Ein Arbeitskollege kommt zurück zur Arbeit. Ein Jahr lang war er jetzt weg, krankheitsbedingt. "Irgendwas Psychisches", wurde in der Abteilung schon gemunkelt. Mit ihm kommt am ersten Tag auch die Vorgesetzte ins Büro. Gemeinsam erklären sie, dass es sich tatsächlich um eine psychische Erkrankung handelt, mit der sich der Kollege im vergangenen Jahr auseinandergesetzt hat. Jetzt ist er wieder da und will zurück an die Arbeit. Auch wenn, wie er jetzt weiß, nicht mehr alles geht. Er ist sich seiner Stärken wieder bewusster geworden, aber auch seiner Grenzen. Es ist ein Kollege, mit dem ich mich immer gut verstanden habe. Wir haben gemeinsam an großen Projekten gearbeitet und in der Pause öfter mal zusammen einen Kaffee getrunken. Dass etwas nicht stimmt, habe ich vor seiner Krankschreibung gemerkt. Aber wie gehe ich jetzt mit der Situation um?

Es sind Situationen wie diese, in denen Markus Hölz und Yvonne Pauly ins Spiel kommen. Sie arbeiten beim Integrationsfachdienst (ifd), er als Teamleiter in Mannheim, sie bei der Fachstelle Aachen/ Heinsberg, im Auftrag des Landschaftsverband Rheinland (LVR) Integrationsamtes. Der Integrationsfachdienst steht Betroffenen und ihren Arbeitgeber*innen zur Seite, um eine erfolgreiche Wiedereingliederung am Arbeitsplatz zu ermöglichen. Die Beratungsstelle setzt sich für die Teilhabe von Menschen mit verschiedenen Behinderung und psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz ein. Sie wissen, worauf es ankommt, damit eine Zusammenarbeit unter Kolleg*innen gut funktioniert. "Generell gibt es kein Patentrezept: die Diagnose, das hilft", bemerkt Yvonne Pauly. "Bei uns gibt es das Sprichwort: Kennt man eine*n psychisch Kranke*n, kennt man eine*n psychisch Kranke*n. Man muss immer auf den Einzelfall gucken." Trotzdem geben Markus Hölz und Yvonne Pauly ein paar Tipps, worauf man als Kolleg*in bei der Zusammenarbeit achten kann.

ze.tt: Herr Hölz, Frau Pauly, sagen wir mal, jemand in meiner eigenen Abteilung hat eine psychische Erkrankung und das auch offen kommuniziert. Muss ich den*diejenige*n jetzt mit besonderer Vorsicht behandeln?

Markus Hölz: Wenn jemand seine*ihre psychische Krankheit offen kommuniziert, verdient das erst mal eins: Respekt. Das ist keine Selbstverständlichkeit und erfordert Mut. Jemand, der*die das tut, wirbt für Vertrauen, Rücksichtnahme und einen respektvollen Umgang – eigentlich etwas, was sich jeder Mensch wünscht.

Yvonne Pauly: In erster Linie ist das ein*e Kolleg*in wie jede*r andere und er*sie möchte behandelt werden wie jede*r andere auch. Das Ziel ist, normal zu arbeiten. Mache ich was anders oder lege Worte auf die Goldwaage, grenze ich die Person damit ab und bringe sie in eine Sonderrolle. In der Regel ist das nicht erwünscht. Außerdem strenge ich mich selbst damit total an. Ich sollte also nur dann etwas besonders machen, wenn der*diejenige mich darum bittet. Um es anschaulicher zu machen: Ich habe zum Beispiel eine Kollegin, die fällt die Treppe runter und bricht sich das Bein. Sie ist erst mal krank, wird gesund und kommt wieder. Dann gehe ich doch auch nicht jedes Mal mit ihr die Treppe runter, damit das ja nicht noch mal passiert. Ist sie gefallen, weil sie Kreislaufprobleme hat, könnte es vielleicht jederzeit wieder passieren. Aber auch dann gehe ich nicht jedes Mal mit ihr die Treppe runter, sondern warte, bis sie sagt: Heute ist mir schwummrig. Kann mal lieber jemand mitgehen?

Wie sollte ich also als Kolleg*in mit der Person umgehen?

