Das City Plaza Hotel ist eines von rund einem dutzend Refugee-Squats in Athen. ze.tt-Autorin Tessa war vor Ort und hat sich angeschaut, wie das Leben dort aussieht.

Die Kinder im City Plaza leben meinen Kindheitstraum: Sie wohnen in einem Hotel. Zugegeben, das Hotel hat keinen Zimmerservice und Warmwasser gibt es nur abends. Dafür können sie durch Gänge, Treppen, Säle und Lobby toben, sie dürfen in der Küche mithelfen, wenn sie wollen und Erwachsene machen mit ihnen regelmäßig Ausflüge zum nächsten Bolzplatz.

Die Eltern der Kinder sind vor Krieg, Armut und Elend nach Europa geflohen. Bevor sie ihren Weg in das Hotel gefunden haben, lebten die meisten von ihnen in Zelten im Freien oder in riesigen Hallen mit hunderten von Menschen – in staatlichen Flüchtlingscamps. Im City Plaza hat jede Familie ihr eigenes Zimmer, eine eigene Toilette, eine eigene Dusche. Das klingt banal, weil diese Dinge für uns Europäer*innen selbstverständlich sind, für europäische Flüchtlingsunterkünfte ist der Zustand allerdings die Ausnahme.

Das City Plaza bekommt kein Geld vom Staat, um seine Bewohner*innen zu versorgen. Trotzdem muss niemand dafür zahlen, um in dem Hotel wohnen zu können – denn das City Plaza ist eines von rund einem dutzend Refugee-Squats in Athen, ein besetztes Haus, in dem Geflüchtete und solidarische Menschen gemeinsam leben.

Im April 2016 steckten infolge der Schließung der innereuropäischen Grenzen etwa 60.000 Geflüchtete in Griechenland fest. Das wirtschaftlich gebeutelte Land, das die Menschen bis dahin lediglich weitergewinkt hatte, sollte auf einmal aus dem Nichts Unterbringungsmöglichkeiten für all diese Menschen stellen. Die Folge: Überfüllte Camps und menschenunwürdige Lebensumstände.

Statt dem Unvermögen des Staates einfach zuzusehen, besetzten daraufhin mehrere linke Gruppen das City Plaza, ein seit fast sieben Jahren leerstehendes Hotel.

Wer wohnt in dem Hotel?

"In dem Hotel leben überwiegend besonders schutzbedürftige Menschen wie Schwangere, Familien mit kleinen Kindern und unbegleitete Minderjährige. Von den etwa 400 Geflüchteten, die hier leben, sind etwa 185 Kinder und Jugendliche", erzählt mir Achim von der Solidaritätsinitiative für wirtschaftliche und politische Flüchtlinge, des im City Plaza aktiven Soli-Kollektives.

Neben den griechischen Besetzer*innen der Anfangsstunde und den Geflüchteten kommen auch Freiwillige aus aller Welt, um mit anzupacken. Wie Brigitte, 62, die seit drei Monaten im City Plaza lebt. Oder Helene, 19, die direkt nach dem Abitur hierher gekommen ist. Manche Volunteers sind nur einen Tag hier, manche bleiben eine Woche, manche monatelang. Die Gesichter wechseln so häufig, dass man beim Rumlungern an der Hotelbar, an der es Tee, Nescafé, Leitungswasser und frisch gepressten Orangensaft gibt, jedesmal neue Menschen kennenlernt.

Bei meinen Besuchen erinnert mich die Stimmung jedesmal an eine Jugendherberge. Eine Jugendherberge, in der nicht nur Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, sondern auch alle Generationen zusammen wohnen. Mit vielen Leuten kommt man schnell ins Gespräch. Ich weiß jetzt, wie in Ghana Weed geraucht und in Daraa auf Hochzeiten getanzt wird. Ich habe mit einem 18-jährigen Syrer über seine Liebe zu Shakespeares Der Kaufmann von Venedig geredet – sein großes Ziel seitdem: einmal im Leben nach Venedig. Kinder toben kreischend durch die Treppenhäuser und lassen sich von den Freiwilligen verhätscheln. Männer sitzen rauchend an Tischen und spielen Backgammon. Aktivist*innen diskutieren darüber, wie das Banner am besten zu bemalen sei. Eine Gruppe spanischer Friseur*innen schneidet Haare und bespielt die Hotelbar mit spanischer Gitarrenmusik.

Wie organisiert sich das Hotel?

Alles, was zum Leben benötigt wird, wird über Spenden finanziert. Die anfallende Arbeit erledigen die Bewohner*innen auf freiwilliger Basis zusammen. Zum Beispiel müssen jeden Tag drei Mahlzeiten für alle Bewohner*innen zubereitet und das Hotel sauber gehalten werden. Zu jeder Tages- und Nachtzeit sitzen Menschen am Eingang, die kontrollieren, wer ein- und ausgeht.

"Unsere Philosophie ist, dass jeder so viel macht, wie er oder sie kann. Wenn jemand nicht mithelfen möchte, kann er oder sie nicht hier wohnen", erzählt Achim. Für die Besetzer*innen ist Selbstorganisation nicht nur eine praktische Angelegenheit, sondern ein politisches Ziel, ein Ausdruck der Emanzipation. Anders als in den Camps, können sich Geflüchtete im City Plaza an der Organisation des Alltags beteiligen und über Dinge mitentscheiden. Sie sind nicht nur in der Rolle der Nehmenden, die angewiesen sind auf fremde Hilfe, sondern können selbstbestimmt in Gemeinschaft ihren Alltag bestreiten.

