In unserer Reihe Aus der Schule schreiben Schüler*innen für ze.tt, was sie in ihrem Alltag bewegt.

ze.tt: Aysu, warum hast du dich dazu entschlossen, ausgerechnet auf eine katholische Schule zu gehen?

Aysu: Wir haben nur zwei Gymnasien hier, es gibt also keine große Auswahl. Auf der anderen Schule gibt es zwar viel mehr Muslime, doch ich mag die Organisation der katholischen Schule. Hier gibt es strikte Regeln und eine klare Struktur. Beispielsweise gibt es hier einen Vertretungsplan, dank dem wir schon zwei Tage vorher Bescheid wissen, wenn Stunden ausfallen, oder einen schulinternen Kalender, in dem bereits am Anfang des Halbjahres alle wichtigen Termine stehen. Dass es eine katholische Schule ist, hat meine Entscheidung also erst mal gar nicht so sehr beeinflusst.

An deiner Schule dürfte es einige katholische Veranstaltungen geben, oder?

Ja. Es gibt oft Gottesdienste, zu denen wir gemeinsam mit der ganzen Schule gehen, wir sitzen oft in der Kapelle, gleich morgens wird gebetet.

Nimmst du an den Veranstaltungen teil?

Ich sitze einfach daneben und höre zu. Die Teilnahme an diesen christlichen Traditionen finde ich sogar sehr schön. Wenn wir in der Kirche sitzen, dann habe ich zwar immer das Bedürfnis, in einer Moschee zu sitzen und mit Gleichgesinnten dort zu beten. Aber ich finde es allgemein sehr schön, in einem Gotteshaus zu sein und zu wissen, dass die Mehrheit da ist, um mit Gott zu sprechen. Ich finde es schön, wenn im Gottesdienst jeder nach vorne geht und nach der Kommunion ein Kreuzzeichen auf die Stirn bekommt. Dadurch entsteht ein Gefühl von Gemeinschaft.

An welchem Religionsunterricht nimmst du teil?

Am evangelischen Religionsunterricht. Jesus war ein großes Thema, seine Geschichte und seinen Leidensweg. Aber wir diskutieren auch viele philosophische Ansätze und gehen auf andere Religionen wie den Islam, Buddhismus oder Hinduismus ein und analysieren deren Blickweise auf Gott. Als einzige Muslima kann ich noch mal eine andere Sichtweise in den Unterricht mitbringen. Am Ende des Tages ist das für uns alle bereichernd, die Perspektive des anderen kennenzulernen und darüber zu diskutieren.

Und wie war das auf deiner alten Schule?

Auf der Realschule habe ich am Philosophieunterricht teilgenommen, wo vor allem Mitschüler*innen ohne christliche Konfession, also Muslime, Atheisten oder auch eine griechisch-orthodoxe Freundin, unterrichtet wurden. Bei der Einschulung vor zwei Jahren auf die katholische Schule habe ich gefragt, ob ich Philosophie anstatt Religion wählen dürfte, doch hier kann man nur zwischen katholischem und evangelischem Religionsunterricht wählen. Also habe ich mich für Evangelisch entschieden, weil ich mir erstens nicht zugetraut habe, nach Jahren ohne Religionsunterricht auf einer katholischen Schule auch noch katholischen Religionsunterricht auszuwählen. Zweitens wusste ich, dass im evangelischen Unterricht mehr über andere Religionen gesprochen wird. Ich weiß natürlich, dass man nicht für alle Gläubigen einen eigenen Religionsunterricht einführen kann, ich würde auch nie islamischen Unterricht einfordern und finde den evangelischen Unterricht in Ordnung. Trotzdem würde ich es feiern, wenn es Ethik oder Philosophie zusätzlich anstelle von Religionsunterricht geben würde.

Kürzlich gab es wieder eine große Diskussion über Burkinis für Muslima im Schwimmunterricht. Wie springst du ins Wasser?

Ich trage dabei ganz normale Sachen wie die anderen auch. Allerdings hatte ich auf meiner alten Schule eine muslimische Freundin, der das besonders wichtig war und die da auch sehr drauf geachtet hat, dass sie möglichst viel Körper mit ihrer Kleidung verdeckt.

Auch was das Essen angeht, gibt es im Islam strengere Regeln als im Katholizismus. Gibt’s beim Mittagessen Probleme?

Ich bin beim Essen sehr strikt und penibel. Wenn eine Partypizza bestellt wird, auf der rechts Margherita ist, in der Mitte nichts und die rechts mit Salami belegt ist, würde ich die nicht essen. Ich würde auch nichts aus einer Pfanne essen, in der kurz vorher Schweinefleisch zubereitet wurde. Aus diesem Grund muss ich öfters in der Schulcafeteria nachfragen, wie etwas zubereitet wurde und ob die Angestellten sauber gearbeitet haben. Manchmal fühlen sich die Mitarbeiter*innen dann ein bisschen angegriffen, aber mir ist das eben wichtig.

Hat sich deine Sichtweise auf das Christentum oder den Islam durch deine Schulwahl verändert?

Mir ist besonders aufgefallen, dass das Christentum versucht, moderner zu werden. Es wird mehr Wert darauf gelegt, die junge Generation anzusprechen und das fehlt mir beim Islam. Vieles, was damals geschrieben wurde, kann heute gar nicht mehr eingehalten werden. Ich habe das Gefühl, dass das Christentum eher versucht, was zu ändern und sich unserer Zeit anzupassen.

Inwiefern?

Letztens kam ein brasilianischer Christ zu uns in den Unterricht und hat uns zu einer Party in einem neuen Jugendcafé eingeladen. Damit möchte man den Jugendlichen den Glauben und das Christentum wieder näherbringen. Und in größeren Städten habe ich davon gehört, dass Jugendmessen zum Beispiel am Strand stattfinden. Der Islam geht da leider nicht mit der Zeit.

Leben deine Mitschüler*innen ihren Glauben offensichtlich aus?

In bin hauptsächlich mit Christen unterwegs. Sie haben schon eine andere Art und Weise, ihre Religion auszuleben: Ich bekomme davon wenig mit. Das toleriere ich natürlich hundertprozentig und habe überhaupt kein Problem damit. Aber es fällt schon auf, dass jeder weiß, Aysu isst kein Schweinefleisch, Aysu trinkt keinen Alkohol, die kennen also ein paar Regeln von mir, aber ich habe das Gefühl, dass sich junge Leute in meiner Generation an die eigenen Regeln ihrer Religion nicht richtig halten. Es gibt ja auch im Christentum Regeln wie im Islam, aber es interessiert sich halt keiner dafür.

Zum Beispiel?

Da fängt das Problem ja schon an, weil ich viele Regeln des Christentums gar nicht kenne. Und warum? Weil mir die Jugendlichen in meiner Generation die Regeln, aber auch oft den Glauben selbst, nicht näherbringen können und ihn in den meisten Fällen nicht in ihr Leben miteinbeziehen. Ich finde es zwar nicht schlimm, wenn sich ein Großteil der Jugendlichen nicht an die vielen Regeln des Glaubens hält, dennoch sind beispielsweise die zehn Gebote für den christlichen Glauben sehr wichtig. Trotzdem halten sich manche nicht daran, stehlen oder begehen Ehebrüche.