In der Artikelreihe "Wie reden wir eigentlich miteinander?" beschäftigen wir uns mit verschiedenen Formen und Theorien der Kommunikation. Viele dieser Methoden werden beispielsweise in der Psychologie gelehrt – oft sind sie so simpel wie logisch. Sie lassen sich ohne Aufwand in unser tägliches Leben integrieren. Wir von ze.tt denken, dass eine vernünftige Debattenkultur wichtig für unser Miteinander ist.

Ich wollte nie streiten. Ich hatte immer das Gefühl, ich sei nicht gut darin. Normalerweise finde ich in Diskussionen gute Argumente und auch den richtigen Ton dafür. Aber in Konfliktsituationen schien es, als würde etwas in mir aussetzen.

Ich fühlte mich gestresst, wurde zu impulsiv und sagte nicht selten Dinge, die ich später bereute. Deshalb drückte ich mich bislang vorm Streiten. Ich wollte einfach Harmonie. Genau das war mein Problem: Indem ich Streit von mir wegschob, beschäftigte ich mich erst gar nicht damit. Bisher dachte ich immer, ich sei halt nicht dafür gemacht zu streiten. Doch das ist Unsinn: Streiten kann man lernen, wie Fahrradfahren, wie Lesen und Schreiben. Man muss es nur wollen.

Wie man sinnlos streitet ...

Alle Menschen streiten, fast schon täglich. Das ist ganz normal. Aber wie kommt es dazu? In den allermeisten Fällen werden wir von Streitereien überrascht. Ganz egal wo sie passieren, in der Beziehung, in der Familie, bei der Arbeit: Unser Gegenüber benennt eine Befindlichkeit, spricht irgendeinen Missstand an und schon sind wir mittendrin. Druck und Spannung werden aufgebaut, die Luft scheint dünner zu werden, alle unserer Worte befinden sich fortan auf einer Waagschale.

So gesehen fällt es wirklich nicht leicht, die Vorteile eines Streits zu erkennen. Ich selbst konnte mir nie vorstellen, wie solche impulsive und destruktive Streits uns denn bitte schön voranbringen sollen. Das ist der Knackpunkt: die Destruktivität. Der Streit an sich ist gar nicht destruktiv. Er wird durch unsere Unfähigkeit uns auseinanderzusetzen destruktiv.

Meine Reaktion auf persönliche Streits war meist folgende: Ich fühlte mich persönlich angegriffen, dachte, ich müsse mich wehren und um jeden Preis Gegenargumente formulieren. Das hat weniger mit dem Missstand oder Vorwurf an sich zu tun, sondern eher mit den Botschaften, die zwischen den Zeilen bei mir ankamen. Werde ich auf der Sachebene über Unpünktlichkeit beim Feierngehen kritisiert – "Hey, letztes Mal warst du unpünktlich, aber wir müssen diesmal echt zeitig los, wäre also super, wenn du es schaffst!" –, gibt es kein Problem. Ich lasse mich darauf ein, fühle mich nicht an die Wand gestellt. Ein Vorwurf auf Beziehungsebene hingegen – "Du kommst immer zu spät, das ist total respektlos!" – macht mich wütend.

Derlei Pauschalisierungen machen mich rasend, weil sie meiner Ansicht nach respektlos sind. Denn, wie kann sich mein Gegenüber anmaßen, darüber zu urteilen, was ich immer mache? Oder dass ich respektlos sei? Vielleicht habe ich einfach eine andere Auffassung von Zeit, gewichte sie anders, lege keinen Wert auf Pünktlichkeit und definiere Respekt über andere Faktoren. Das lässt mich regelrecht hochdrehen. Ich entgegne dann Dinge wie: "Ich für meinen Teil habe noch nie jemanden für seine Unpünktlichkeit angegriffen, selbst wenn es mich einmal gestört hat, also wieso bist du so verdammt kleinlich?" Es geht in den folgenden, leidenschaftlichen Streits dann um den Vorwurf an sich, nicht um den Inhalt. Sprich: Diese Streits sind völlig sinnlos.

