"Keine Haare auf der Brust, aber Astra trinken! Astra. Was dagegen?", fragt die Astra-Werbung provokativ.

Ja, denke ich mir. Denn auch wenn ich keine Haare auf der Brust habe, trinke ich gerne Bier. Ich mag die Hopfenbrühe sogar möglichst dunkel und kräftig. Und dafür brauche ich noch nicht mal eine Frau im gelben Badeanzug, die mich dazu verführen soll. Das Plakat ist Teil der So-geil-schmeckt-nur-Astra-Kampagne, die mit gesellschaftlichen binären Stereotypen und Werbesprüchen anderer Unternehmen spielt und sich hauptsächlich um Männer, Frauen, Bärte, Brüste und Bierschaum dreht. Prost!

Aber nicht nur das Bier-Unternehmen Astra kramt gerne mal in der sexistischen Kiste rum, um Kundschaft, hauptsächlich männliche natürlich, für sich zu gewinnen. Auch die traditionelle Bierszene setzt immer noch gerne freizügige Mädels in Szene. Die Frauen servieren – die Männer trinken und genießen.

Na und, könnte man jetzt meinen. Ist ja nur Werbung. Auch Lisa Wiedemuth fand solche Werbung irgendwann mal "ganz lustig" – heute sieht sie die Sache anders. Als Feministin und bunter Vogel in der Bier-Branche fühlte sie sich persönlich von dem Problem sexualisierter Werbung angesprochen und herausgefordert. Seit 2014 arbeitet sie bei der Kreuzberger Biermarke Quartiermeister. Um in der männerdominierten Szene ein Zeichen gegen die sexistischen Strukturen und die Werbung zu setzen, entwickelte Lisa mit ihren Kolleg*innen das Konzept der Quartiermeister*in. Ab Ende Juli wird auf der Hälfte ihrer Flaschenetiketten eine Frau zu sehen sein. Aus dem Quartiermeister wird der*die Quartiermeister*in.

Auch Studien geben Lisa und der Kampagne recht: Sie zeigen, dass Geschlechterdiskriminierung in der Werbung eindeutig negative Auswirkungen auf Betroffene hat. Der Verein Pinkstinks erklärt das Problem wie folgt: "Geschlechtsdiskriminierende Werbung ist problematisch, weil Werbung nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft ist, der bereits existierende Verhaltensmuster reflektiert, sondern eine aktive Rolle im Rahmen der Konstruktion und Verfestigung von Geschlechtsrollenstereotypen spielt."

Im Detail kristallisiert der Verein drei Problembereiche heraus, welche die Beispiele aus der Bierwerbung besonders gut veranschaulichen. Zum einen nehmen Frauen, die sich permanent in traditionellen Rollen der Hausfrau oder Servicekraft auf Werbeplakaten sehen, die Haltung eines weniger kompetenten Menschen an. Das bestätigt die US-amerikanische Studie Consuming Images: How Television Commercials. That Elicit Stereotype Threat Can Restrain Women Academically and Professionally von 2012.

Zweitens hat dieses immer wiederkehrende Bild der stark sexualisierten und für die Hausarbeit zuständigen Frau auch Auswirkungen auf die allgemeine Fremdwahrnehmung und so auch den Umgang mit Frauen. "Diese Bilder verfestigen bestehende Vorurteile, die Basis für individuelle und strukturelle Diskriminierungen sind. Zu letzteren gehört etwa die nach wie vor bestehende Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen und die Gehaltsschere zwischen den Geschlechtsgruppen", schreibt Pinkstinks.

Doch es bleibt nicht nur bei der verzerrten Fremdwahrnehmung. Auch die Selbstwahrnehmung und das Selbstwertgefühl von Frauen leidet unter sexistischer Werbung. Offensichtlich bilden besonders Bier-Unternehmen gerne ausschließlich wohlgeformte, angeblich perfekte Frauenkörper in ihrer Öffentlichkeitsarbeit ab. Das sich dadurch normierende Ideal von beispielsweise braungebrannter Haut und großer Brüste lädt Frauen zu einem Vergleich ein, den sie nur verlieren können und welcher verheerende Folgen auf die eigene Selbst– und Körperakzeptanz haben kann.

Feministisches Bier gegen sexistische Werbung

So weit, so schlecht. Doch was tun? Lisa sieht in der Quartiermeister*in-Kampagne den ersten Schritt. Auch wenn sie sich damit erst einmal nur auf die Bier-Branche beschränkt. Eine Branche allerdings, wo das Problem mit der Gleichberechtigung der Geschlechter besonders deutlich wird. Anfangs war sie lange als einzige Frau bei Quartiermeister. "Sowieso findet man in der gesamten Branche kaum Frauen", sagt sie. Mittlerweile hat sie eine Kollegin. Allerdings kam sie erst dazu, nachdem Quartiermeister explizit nach einer Mitarbeiterin gesucht hat.

