Wir sind von Farben umzingelt. Zum Glück, denn wir brauchen sie. Auch wenn es uns oft nicht bewusst ist, nutzen wir die Informationen, die uns Farben liefern, um den Alltag zu bewältigen. Ein Batzen Rahmspinat lässt uns ob seiner schönen Grünfärbung das Wasser im Mund zusammenlaufen. Das knallig rote Rindfleischsteak bettelt förmlich danach, auf den Grill geworfen zu werden. Wir wählen im Supermarkt Obst mit den sattesten Farben aus, wir passen bunte Kleidungsstücke einander an und kombinieren Schminktöne. Wir treffen Vorkehrungen, wenn sich Sonnenbrand oder Ausschlag auf der Haut ausbreitet. Wir fahren mit dem Auto sicher durch die Straßen, weil wir die Signale der Ampeln lesen können, wir machen Menschen mit einer hübschen Augenfarbe Komplimente, wir pflanzen bunte Blumen auf unserem Balkon und streichen die Wohnzimmerwand neu. Unser Wissen um die Bedeutung von Farben nützt uns in beinahe allen Lebensbereichen.

Dass wir all diese Farbpracht wahrnehmen und nutzen können, verdanken wir unserer Fähigkeit, die Farben Rot, Grün und Blau zu erkennen. Alle anderen Farben setzen sich aus diesen drei Grundfarben zusammen. Für jede dieser drei Grundfarben befinden sich in der Netzhaut des Auges Rezeptoren, so genannte Zapfen. Die L-Zapfen nehmen langwelliges rotes Licht auf, M-Zapfen mittellange grüne Lichtwellen und S-Zapfen kurze blaue. So erlauben uns gesunde Augen, die bunten Blumen im Park oder das romantische Licht während des Sonnenuntergangs wertzuschätzen.

Ist ein Zapfentyp beschädigt, können die entsprechenden Lichtwellen schlechter verarbeitet werden. Man spricht von Farbfehlsichtigkeit oder Farbsehschwäche, umgangssprachlich auch von Farbenblindheit. Bei der tatsächlichen Farbenblindheit (Achromasie) werden allerdings gar keine Farbnuancen mehr wahrgenommen und sie stattdessen als Weiß, Schwarz oder Grautöne gelesen. Der Nutzen, den wir durch das Deuten von Farben haben, geht in allen Fällen verloren.

Wie das aussehen kann, hat der Online-Kontaktlinsenlieferservice Lenstore gemeinsam mit der Organisation Colour Blind Awareness aufbereitet. Sie bearbeiteten die Fotos von mehr als 30 Sehenswürdigkeiten auf der ganzen Welt. Die Bilder sind zwar nicht zu 100 Prozent akkurat, können aber einen Eindruck vermitteln, wie Menschen mit schwerer Farbsehschwäche sehen. Betroffene würden die Bilder als identisch wahrnehmen.

Menschen, die kein Rot verarbeiten können (Protanopie), können nur schwer zwischen Rot und Grün sowie zwischen Blau und Grün unterscheiden. Menschen mit Grünblindheit (Deuteranopie) haben es schwerer, Grün von Rot sowie zwischen manchen grauen, violetten und blauen Tönen zu unterscheiden. Tritanop*innen, also Menschen, die blaues Licht nicht verarbeiten können, verwechseln hingegen oft Hellblau mit Grau, Dunkellila mit Schwarz, Grün mit Blau und Orange mit Rot. Wie groß der farbliche Unterschied tatsächlich ist, wird in diesen Gegenüberstellung sichtbar. So werden die bunten niederländischen Tulpenfelder eintönig, das satte Blau des Genfer Sees trüb und die grell blinkenden Leuchtreklamen in Tokio monoton.

