Sternchen, wo sind die Sternchen? Queere Themen kommen im Wahlkampf kaum vor. Dabei ist mit der Ehe für alle längst nicht die letzte Debatte beendet. Eine Analyse der Parteiprogramme

Die Ehe für alle ist da. Eigentlich hatten fast alle Parteien die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in ihr Wahlprogramm geschrieben – alle außer Union und AfD. Dann aber hat Kanzlerin Angela Merkel Ende Juni überraschend den Fraktionszwang zu dieser Frage aufgehoben. Als Gewissensentscheidung durften Unionsabgeordnete so für die Eheöffnung stimmen. Die Gesetzesänderung ging durch den Bundestag – und plötzlich war das medienwirksamste LGBTI-Thema für den Wahlkampf vom Tisch.

Damit ist aber noch lange nicht die letzte Forderung der queeren Community erfüllt. Was sagen die Wahlprogramme der Bundestagsparteien sowie von FDP und AfD eigentlich über andere LGBT-Fragen? Über queere Familien, Reproduktionsmedizin, Antidiskriminierung?

Wer steht wo?

Die Parteien behandeln den Themenbereich unterschiedlich ausführlich. Bei CDU/CSU sowie bei der AfD tauchen so gut wie keine queeren Themen auf. Zwar spricht sich die Union gegen die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften aus – das stand allerdings auch schon in ihrem Wahlprogramm von 2013. Die Öffnung der Ehe hatten CDU/CSU trotzdem weiter blockiert.

Die SPD wollte die Ehe für alle eigentlich groß im Wahlkampf ausspielen. Da dieses Thema aber mittlerweile vom Tisch ist, bleibt außer Solidaritätserklärungen nicht viel Greifbares übrig. Konkreter wird es bei Die Linke, FDP und Grünen, wobei Die Linke in Sachen LGBTI die radikalsten Forderungen stellt.

1. Was ist Familie?

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So sieht’s aus: Ab Oktober können zwei Menschen unabhängig von ihren Geschlechtern heiraten und zusammen Kinder adoptieren. Details sind noch nicht geklärt: Wird zum Beispiel in einer Ehe zwischen zwei Frauen eine von beiden schwanger, wird die Partnerin dann automatisch als zweite Mutter eingetragen – so wie bei einem Ehemann? Und was ist mit anderen Sorgegemeinschaften? Welche Rechte bekommen sie?

Das sagen die Programme: Alle Parteien außer der AfD definieren Familie als Gemeinschaft, in der Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Aber einen konkreten Handlungsbedarf folgern daraus nicht alle.

Die Union spricht zwar allen Familien ihre Wertschätzung aus: "Wir schreiben Familien kein bestimmtes Familienmodell vor. Wir respektieren die unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens." Die SPD stellt dagegen fest, dass es klarere, rechtliche Rahmen für nicht-traditionelle Familien braucht: "Wir sorgen für Klarheit in all diesen Konstellationen, indem Rechte und Pflichten eindeutig definiert werden." Konkret wollen die Sozialdemokrat*innen das Abstammungsrecht ändern. Im SPD-Justizministerium gibt es dazu schon einen Entwurf. Das betrifft unter anderem die erwähnten Zwei-Mütter-Familien.

Denen will auch die FPD Rechtssicherheit geben: "Mehr-Eltern-Familien sind Realität und müssen auch bei der rechtlichen Elternschaft abgebildet werden." Die FDP will eine Verantwortungsgemeinschaft einführen, eine Art Vertrag über gegenseitiges Kümmern. Die Grünen haben ihre Idee Pakt für das Zusammenleben genannt, Die Linke spricht von einem System der Wahlverwandtschaften. Die Linke fordert außerdem, dass bis zu vier Personen gleichzeitig das Sorgerecht für ein Kind haben können – so wie das neuerdings in den Niederlanden möglich ist.

Die AfD will nichts von alledem wissen. Sie fordert, dass die Politik sich am Bild der Familie aus Vater, Mutter und Kindern orientiert. Alles Abweichende – zum Beispiel auch Ein-Eltern-Familien – ist für die AfD als persönliche Entscheidung okay, sollte aber nicht gefördert werden.

2. Wie halten sie es mit der Reproduktionsmedizin?

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So sieht's aus: Leihmutterschaft an sich ist in Deutschland erlaubt, nicht aber das Vermitteln von Leihmüttern oder die ärztliche Assistenz. Ebenfalls verboten ist es Ärzt*innen, die befruchtete Eizelle einer Frau bei ihrer Partnerin einzusetzen, damit das Kind zwei biologische Mütter hat. Künstliche Befruchtung von Single-Frauen ist nicht eindeutig verboten, aber die Rechtslage ist unklar, so dass viele Ärzt*innen dies vorsichtshalber ablehnen.

Das sagen die Programme: Das Thema Reproduktionsmedizin ist für das konservative Lager ein rotes Tuch. Und so steht auch nichts davon bei der Union oder der AfD im Programm. Die SPD sagt bis auf die Passage mit dem Abstammungsrecht aber auch nichts dazu. Auch Die Grünen schweigen hierzu ebenfalls. Die Linke will dagegen radikale Gleichheit bei der künstlichen Befruchtung: "Reproduktionsmedizin muss auch nicht verheirateten, lesbischen und Single-Frauen durch Kostenübernahme der Krankenkasse zur Verfügung stehen." Die FDP fordert die Legalisierung von Eizellspenden und sogenannter nicht-kommerzieller Leihmutterschaft.

