2010. Dein Wecker klingelt. Du drückst den Snooze-Button. Du döst nochmal kurz ein und träumst von Michelle Obamas Oberarmen. Nach dem zweiten Mal snoozen stehst du auf. Keine neue SMS, dein Handy lädt noch. Du machst dir einen Cappuccino. Du nimmst ihn mit an den Schreibtisch. Du machst den Laptop an und gehst auf www.irgendeinanbieter.de und checkst deine Mails. Toni organisiert den JGA deines Bruders und die Betreffzeile lautet mittlerweile: "re: re: re: re: re: re: re: JGA Extravaganza". Oh nein. Du versuchst, den Überblick zu gewinnen. Aber erst mal Facebook checken.

Lina hat die Fotos aus ihrem Sri-Lanka-Urlaub gepostet. 56 Stück. Du klickst dich einzeln durch und likest die schönsten. Dann siehst du, dass Linas Cousin Fotos seiner Hochzeit gepostet hat. Ihr seid nicht befreundet, aber du klickst dich trotzdem mal durch das Album. Und dann noch durch das Album von einer Freundin von Linas Cousins Jetzt-Ehefrau. Und deren Schwester. Und deren bester Freundin. Bei Facebook kann man echt alles sehen, denkst du dir. Aber selber würdest du solche Bilder nicht posten. Ist dir irgendwie zu eitel.

Dann ruft Lina an. Sie fragt, an welchen Terminen du für ihren Geburtstag kannst. Weil Lena, Ann-Kathrin und Julius haben kaum Zeit nächsten Monat. Dir fällt auch keine gute Lösung ein, aber du versprichst Lina, dich um die Orga zu kümmern. Du legst auf und ärgerst dich umgehend deswegen. Naja, dafür schaltest du jetzt erst mal 20 Umsonst-SMS frei.

Nur gut, dass du heute nicht zur Arbeit musst. Endlich mal wieder Zeit zum Bloggen. Aber erstmal guckst du eine Folge Two and a Half Men. Und dann noch eine.

https://giphy.com/gifs/ashton-kutcher-two-and-a-half-men-2-ljyWD1MJRZIVW

Du loggst dich aus der Mediathek aus und gehst ins Bad. Während du dir gerade deine Beine rasierst, entdeckst du dort eine alte Ausgabe von Neon. Deine Mitbewohnerin hat die im Abo. Du liest erst mal 'ne Runde unnützes Wissen:

Im Finnischen Reisepass sind die Seiten ein Daumenkino, das einen laufenden Elch zeigt

Dann gehst du zum Yoga. Während du im herabschauenden Hund deinen Rücken durchdrückst, denkst du über deinen Blog nach. Du würdest ja viel lieber professionell bloggen, als in der Agentur arbeiten. Wie schön es wäre, wenn du einfach mit deinem eigenen Ding Geld verdienen könntest. Es gibt schließlich Leute, bei denen das funktioniert. Du sollst in die Kobra gehen. Du denkst an den Spruch, den Lilly neulich gepostet hat:

Zurück zu Hause ruft Peter an. Er will, dass alle bei ihm Vorglühen am Freitag. Er will extra Zutaten für Hugo besorgen. Du sagst, du bringst Minze mit. Dann legst du auf und hörst das neue Album von Lady Gaga.

I'm your biggest fan

Hoffentlich sind ein paar Freundinnen von Peter am Freitag dabei. Leute, die du noch nicht kennst. Du würdest nämlich gerne mal wieder jemanden kennenlernen. Oder einfach mal wieder jemanden mit nach Hause nehmen, ohne vorher groß auszugehen. Wie praktisch wäre es, wenn man das auch über StudiVZ oder Facebook regeln könnte. Das wäre doch mal eine Geschäftsidee! Naja, immerhin hat dich Jana neulich mal gegruschelt.

Dein Handy ist schon wieder leer. Der Akku nervt. Du legst es beiseite, verkabelst dich mit deinem MP3-Player und schließt die Augen. Irgendwie geht es dir gerade nicht so gut. Du hast viele Fragen, aber sie kommen dir klein und unbedeutend vor. Du würdest sie trotzdem manchmal gerne einfach in die Welt rausschreien. Aber wer würde dir zuhören? Wer wäre da? Wäre jemand da? Du verschiebst den Blog-Post auf morgen. Vielleicht besser so.