Über die alltägliche Arbeit hinaus gibt es viele Freiwillige und Geflüchtete, die Tagesaktivitäten organisieren. Zied zum Beispiel. Der 29-jährige Tunesier leitet zwei Selbstverteidigungsgruppen, eine für Erwachsene und eine für Kinder. "Der Sport ist gut für die Kids. Sie können sich auspowern und sind dann ruhiger. Außerdem lehrt es sie Disziplin", erzählt er mir. Neben Selbstverteidigung werden Sprach-, Tanz- und sogar Töpferkurse angeboten. Es gibt einen Women's Space, in dem Frauen und kleine Kinder unter sich sein können. "Im Grunde muss es nur eine Person geben, die Lust hat etwas zu organisieren. Ideal ist es aber natürlich immer, wenn die jeweilige Person länger vor Ort ist", erzählt mir Helene.

Das City Plaza ist nicht nur eine Flüchtlingsunterkunft, sondern ein Projekt, bei dem "soziale, kulturelle und politische Ansätze zusammenkommen", formuliert Helene. Neben der täglichen Routine engagieren sich besonders die griechischen und internationalen Aktivist*innen des Hotels politisch. Sie gehen beispielsweise auf Demos, um gegen die Zustände in den Erstaufnahmelagern auf den griechischen Inseln zu protestieren. Oder fahren zu der staatlichen Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Athener Flughafen, um sich mit Geflüchteten zu solidarisieren, die aufgrund der schlechten Lebensbedingungen dort in den Hungerstreik getreten sind.

Wo stößt man sich im Alltag?

Es gibt nur wenige Regeln, die in verschieden Sprachen auf Blättern an den Wänden hängen. Beispielsweise "Kein Alkoholkonsum im Hotel" und "Kein Essen auf den Zimmern" – woran sich niemand hält. Aber es gibt eine Regel, an die sich alle City-Plaza-Bewohner*innen halten müssen: keine Gewalt. Achim erzählt mir von zwei Fällen, wo es infolge von gewalttätigen Familienvätern zu einem Rausschmiss kam. Der eine ging mit seiner ganzen Familie. Der andere bekam eine Bewährung von drei Wochen, in der er das Hotel verlassen musste. Er besserte sein Verhalten daraufhin. "Ansonsten klappt das Zusammenleben überwiegend sehr gut", so Achim. "Klar kommt es mal zu verbalen Auseinandersetzungen. Aber wir hatten hier noch nie eine Prügelei oder ähnliches."

Niemand im City Plaza wird gezwungen, sich an den Aktivitäten oder der politischen Arbeit zu beteiligen. "Trotzdem war es am Anfang ein bisschen desillusionierend für mich, zu sehen, wie wenig die Bewohner*innen partizipieren", erzählt die 19-jährige Helene. "Inzwischen verstehe ich, dass die Leute nicht in erster Linie hier sind, weil sie das Projekt spannend finden, sondern weil es in den meisten anderen Unterkünften einfach unerträglich ist. Für viele ist Griechenland nur eine Art Wartebank. Sie haben immer noch die Hoffnung, nicht lange hier bleiben zu müssen, bald weiterreisen zu können. Deshalb bemühen sich manche gar nicht erst zum Beispiel Griechisch zu lernen. Warum auch, sie wollen hier nicht bleiben. Und dieses ewige Warten, das Nichtstun, die Lethargie macht ganz schön kaputt."

Und die Regierung?

Die Besitzerin des Hotels fordert eine Räumung. Doch während eine solche Besetzungsaktion in Deutschland binnen weniger Stunden von der Polizei aufgelöst worden wäre, ist in Griechenland bislang nichts passiert. "Es gibt eine gewisse Toleranz vonseiten der Regierung", sagt Achim. "Im Grunde sind sie froh, dass wir hier sind. Gäbe es uns nicht, würde das bedeuten, sie hätten 400 Menschen mehr zu versorgen. Im Grunde übernehmen wir hier Aufgaben, die der Staat zu erfüllen hätte, aber nicht tut. Zum Beispiel alle menschenwürdig unterzubringen."

Für Brigitte, die 62-jährige Freiwillige aus Deutschland, ist das City Plaza wie ein Dorf irgendwo in Syrien oder Afghanistan. "Die Eltern lassen ihre Kinder unbeaufsichtigt spielen, weil immer jemand da ist, an den sie sich wenden können. Die Zimmer sind die Häuser. Die Flure und Treppen die Straßen. Es fühlt sich ein bisschen an, wie eine große Familie. Eine Familie, die aus Menschen aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt zusammengewürfelt ist."

Die meisten Geflüchteten betonen, wie froh sie darüber sind, im City Plaza wohnen zu können. In Griechenland bleiben, wollen trotzdem die wenigsten. Wer nicht über das Relocation Programm oder die Familienzusammenführung nach Nordeuropa kommt, bezahlt Schlepper. "Es ist ein Mythos zu glauben, die Balkanroute sei dicht", meint Achim. "Die Schlepper sind nur teurer geworden. Wer das Geld hat, kommt dort hin, wo er möchte."

Die Refugee Accommodation and Solidarity Space City Plaza hat auch Facebook, Twitter und eine Crowdfunding Seite.

ze.tt-Autorin Tessa berichtet für uns aus Athen. Habt ihr Themenvorschläge, die euch besonders interessieren? Oder Fragen, die euch beschäftigen? Oder wollt ihr ein paar Tsatsiki-Rezepte tauschen? Dann schreibt ihr doch eine E-Mail. Sie freut sich über Zuschrift und wird auf jeden Fall in der dritten Person antworten.