"Ich bin nicht dick, ich bin fett. Das passt schon", lacht Miriam ins Telefon. Sie ist 30 Jahre alt, lebt und arbeitet in Hamburg und macht keinen Hehl aus ihrem Körpergewicht. Als wir im Januar zum ersten Mal miteinander sprechen, wiegt sie bei einer Körpergröße von 1,68 Meter knapp 147 Kilogramm – das entspricht einem Body-Mass-Index von 52 und liegt im Bereich des starken Übergewichts. Doofe Sprüche und fiese Kommentare gehören für sie zum Alltag. "Das kenne ich schon, seitdem ich klein bin", sagt Miriam selbstsicher, als wäre es das Normalste der Welt.

"Deutsche Panzer rollen wieder" oder "Guck dir mal die Fette an" sind Sprüche, die Miriam immer wieder an den Kopf geworfen werden. "Manchmal machen Menschen auch einfach Bilder von mir, zum Beispiel in der Bahn. Das bekomme ich natürlich mit, weil sie oft sogar noch den Ton anhaben. Die fotografieren mich ungefragt, weil die nicht darauf klarkommen, wie ich rumlaufe", sagt Miriam. Tatsächlich ist Unauffälligkeit nicht Miriams Ding: Neongrüne Dreadlocks, Piercings im Gesicht und an den Ohren, bunte, große Tattoos am ganzen Körper und immer ein breites, freundliches Lächeln in ihrem Gesicht. Sie fällt gerne auf, sie ist gerne anders und hat im Laufe der Jahre gelernt, mit ihrem Gewicht gut zu leben und sich selbst und ihren Körper so anzunehmen und zu akzeptieren, wie er ist.

Fett ist nur die Beschreibung eines Zustands

"Ich bin halt so, wie ich bin. Ich weiß, ich passe nicht in euer Bild, ich passe nicht in diese Gesellschaft, die mich für das verurteilt, was ich bin. Ich bin halt so", beschreibt Miriam ihr Mantra. So zu denken, so selbstsicher zu sein, war nicht immer einfach. Miriams Weg zur Selbstakzeptanz und Selbstliebe war kein leichter: "Irgendwann habe ich verstanden: Fett zu sein ist einfach nur ein Zustand. Im Kopf vieler Menschen ist aber so viel Wertung drin", sagt sie. Für viele sei fett gleichbedeutend mit schlecht, ungesund, faul, ungepflegt, dumm. Aber eigentlich heißt es das ja gar nicht: Fett ist einfach nur ein beschreibendes Wort, findet Miriam.

Doch obwohl Miriam ihr Übergewicht nicht stört, ist es gesundheitlich gefährlich für sie. Das zeigte sich im Jahr 2010: Miriam geht es plötzlich nicht gut. Sie hat starke Rückenschmerzen, fühlt sich krank, kriegt nur sehr schlecht Luft und bekommt Panikzustände. Die Ärzt*innen können ihr zunächst nicht helfen, schicken sie von Praxis zu Praxis, verschreiben ihr die verschiedensten Medikamente, doch immer ohne Erfolg. Bis eine aufmerksame Ärztin der damals 22-Jährigen eine erschütternde Diagnose stellt: Lungenembolie.

Lungenembolie mit 22 Jahren

"Ich wusste in dem Moment gar nicht, was das überhaupt heißt. Dann hab ich's gegoogelt und bin erstmal in Tränen ausgebrochen", erinnert Miriam sich an diesen Tag. Eine Lungenembolie sei, so erklärt sie, ganz einfach gesagt, eine Art Schlaganfall in der Lunge. Dabei wird ein Blutgerinnsel oder ähnliches in ein Blutgefäß eingeschwemmt und verstopft dieses – so werden die Gefäße in der Lunge blockiert, die sauerstoffarmes Blut vom Herzen in die Lunge transportieren. Miriam befindet sich damals in Lebensgefahr, sie kommt sofort ins Krankenhaus. Die Behandlung schlägt an, die Verstopfung der Gefäße kann mit Medikamenten aufgelöst werden und Miriam darf wieder nach Hause. Sie erinnert sich noch an das Gespräch mit dem behandelnden Arzt: "Der hat gesagt: Jetzt nicht übertreiben, das kann jederzeit wieder passieren. Da wusste ich, dass ich etwas ändern muss."