Die Änderung der Etiketten und das Gendersternchen im Markennamen sind nur ein Teil einer großen Kampagne. Neben einer Plakat-Kampagne und Veranstaltungen soll ein Blog verschiedenen Initiativen eine Plattform bieten, um Beiträge zu veröffentlichen, die sich mit sexistischer Werbung auseinandersetzen. Damit soll der Raum zur Diskussion geöffnet werden.

Ziel des Ganzen ist es, "längerfristig den Blick von Privatpersonen für Stereotype zu schärfen und Mut und Impulse zu geben, sich gegen geschlechterdiskriminierende Werbung einzusetzen", sagt Lisa.

Neben Lisa und anderen kleinen Initiativen gibt es auch eine Institution, die sich der Problematik annimmt – oder besser: annehmen möchte. Der Deutsche Werberat ist ein Verbund werbender Unternehmen, Medien und Agenturen, der sich zur Aufgabe gemacht gemacht hat, die kommerzielle Werbelandschaft in Deutschland zu ordnen.

Seit 1972 besteht dieser als Selbstkontrollorgan der Werbewirtschaft, welcher es ich zur Aufgabe gemacht hat, "verantwortungsbewusstes Handeln im Bereich der Werbung zu fördern, sowie Missstände festzustellen und zu beseitigen." Jede*r kann sich beim Deutschen Werberat beschweren. Der prüft daraufhin die Klage und beurteilt, ob eine öffentliche Rüge ausgesprochen werden soll.

Doch nicht jede Beschwerde wird vom Werberat angenommen. Besonders im Bereich der geschlechterdiskriminierenden Werbung habe es deutlich mehr "überzogene Proteste" und "unbegründete Beschwerden" gegeben, schreibt der Deutsche Werberat in ihrer Jahresbilanz 2016. "Nicht jedes Motiv mit einer Frau in erotischer Pose oder im Zusammenhang mit Hausarbeit oder bei der Betreuung von Kindern ist sexistisch oder diskriminierend. Hans-Henning Wiegmann, Vorsitzender des Gremiums: "Auch Kritiker haben deshalb eine Verantwortung. Nicht nur die Unternehmen, auch die Verbraucher müssen wirklichkeitsnahe Maßstäbe anlegen, die der Toleranz in der Gesellschaft entsprechen und sich in der Werbung widerspiegeln dürfen.'"

Anscheinend hat der Werberat kein Interesse, die "wirklichkeitsnahen Maßstäbe", sprich auf ihr Geschlecht reduzierte, der Hausarbeit verpflichtete Frauen, zu ändern. Indem sie die Reproduktion der Stigmen nicht verhindern, machen sie diese Vorurteile zur Wirklichkeit – und verfestigen das Bild der sexy Hausfrau in unserer Gesellschaft.

Fragliche Unabhängigkeit, mangelnde Wirkung

Finanziert wird der Werberat übrigens von 42 im Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW zusammengeschlossenen Organisationen der werbenden Wirtschaft, des Handels, der Medien, der Agenturen, der Forschung sowie der Werbeberufe. Es ist also fraglich, inwiefern das Gremium neutral und unbefangen entscheiden kann – vor allem, wenn es von der Werbebranche lebt.

Auch der Einfluss des Rates ist umstritten: Denn er kann keine harten Sanktionen verhängen, sondern die angeklagten Unternehmen lediglich öffentlich anprangern. Die Rüge bringt die meisten Unternehmen kaum davon ab, ihre Werbestrategie weiterhin zu verfolgen. Im Gegenteil, kritisiert auch Kommunikationsstudent Patrick Grünhag auf dem Quartiermeister*in-Blog: Einige Unternehmen freuen sich vielleicht sogar über das öffentliche Aufregen, da es ihren Werbebotschaften im Endeffekt mehr Gehör und Reichweite verschafft.

Es mangelt dem Rat also deutlich an Unabhängigkeit und Sanktionsgewalt. Doch: Kann feministisches Bier es besser? Jedenfalls fehlt es dem Projekt nicht an Authentizität und Glaubwürdigkeit. Lisa und ihre Kolleg*innen arbeiten schon fast drei Jahre an der Kampagne und steckten viel Herzblut rein. Über die Reichweite und Sanktionsgewalt lässt sich allerdings streiten. "Die Kampagne möchte der Aufklärung dienen. Dabei erheben wir als Bierunternehmen nicht den Zeigefinger, sondern bieten eine Diskussionsplattform um Grauzonen, Grenzen und offene Fragen gemeinschaftlich auszuloten", sagt Lisa.

Demnächst bestelle ich mir jedenfalls wieder Schwarzbier. Ganz bewusst.