Im Alter von drei Jahren erhielt Eian die Autismusdiagnose. Seine Mutter fand in der Fotografie einen Weg, ihrem Sohn wieder näherzukommen.

Eian schaut verträumt aus dem Fenster, sein Blick ist leicht nach oben gerichtet, ein Lichtstrahl malt die Spektralfarben auf sein Gesicht, wie einen kleinen Regenbogen. Er beißt sich leicht auf die Unterlippe, wirkt nachdenklich, in Gedanken vertieft. Seine Mutter, die Fotografin Kate Miller-Wilson, hat diesen und viele weitere Momente festgehalten. Sie porträtiert damit nicht nur ihren geliebten Sohn, mit dem sie in Minneapolis, im US-amerikanischen Bundesstaat Minnesota lebt, sondern zeigt auch, wie es als Elternteil ist, wenn das eigene Kind Autismus hat.



Denn auch Eian bekam im Alter von drei Jahren diese Diagnose. Kate erinnert sich: "Ich wusste seit seiner Geburt, dass etwas an meinem Sohn anders war. Er hörte niemals auf zu weinen und ich konnte ihn nicht trösten." Eian ließ noch vor seinem ersten Geburtstag einige Entwicklungsstufen aus, zum Beispiel das typische Babygebrabbel, außerdem reagierte er nicht auf seinen eigenen Namen.


Denn Autismus ist eine tiefgreifende Störung in der Entwicklung, die in verschiedenen Formen und Ausprägungen auftreten kann. Daher fasst man diese unter dem Oberbegriff Autismus-Spektrum-Störung zusammen. Sie zeigt sich oft in Problemen im sozialen Umgang und der Kommunikation mit Mitmenschen. Auch das Wiederholen von stereotypischen Verhaltensweisen kann ein Merkmal für Autismus sein und leichte Veränderungen von Handlungsabläufen, wie etwa das Umdekorieren einer Wohnung oder das Ändern eines Kleidungsstils, können bei Autist*innen zu großen Problemen führen.

Eine ganz andere Eltern-Kind-Beziehung

Auch das Zeigen von Gefühlen und auf diese zu reagieren, kann für manche von ihnen sehr schwer sein. Das weiß auch Kate: "Eltern arbeiten hart daran, sich mit ihrem Kind zu verbinden; und das oft tagelang ohne eine Anerkennung, wie etwa ein kleines Lächeln oder irgendeine Form der Bestätigung." Mit ihrem Fotoprojekt Look Me In The Lense möchte Kate anderen Menschen Mut geben und ein neues, vielfältigeres Bewusstsein für Autismus schaffen: "Ich hoffe, dieses Projekt hilft den Eltern dabei, das zu verstehen, was sie schon wissen: dass ihr Kind da ist. Wir müssen hart dafür kämpfen, um uns mit unseren Kindern zu verbinden – und das kann echt anstrengend sein. An diesen Tagen, wenn alles aussichtslos, enttäuschend und erschöpfend scheint, soll diese Arbeit ein heller Fleck sein, der daran erinnert, warum wir das tun." Außerdem hofft sie, dass andere Menschen mit Hilfe ihrer Fotos verstehen, dass es sich um eine ganz andere Art der Eltern-Kind-Beziehung handle.


Kate hatte zunächst gar nicht den Plan, ein ganzes Fotoprojekt dem Autismus ihres Sohnes zu widmen. Sie erklärt: "Eigentlich wollte ich erst einfach nur Familienmomente für die Zukunft festhalten, wie alle Eltern, mit einer Kamera. Und als ich das tat, ertappte ich mich dabei, wie ich einen immer differenzierteren Blick auf uns warf. Darauf, wie es sich eben anfühlt, so zu leben, wie wir es tun." Und auch Eian scheint es zu gefallen. Er möge es, fotografiert zu werden, verrät Kate: "Er versteht, dass das eine Gemeinschaftsarbeit ist und bittet mich immer dann ihn zu fotografieren, wenn er das Gefühl hat, dass er etwas loswerden möchte. Er mag es, dass es echte Fotos sind, nicht nur Lächelbilder. Er teilt gerne emotionale Momente mit mir." Es gebe allerdings auch Situationen, in denen sie ihn mit Süßigkeiten bezahlen müsse, gibt sie zu.

Nicht wie im Film

Mit dem Fotoprojekt möchte Kate auch gegen die Klischeebilder und Stereotype kämpfen, die viele wahrscheinlich auf Grund von Filmen wie Rain Man oder Serien wie Atypical im Kopf haben. Kate betont: "Ich möchte, dass andere Menschen wissen, dass Autismus keine einfache Sache ist. Es ist nicht nur das, was wir in Filmen oder im Fernsehen sehen. Dort findet man selten die Schönheit und die Tiefe der Gefühle."

Du bist mein Seelenzwilling.
Eian

Mit diesem Vorhaben scheint die Fotografin vielen aus der Seele zu sprechen: Jede Menge positive Reaktionen erreichen sie. "Menschen aus aller Welt nehmen Kontakt zu mir auf und erzählen mir, was die Fotos ihnen bedeuten", so Kate, "Das ist für mich als Künstlerin natürlich sehr ermutigend, aber auch ein wenig demütigend. Es gibt so viele von uns, die es so sehr versuchen." Zur Zeit arbeitet sie an einer Crowdfundingkampagne, mit der sie das Fotoprojekt zu einem Fotobuch machen möchte. In dem Buch möchte sie ihre Bilder mit Eians Worten verbinden. Denn ihr Sohn bringt es auf den Punkt: Zu einem Foto, auf dem er sich an seine Mutter schmiegt und geradeaus in einen Spiegel guckt, während Kate auf den Auslöser drückt, sagt Eian: "Fotografie hat unsere Beziehung verändert. Seit wir zusammen Fotos machen, kann ich deine Gefühle besser spüren. Es fühlt sich an, als wären unsere Emotionen verbunden. Du bist mein Seelenzwilling."