Ein Tag im Jahr 2020

Dein Wecker klingelt (Ton: Kleine Wellen). Du greifst nach deinem Smartphone. Erstmal Insta checken. Du likest alles weg und knippst dann deine Tageslichtlampe an. Während du es dir davor gemütlich machst, klickst du alle Insta-Storys durch. Aha. Auch nix los. Jetzt erst mal Kaffee. Heute aus der getöpferten Tasse, du schiebst sie an die Tischkante. Er wird fast kalt, weil du keinen guten Winkel für das Bild findest. Ab auf Insta damit: #coffeelover. Hmm. Bisschen lame, aber was soll's.

Gut für Insta: #coffeelover © Foto: Ryan Riggins /​ Unsplash | CC0

Jetzt zur Arbeit. Beim Warten auf die Bahn gehst du dein Handy durch: Mails, Twitter, Tiktok, Slack. Die Bahn fährt ein, du kriegst keinen Sitzplatz mehr. Während sie losfährt, guckst du nur ganz kurz aus dem Fenster, als du wieder aufs Handy schaust: 36 neue Nachrichten im The Family-Whatsapp-Channel. Dein Cousin war in Dubai und schickt Fotos von seiner Freundin am Pool. Tante Uschi so: 💑 🍹💖 Du äußerst dich nicht.

Auf der Arbeit angekommen, bist du froh, als Erste*r an der Obstkiste zu sein und schnappst dir erst mal eine Banane. Im Slack-Channel wird gerade Tinas Abschiedsgeschenk diskutiert: Gutschein oder Gutschein? Dir egal, Du paypalst einfach drei Euro an Alex.

Heute nerven alle. Du flüchtest aufs Klo, sagst Alexa, sie soll dir einen Witz erzählen und tinderst 'ne Runde. Du zählst immer bis 50 bei Rechts-Swipes. Drei Matches noch von gestern. Nun ja. Deine Meditations-App erinnert dich daran, dass du heute mal alle Wege bewusst gehen solltest.

Zurück an deinem Platz siehst du eine Whatsapp deines Vaters, du sollst mal Facebook checken, er braucht Hilfe, den Klimastreik-Frame über sein Profilbild zu setzen. Facebook? Du kennst das Passwort nicht mehr; als du endlich eingeloggt bist, siehst du eine Freundschaftsanfrage von Anton aus der Buchhaltung. Schräg. Du nimmst sie vorsichtshalber nicht an.

Deine nächste Insta-Story wird irgendwas mit "wenn man Eltern IT erklären soll". Oder sind diese Witze schon O-V-E-R? Du fühlst es grad nicht. Naja. Dir wird Werbung für Babyklamotten angezeigt. WTF! Dann fällt dir ein, dass du seit sieben Tagen nichts mehr in deine Zyklus-App eingetragen hast. Boah! Wissen die auch, dass du davor Sex mit Jonas hattest? Naja. Du meldest dich trotzdem nicht ab.

Auf Telegram schickt Thomas einen Doodle-Link rum: Es geht um Markus' JGA. Du füllst eine Spalte aus und ärgerst dich, dass dir zu spät aufgefallen ist, dass alle anderen sich lustige Spitznamen gegeben haben. Fail.

Dein Kollege spoilert die Netflix-Serie, die du dir für heute Abend aufgehoben hast. Du hasst alles und bastelst ein Meme:

Du checkst nochmal alle Dating-Apps. Ein Bumble-Mensch fragt, was du heute Abend machst. Du zuckst kurz, aber sagst dann ab. Du bist eh schon mit Max verabredet.

Schließlich Feierabend. Du fährst zu Max, ihr wollt die Graphics für euren Podcast durchsprechen. Ihr raucht erstmal ne Runde CBD. Am Freitag will Max feiern gehen, ob du dabei wärst? Du sagst zu, aber nur, wenn du erst noch eine Runde vorschlafen kannst. Früher war mehr vorglühen, sagt Max. Du zuckst mit den Schultern.

Irgendwann gehst du nach Hause. Du überlegst, noch was zu meditieren, aber dann lässt du es. Du bist zu müde. Im Bett checkst du wieder Mails und siehst, dass deine Chefin dir noch um 23 Uhr 'ne Mail geschickt hast. Was bildet die sich eigentlich ein? Du traust dich aber nicht, das zu twittern. Vielleicht besser so.