginn einer Job-Liebe ist das heikel, weil die Beziehung noch nicht gefestigt ist. Auch, sich auf Neckereien hin immer wieder erklären zu müssen, kann nerven oder Zweifel sähen. Deshalb wird Herzklopfen für den*die Kolleg*in in den meisten Fällen verheimlicht.

Wichtig ist, dann einen guten Zeitpunkt für das Öffentlichmachen der Büro-Liebe zu finden. Nur wann? "Da gibt es keine Generallösung", sagt Andrea Bräu. Aber wenn es wirklich ernst und aus dem Flirt eine Partnerschaft werde, dann sollte man Vorgesetzten und Kolleg*innen Bescheid geben. Dabei aber die Unternehmensregeln beachten. Manche Firmen sind ziemlich strikt, andere wiederum eher locker.

Gruppendynamik verändert sich

In Teeküchen, Waschräumen und Fahrstühlen wird nicht nur geknutscht, sondern auch getuschelt. Schwierig, wenn das die Liebe am Arbeitsplatz betrifft. Es muss nicht mal Lästerei sein und kann sich trotzdem für den*die Partner*in unangenehm anfühlen. Plötzlich hat man eine andere Position, ist nah dran an der Person.

Und: Dann mit den anderen nicht mehr mitzureden kann auch heißen, ein Stück weit außen vor zu stehen. Die gesamte Gruppendynamik am Arbeitsplatz verändert sich, wenn zwei Kolleg*innen eine Beziehung haben. "Im Zweifel kann da ein Abteilungswechsel Abhilfe schaffen", meint Andrea Bräu. Meist tritt jedoch nach einigen Monaten ein Gewöhnungseffekt ein und die Wogen glätten sich.

Zu viel Liebe am Arbeitsplatz?

Wer außerdem nicht nur den Schreibtisch, sondern auch das Bett teilt, kann mitunter das Gefühl für Nähe und Distanz verlieren. Und das betrifft nicht nur versehentliches Kosenamen-Dropping in Meetings. "Ja, zusammen arbeiten und eine Beziehung haben kann zu viel bedeuten an Nähe", sagt die Beziehungsexpertin. "Wenn man den ganzen Tag miteinander verbringt, hat man sich vielleicht irgendwann nicht mehr viel zu sagen."

Dagegen helfe, bewusst eigene Zeiten einzuplanen, mit Freund*innen oder für Hobbys. Die Expertin: "Eine Beziehung braucht immer auch Impulse von außen. Ganz wichtig ist Eigenständigkeit und auch Individualität." Der*die Partner*in müsse nicht alles teilen und wissen.

Manche Pärchen entscheiden sich auch dafür, in der Privatzeit nicht oder nur wenig über die Arbeit zu sprechen. Das sei laut Andrea Bräu allerdings schwierig, da ein Job heute oft mehr als eine reine Tätigkeit sei und man mit dem Menschen, der einem am nächsten steht, ja auch Dinge besprechen und ihn*sie um Rat fragen möchte. Wie das konkret am besten funktioniert, muss letztlich jedes Paar für sich ausprobieren.

Augenhöhe und Macht

Ein großes Problem kann es allerdings sein, wenn ein Ungleichgewicht im Machtverhältnis existiert – also Angestellte*r und Azubi, Chef*in und Untergebene*r. Diese Beziehungen kommen häufiger vor als Beziehungen zwischen gleichgestellten Kolleg*innen, und können für den*die Untergebene*n zum Nachteil werden. Zum Beispiel wegen der Angst, bei Ablehnung oder Trennung mit beruflichen Konsequenzen rechnen zu müssen. Wer sich unwohl oder von Kolleg*innen bedrängt fühlt, sollte sich an ein Betriebsratsmitglied wenden.

Alles aus – und dann?

Kompliziert und anstrengend wird es aber vor allem dann, wenn die Liebe am Arbeitsplatz endet und man trotzdem weiter zusammen arbeiten muss. "Das geht nur gut, wenn beide reif sind und das klar trennen können", sagt Paartherapeutin Andrea Bräu. Das allerdings fiele den meisten Menschen schwer.

Als allerletzter Ausweg bleibe dann nur die Kündigung: "Wenn sich das Berufliche und Private so sehr vermischt, dass es einem oder beiden nicht mehr gut geht, sollte man gehen."