Im Krankenhaus teilt man ihr damals mit, dass die Lungenembolie durch ihren Lebensstil ausgelöst wurde: Das Rauchen, die Pille und das Übergewicht. "Also habe ich meine letzte Zigarette weggeschnipst, die Pille noch im Krankenhaus weggeworfen und versucht, mich gesund zu ernähren und abzunehmen. Ich wollte mein Übergewicht loswerden, um gesund zu bleiben", erklärt Miriam. Sie leidet damals unter Todesangst, hat Panik, am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen. Doch all ihre Versuche, ihr Gewicht zu reduzieren, scheitern: Ernährungsumstellung, Ernährungsberatung, Sport und sogar der Aufenthalt auf einer Station für übergewichtige Menschen ändern kaum etwas an der Zahl, die Miriams Waage damals anzeigt.

"Ich dachte: Scheiße, irgendwas stimmt mit dir nicht", sagt sie. Und dieser Gedanke stellt sich kurze Zeit später tatsächlich als richtig heraus: 2016, sechs Jahre nach der ersten Lungenembolie, folgt eine zweite. Miriam muss wieder ins Krankenhaus, bekommt wieder Medikamente. Doch dieses Mal wird außerdem noch ein großes Blutbild gemacht. Das zeigt: Miriam hat einen seltenen Gendefekt, der dafür sorgt, dass sich die kleinen, gefährlichen Blutgerinnsel bilden, die eine Embolie auslösen können. "Das ist in meinen Genen drin. Irgendwie meint mein Blut, es muss sich verstopfen", witzelt sie.

Ein Magen so klein wie eine Banane

Dennoch versucht sie weiter ihr Gewicht zu reduzieren, um das Risiko einer weiteren Embolie zu senken. Doch alle konventionellen Abnehmmethoden zeigen keine Wirkung. Also trifft Miriam an ihrem 30. Geburtstag eine wichtige Entscheidung: "Ich habe mich dafür entschieden, eine Magen-Operation durchführen zu lassen, eine sogenannte Schlauchmagen-OP", erinnert sie sich. Bei dieser Art der magenverkleinernden Operation wird das Fassungsvolumen des Magens in etwa auf die Größe einer Banane reduziert. "Ich hatte zwar Angst vor dem Eingriff, aber ich wollte gesund sein."

Dr. med. Otto Dietl ist Facharzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie an der Chirurgischen Klinik München Bogenhausen und kennt sich gut mit der Schlauchmagen-Operation aus. Die Operation habe, so Dr. Dietl, das primäre Ziel, das Gewicht der Patient*innen zu reduzieren. Doch auch mit dem Übergewicht einhergehende Begleiterkrankungen wie etwa Diabetes können durch den Eingriff positiv beeinflusst werden. Er erklärt das Vorgehen: "Bei einer Schlauchmagen-OP werden über 90 Prozent des Magenvolumens entfernt. Dazu wird an der Längsachse der Großteil des Magens entfernt." Mit dem Großteil des Magens werden auch Hungerrezeptoren entfernt. "Die Patienten haben dadurch teilweise ein deutlich reduziertes Hungergefühl", so Dr. Dietl.

Schlauchmagen-OP: Einige Bedingungen

Da es sich bei der Schlauchmagen-Operation um einen irreversiblen Eingriff handelt, sie also nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, und einschneidende Veränderungen im Leben der Patient*innen bedeutet, müssen zuvor einige Bedingungen erfüllt sein: "Wir operieren Patienten ab einem Body Mass Index, BMI, von 35, wenn eine mit Adipositas assoziierte Nebenerkrankung vorliegt, zum Beispiel Diabetes mellitus 2, Bluthochdruck, orthopädische Erkrankung oder ein hoher Cholesterinspiegel. Bei einem BMI von 40 operieren wir auch, wenn keine Zusatzerkrankung vorliegt", erklärt Dr. Dietl. Zudem müssen die Patient*innen mindestens ein halbes Jahr, besser noch sechs bis zwölf Monate eine Ernährungsberatung gemacht haben, die in Verbindung mit Sport nur zu einem Gewichtsverlust von unter zehn Prozent geführt hat. "Die Patienten benötigen außerdem noch ein psychologisches oder psychiatrisches Gutachten, das eine Essstörung wie etwa Binge Eating ausschließt", ergänzt er.