Pauly: Die Menschen leben mit sich und ihrer Erkrankung und wissen meistens ganz gut, was sie brauchen. Wenn es jemand ist, der*die offen damit umgeht, dann kann darüber gesprochen werden. Dann kann ich fragen: Was heißt das für mich? Was brauchst du? Was ist hilfreich, was ist kontraproduktiv? Das funktioniert natürlich nicht von jetzt auf gleich, das ist ein Prozess. Wichtig ist: Es sollte über Bedürfnisse und Einschränkungen gesprochen werden, nicht über Diagnosen. Die müssen oft nicht einmal benannt werden.

Hölz: Das sind ja erwachsene Menschen, mit denen kann man ganz normal reden. So, wie man es mit anderen auch machen würde. Und nicht denken: Der*die ist sicher furchtbar sensibel, deshalb traue ich mich nicht, normal mit ihm*ihr umzugehen. Das wäre verkehrt, das merkt die Person sofort, dann kommt das Misstrauen und dann wird es schwierig. Wenn man ein fürsorglicher Mensch ist, kann es sein, dass man sich auf den*die andere*n einlassen will, jeden Tag fragt, wie es ihm*ihr geht und helfende Vorschläge macht. Das sehen wir eher als wenig hilfreich an. Man wechselt dann die Rolle von Arbeitskolleg*in zu Freund*in. Das ist falsch verstandene Hilfsbereitschaft.

Worauf sollte man als Kolleg*in in Konfliktsituationen achten, wenn jemand bei einer Aufgabe an seine*ihre Grenzen kommt, Angst zeigt oder ähnliches?

Hölz: Nicht die Person als Ganze angreifen, sondern immer das ansprechen, was man konkret beobachtet hat. Das sollte man an der bestimmten Situation festmachen und niemals generalisieren. Wenn man die Beobachtung macht, dass irgendetwas schiefläuft, sollte man nicht einfach sagen: Du hast das so und so gemacht. Dir geht es offensichtlich nicht gut. Besser ist es, eine Hypothese oder Vermutung aufzustellen: Mein Eindruck ist, dass … Habe ich das richtig wahrgenommen? Man muss aber selbst den Konflikt des*der anderen auch nicht unbedingt lösen, das ist nicht meine Rolle als Kolleg*in. Es ist die Aufgabe des*der Vorgesetzten, zu schauen: Was kann dieser Mensch gut leisten, ohne ständig in eine Überforderung zu kommen?

Pauly: Im besten Fall ist klar, was zu tun ist, weil es vorher besprochen wurde und es Mechanismen und Ansprechpartner*innen gibt. Im anderen Fall ist eher nicht die Frage: Was kann ich tun?, sondern: Mit wem sollte ich sprechen? Es gibt sowohl im Betrieb als auch extern Ansprechpartner*innen, die unterstützen können. Wenn bei mir  zu Hause die Lampe kaputtgeht, frage ich doch auch nicht den*die Nachbar*in, sondern rufe eine*n Elektriker*in.

Ich sollte nicht die Person als Ganze angreifen, sondern immer das ansprechen, was ich konkret beobachtet habe.
Markus Hölz, Integrationsfachdienst Mannheim

Was sind Probleme, die Ihnen in Unternehmen immer wieder begegnen?

Hölz: Kollegiale Konflikte und deren Klärung. Zum Problem wird zum Beispiel öfter, wenn ein*e Mitarbeiter*in aufgrund der psychischen Erkrankungen immer wieder fehlt und Kolleg*innen einspringen müssen. Viele Vorgesetzte sind unsicher und wissen nicht, was sie in Konfliktsituationen machen sollen. Dann warten und warten und warten sie, bis es knallt. Vorgesetzte werden in ihrer Ausbildung meistens nicht auf einen guten Umgang mit Konflikten vorbereitet.