In Deutschland leben etwa vier Millionen Menschen mit einer bestimmten Art von Farbfehlsichtigkeit, weltweit sind es etwa 300 Millionen. Männer sind zehnmal häufiger davon betroffen als Frauen. Weil der Großteil aller Farbfehlsichtigkeiten vererbt wird, wissen die wenigsten von ihrer Beeinträchtigung. Wie auch? Angenommen eine Gruppe von Freund*innen starrt auf ein- und denselben Apfel. Zum Beispiel den hier: ?. Alle sehen ihn deutlich und scharf. Aber strahlt auch das Rot in derselben Intensität?

Einschränkungen im Alltag

In der Regel untersuchen Augenärzt*innen und Optiker*innen ihre Patient*innen und Kund*innen auf Farbsehschwächen, oft auch Kinder vor der Einschulung. Trotzdem ist es nicht ungewöhnlich, dass Erwachsene erst spät ihre Farbsehschwäche bemerken. Zum Beispiel dann, wenn sie sich auf bestimmte Jobs bewerben. "Jobs beim Militär und bei Rettungsdiensten, aber auch Elektriker, Pilot, Zugführer, maritime Jobs und viele andere anspruchsvolle Karrieren wie zum Beispiel Medizin, Design, ICT oder Gartenbau bleiben Betroffenen entweder ganz verschlossen oder sie müssen bestimmte Bewältigungsstrategien finden", sagt Kathryn Albany-Ward, Gründerin und Geschäftsführerin von Colour Blind Awareness.

Farbbeeinträchtigte Personen können sich nicht auf Informationen verlassen, die durch Farben übermittelt werden. Wäre der Batzen Rahmspinat statt des typischen Grüns eher Graubraun, hätte er große Ähnlichkeit mit einem Kuhfladen und würde uns wohl den Appetit verderben. Verliert das Rindfleischsteak sein Knallrot und strahlt stattdessen in Gelb, würde es abgelaufen erscheinen. Wir würden nicht erkennen, wenn jemand vor Angst erblasst oder vor Scham rot anläuft. Wir könnten einem Sonnenbrand nicht mit Sonnencreme entgegenwirken und einen Ausschlag erst behandeln, wenn er zu jucken beginnt. Mülltrennung würde komplizierter, Autofahren gefährlicher. Wir könnten die rote U-Bahnlinie auf dem Netzplan nicht mehr finden, die beiden Teams beim Fußballmatch schlecht auseinanderhalten und zwischen reifen und unreifen Bananen nicht unterscheiden.

Farbenblindheit ist keine Krankheit

"Um inklusiv zu sein, sollten wir niemals nur farbkodierte Informationen verwenden", sagt Albany-Ward. Schulen und Unternehmen müssten sicherstellen, dass alle Informationen nicht nur in Farbe, sondern auch auf andere Weise wiedergegeben werden. Zum Beispiel durch Textbeschriftung, Symbole und Muster. Dasselbe gelte für Bekleidungshändler*innen und Online-Einzelhändler*innen.

"Leider werden kaum Maßnahmen ergriffen, um farbenblinden Menschen in Schulen oder am Arbeitsplatz zu helfen", sagt Albany-Ward. Menschen lernen, damit zu leben. Beim Einkaufen verlassen sie sich beispielsweise auf Beschriftungen und Namen. Dass die Oliven im Glas grün und nicht schwarz sind, steht auf der Verpackung. Stünde es nicht auf der Verpackung, würden Ketchup und Schokoladensauce gleich aussehen. Sie verlassen sich auf die Konsistenz und Beschaffenheit von Oberflächen. Sie fühlen die Äpfel und Tomaten, um die frischesten zu finden. Sie lassen sich von ihren Liebsten die Kleidung für den Tag zusammenstellen. Sie holen sich Hilfe beim Backen, weil goldbraun keine Bedeutung für sie hat. Aber: Die Benennung von Farben ist nur hilfreich, wenn sie keine abstrakten Namen wie Schamottestein oder Midnight Sparkle tragen.

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