Miriam kann all diese Bedingungen erfüllen und bekommt schnell einen OP-Termin. Nach nur fünf Tagen im Krankenhaus kann sie wieder nach Hause. "Jetzt heißt es: Für immer Kinderteller!", lacht sie. Doch Miriam weiß, dass die Operation ein Umdenken erfordert: "Man muss bereit sein, eine Veränderung zuzulassen und die Ernährung umzustellen. Man muss lernen, wieder normal zu essen, nur halt in kleinen Portionen."

Eines wird Miriam auf jeden Fall ein wenig vermissen: "Essen ist toll, für alle Sinne. Ich mag das Gesellige, ich mag es, Küchen aus aller Welt zu probieren und das mit anderen zu teilen. Aber für mich ist es eine totale Erleichterung, dass ich jetzt nicht mehr diesen großen Magen befüllen muss, denn der große Magen will natürlich auch viel essen. Und jetzt habe ich nur noch einen kleinen und der will kaum was essen. Das nimmt ganz viel Druck raus. Das hat mir die Entscheidung auch leicht gemacht. Das Wichtigste war, wieder gesund zu werden." Dann hält sie kurz inne, überlegt und sagt dann: "Ich bin okay mit mir. Aber ich will auch was von meinem Leben haben. Ich will gesund bleiben."

Ein Vorbild sein

Und für ein gesundes Leben hat Miriam sich Ziele gesteckt: "Man kann Dank der Operation wieder auf ein Normalgewicht runter. Ich hab ja jetzt den Magen einer schlanken Person, obwohl ich keine schlanke Person bin. So 60 bis 80 Kilo weniger ist schon denkbar", beschreibt sie ihre Erwartungen. Es gehe ihr vor allem darum, wieder gesund zu sein. Die Zahl auf der Waage sei ihr nicht so wichtig. "Ich hab da kein Gefühl für, ich bin happy mit allem, was gesünder ist", lacht sie. Gleichzeitig möchte sie anderen Menschen, denen es vielleicht ähnlich geht wie ihr, Mut machen und zeigen, dass Veränderung möglich ist. "Man braucht Vorbilder. Die habe ich auch. Ich habe Personen, denen ich auf Instagram folge, die darüber sprechen, wie sie zu kämpfen haben. Das nehme ich auf und das verändert etwas in mir", erklärt sie. Deshalb teilt auch Miriam ihre Gedanken, ihre Videos und Fotos auf den gängigen Social-Media-Plattformen.

Vor der Schlauchmagen-OP machte sie sogar extra noch ein Fotoshooting: "Ganz nackt. Ich wollte diesen Körper noch einmal so festhalten, wie er ist. Denn es ist auch ein Schritt, diesen Bauch loszulassen. Der Bauch ist nämlich auch ein Stück Identität", erklärt Miriam. Außerdem ist es ihr wichtig zu betonen, dass sie den Eingriff nicht hat machen lassen, weil sie dazugehören möchte. "Das ist ganz klar eine gesundheitliche Entscheidung. Mein Teenager-Ich hätte sich gefreut und gedacht: Hauptsache dünn. Aber heute, mit all den Dingen, die ich erlebt habe, sehe ich das anders und ich glaube, das ist wichtig", stellt sie selbstsicher fest. Dann ergänzt sie: "Nicht jeder dicke Mensch leidet unter dem Übergewicht oder fühlt sich scheiße deswegen." Das möchte Miriam auch weitergeben: "Man muss sich wegen Übergewicht nicht minder, nicht weniger wert fühlen. Man hat halt einfach 'nen dickeren Bauch. Punkt. Aus. Ende. Andere haben ne größere Nase, abstehende Ohren, keine Ahnung. Wir sind alles anders, haben alle unsere Eigenarten."

Mittlerweile, knapp drei Wochen nach der Operation, hat Miriam schon über 16 Kilo an Gewicht verloren. Doch diese Zahl ist ihr nicht so wichtig. Denn sie sagt nichts über den Menschen dahinter aus.