Pauly: Das erste große Problem sind Vorgesetzte, die sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht mit der Situation auseinandersetzen können oder möchten. Sie sind aber die Eintrittskarte, um Probleme zu bearbeiten und das Arbeitsumfeld zu verbessern. Es gibt aber natürlich auch Ängste und Unsicherheiten bei den Kolleg*innen. Oder Betroffene, die sich nicht öffnen und dann ist nicht klar, was es braucht, damit die Arbeit funktioniert. Schwierig ist aber auch, wenn Menschen schon Berührung mit einer Krankheit haben und deswegen meinen, sie können das. Ich habe mal einen Konditormeister begleitet, der wollte jemanden mit Autismus ausbilden und meinte: Kein Problem, wir hatten ja letztens schon jemanden mit Down-Syndrom, das hat super geklappt, das läuft jetzt bestimmt auch. Lief natürlich nicht.

Als Kolleg*in könnte ich es als Bevorzugung oder gar unfair empfinden, wenn jemand in meinem Team aufgrund einer Erkrankung intensivere Unterstützung erfährt. Wie gehe ich mit diesen Gefühlen um?

Pauly: Auch die Kolleg*innen haben Beratungsbedarf, das ist völlig klar. Ich sollte mich als Kolleg*in fragen, wo meine Grenzen liegen: Wie weit gehe ich in eine persönliche Beziehung rein, wo muss ich mich deutlich abgrenzen? Wenn sich bei mir innerlich Widerstände aufbauen, dann ist auch hier die offene Kommunikation empfehlenswert. Natürlich kann alles, was ich offen ausspreche, dem*der anderen auch wehtun. Aber wenn sich das im Subtext abspielt, ich mein Verhalten ändere oder meine Unterstützung verweigere, ist das für das Gegenüber oft viel schwieriger. Es ist menschlich, irgendwann ungeduldig zu werden oder die Lust am Helfen zu verlieren. Damit es für Kolleg*innen dauerhaft tragbar ist, braucht es dann eben Unterstützung von außen.

Hölz: Wenn klar ist, dass jemand ein Problem hat und sowohl der Betrieb als auch der*die betroffene Mitarbeiter*in selbst etwas tut, ist das Verständnis oft größer. Eine psychische Krise kann am Ende jede*r erleiden – Überlastung, Burnout und Mobbing sind ja lange keine Fremdwörter mehr. Man kann deshalb an die Solidarität der Kolleg*innen appellieren, bis zu einer gewissen Grenze zumindest. Die Fürsorge- und Schutzpflicht eines*r Arbeitgeber*in gilt ja allen Mitarbeiter*innen. Oft kann es auch einen Mehrwert haben, jemanden mit psychischer Krankheit im Team zu haben. Es kann den menschlichen Umgang in einer Abteilung verbessern, weil es bestimmte Themen wie Respekt und Achtung überhaupt erst thematisiert. Das ist eine Rückmeldung, die wir häufig bekommen.

Es ist menschlich, irgendwann ungeduldig zu werden oder die Lust am Helfen zu verlieren.
Yvonne Pauly, Integrationsfachdienst Aachen/Heinsberg

Wenn Sie drei bis fünf der wichtigsten Faustregeln für ein gelingendes Miteinander am Arbeitsplatz formulieren müssten, was wären diese?

Hölz: Authentisch und aufrichtig sein, Respekt und Achtung. Als Kolleg*in möglichst immer in Ich-Formulierungen sprechen: Mir ist aufgefallen, Ich habe das Gefühl, dass … Nicht sagen: Du bist, Du hast … Sich auf Fakten und einzelne Verhaltensweisen beziehen, nicht auf die ganze Person. Verständnis und Entgegenkommen zeigen – aber nicht ohne eigene Grenze. Und zum Schluss: Überschaubare Rahmenbedingungen schaffen, Komplexität reduzieren und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen herstellen.

Pauly: Der wichtigste Punkt ist für mich die offene Kommunikation. Ansprechen, wenn was komisch ist. Das mache ich im Optimalfall auch da, wo ich nicht weiß, dass ein*e Kolleg*in psychisch erkrankt ist. Es zeigt einfach, dass ich aufmerksam mit meinen Kolleg*innen umgehe. Wichtig ist dabei immer, dass das von den Vorgesetzten so vorgelebt wird. Genauso wichtig ist aber auch, die eigenen Grenzen zu kennen und nicht von Kolleg*in zu Therapeut*in zu werden. Es kann helfen, sich selbst zu fragen, was man selbst braucht, um gut arbeiten zu können. Oft ist das nicht weit weg von dem, was andere auch brauchen.