3. Gehört sexuelle Vielfalt in den Schulunterricht?

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So sieht's aus: Sexualität und Regenbogenfamilien kommen im Unterricht unterschiedlich stark vor. Während in Berlin queere Initiativen oft in Schulen eingeladen werden, unterschrieben in Baden-Württemberg 2014 achtzigtausend Bürger*innen eine Petition gegen einen geplanten Bildungsplan zur Akzeptanz sexueller Vielfalt.

Das sagen die Programme: Lehrpläne sind Ländersache, und so kommt zu diesem Thema bei keiner Partei besonders viel – außer bei der AfD. Die Rechtspopulist*innen haben hier am meisten zum Thema LGBTI geschrieben. Über die Europaabgeordnete Beatrix von Storch ist die AfD direkt mit der homofeindlichen Demo für alle-Bewegung verknüpft. Dass sexuelle Vielfalt Unterrichtsthema sein soll, sieht die Partei vor allem als eins: eine Gefahr. "Die AfD stellt sich allen Versuchen klar entgegen, durch staatlich geförderte Umerziehungsprogramme in Kindergärten und Schulen das bewährte, traditionelle Familienbild zu beseitigen."

Die anderen Parteien halten sich hier wie gesagt zurück. Die SPD erwähnt in einem Nebensatz, dass Lehrkräfte in Fortbildungen auf die Vielfalt an Lebensmodellen an ihrer Schule vorbereitet werden sollen. Linke und FDP äußern sich nicht konkret zum Schulunterricht. Die Grünen prahlen ein bisschen mit den Bildungs- und Aktionsplänen, die sie in den Ländern durchgesetzt hätten – was nicht ganz ehrlich ist. Denn der berühmte Bildungsplan in Baden-Württemberg wurde auf Druck von rechts zurechtgestutzt und auch mit den Grünen als stärkste Partei nicht mehr ausgeweitet.

4. Was soll gegen Diskriminierung und Gewalt getan werden?

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So sieht's aus: Auch in einer Gesellschaft mit Ehe für alle erleben Menschen homo-, bi- und transfeindliche Gewalt und Diskriminierung. Es gibt ein Antidiskriminierungsgesetz (AGG), aber oft stehen hier Einzelpersonen gegen Firmen oder Behörden.

Und das sagen die Programme: Die Linke, SPD, Grüne und FDP wollen das Grundgesetz ändern, sodass neben anderen Merkmalen wie Geschlecht, Herkunft und Glaube auch sexuelle Orientierung vor Ungleichbehandlung geschützt ist. Die AfD will das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hingegen abschaffen. An dieser Stelle ist die rechte Partei liberaler als die Liberalen. Für sie ist Diskriminierung eine Sache, die Menschen unter sich klären sollten, ohne dass der Staat sich einmischt. Die FDP sagt nichts zum AGG. Dafür fordert sie, das Blutspendeverbot für schwule und bisexuelle Männer abzuschaffen. Bisher können Männer, die mit Männern schlafen kein Blut spenden, es sei denn sie hatten ein Jahr keinen Sex.

Die Union sagt nichts zu Antidiskriminierung. Die Grünen sind übrigens die einzigen, die besonders auf Bisexuelle eingehen. Sie wollen für bisexuelle junge Menschen "Angebote schaffen, die ihre gesellschaftliche Situation und persönliche Entwicklung stärken." Biphobie ist selbst in queeren Communitys noch ein vernachlässigtes Thema.

5. Wer bestimmt mein Geschlecht?

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So sieht's aus: Wer sein offizielles Geschlecht ändern will, braucht sich seit 2011 nicht mehr operieren lassen, aber eine Indikation ist nach wie vor nötig. Das bedeutet: zur Psychotherapeut*in gehen und sich eine psychische Störung diagnostizieren lassen – was viele Transmenschen eine Schweinerei finden.

Und das sagen die Programme: Die SPD verspricht mehr Selbstbestimmung, bleibt aber auch hier vage: "Wir werden die Lage von trans- und intergeschlechtlichen Menschen verbessern und gewährleisten, dass sie selbst über ihr Leben bestimmen können. Das betrifft medizinische, gesundheitliche, soziale und rechtliche Aspekte. Wir werden daher das Transsexuellengesetz und weitere Gesetze reformieren."

Die FDP ist dafür, dass Krankenkassen grundsätzlich für geschlechtsangleichende Maßnahmen bezahlen müssen. Linke und Grüne fordern, Transsexualität als psychische Störung zu streichen. Das ist zum Beispiel in Frankreich und Dänemark der Fall – finanzielle Hilfen für OPs und Hormonbehandlungen gibt es dort trotzdem. Außerdem wollen Linke und Grüne verbieten, dass an Kindern – vor allem an Säuglingen – operiert wird, um ihren Genitalien ein eindeutiges Geschlecht zu geben. Menschen, an denen auf diese Weise operiert wurde, will Die Linke entschädigen. Außerdem will Die Linke, dass Transmenschen beim Elternwerden finanzielle Unterstützung erhalten.

Union und AfD haben zu alledem nichts zu sagen.

Und hier die Parteiprogramme zum selbst lesen:

CDU/CSU

SPD

Grüne

Die Linke

FDP

AfD

Alle, nicht anders vermerkten Zitate, beziehen sich auf die Wahlprogramme der Parteien.