... und wie man es besser macht

Das Beispiel zeigt sehr gut, wie sehr es beim Streiten auf den Kontext ankommt, auf die Tonalität, auf Empathie und die Fähigkeit offen zu bleiben – beidseitig. Es spielen unzählige Faktoren mit hinein und immer hat es mit bewussten oder gefühlten Grenzüberschreitungen zu tun. Ja, mein Gegenüber mag vielleicht einen Tonfall gewählt haben, den ich in dieser Situation für nicht angemessen hielt. Aber wer bin ich im Gegenzug, ihn oder sie dafür zu kritisieren? Ich selbst wähle auch nicht immer den richtigen Ton, funktioniere nicht perfekt und kann nicht immer besonnen mit meinen Mitmenschen umgehen. Und ich selbst brachte schließlich meine Wut in den Konflikt mit ein. Vielleicht fehlte meinem Gegenüber in dieser Situation einfach das Gespür dafür, den realen Missstand – zum Beispiel meine Unpünktlichkeit – richtig anzusprechen. Einfach, weil er oder sie andere Dinge im Kopf hatte. Das passiert, wir sind ja keine Roboter.

In unseren täglichen Beziehungen, etwa mit dem*der Partner*in oder den Arbeitskolleg*innen sind wir aufgrund irgendwelcher Storys vorbelastet, oft reichen schon Kleinigkeiten für einen Konflikt. Was uns das sagt? Was wir definitiv brauchen, ist eine Grundlockerheit, und dann Offen- und Achtsamkeit anderen, aber vor allem sich selbst gegenüber. Wer sich frei machen und sich voll und ganz auf die Gesprächspartner*innen einlassen kann, der*die hat den ersten Schritt in Richtung sinnvolles Streiten schon gemacht.

Meistens sind Streits lediglich ein Ventil, ein Versuch über Probleme zu diskutieren und das Miteinander besser zu gestalten. Mit diesem Wissen könnte man vielen Vorwürfen gegenüber grundsätzlich gelassener reagieren. Der Streit wird dann weniger destruktiv, sondern bewegt sich schneller auf Kompromisse zu. Der wissenschaftliche Begriff dafür ist Konfliktintelligenz. Diese geht mit unserer Einstellung einher: Wir müssen begreifen, dass Menschen schon immer stritten und immer streiten werden – also muss das ja für etwas gut sein.

Einfache Tipps für gelungenes Streiten

Wer sich mal eben die Zeit nimmt, über den letzten Streit nachzudenken, dem dürfte auffallen, aus welchen vielschichtigen Situationen Streit entstehen kann.

Mit meiner Partnerin geriet ich kürzlich beispielsweise kurz aneinander, weil wir anderer Meinung waren, ob die Burger auf unseren Tellern nun gleich groß sind oder nicht. Natürlich lag das Problem in diesem Fall nicht bei den verdammten Burgern – einer von beiden, in dem Fall ich, war einfach nur gestresst vom Arbeitstag, musste Druck ablassen und tat das durch meinen unüberlegt aggressiven Tonfall. Immerhin habe ich den Unmut meiner Freundin darüber recht früh erkannt und konnte den Streit eindämmen, indem ich mir eingestand, dass das gerade ein bisschen drüber war. Das Resultat? Wir konnten anschließend locker über das eigentliche Problem – meinen Stress – sprechen.

Ich habe da unbewusst etwas sehr richtig gemacht: meinen Fehler eingestanden und erkannt, wie negativ die Energie war, die ich aussendete.

Wer den Streitverlauf bewusst aufmerksam wahrnimmt, beginnt bereits, den Konfliktprozess zu gestalten.
Susanne Jalka

Die Forschung ist sich mittlerweile darüber einig, dass sinnvolles Streiten hochwertvoll ist. Und dass die Hilflosigkeit, die Menschen in Streitsituationen erleben, in direktem Verhältnis zu ihrem Mangel an Wissen darüber steht.

"Streiten ermöglicht, sich selbst und andere besser kennzulernen, Wünsche, Gefühle und Interessen in Worte zu fassen," schreibt die Psychoanalytikerin und langjährige Konfliktforscherin Susanne Jalka. "Ein konstruktiver Umgang mit Konflikten stärkt das Selbstbewusstsein, erweitert mit jedem Streit das eigene Verhaltensrepertoire und erleichtert die Verständigung mit anderen."

Jalka entwarf anhand ihrer Konflikttheorie einen Plan für besseres Streiten, mit dem ich selbst seither übe. Ihre Arbeit half mir, mich künftig nicht mehr vor Streitsituationen zu verstecken, sondern sie als Chance zu begreifen.

Abschließend hier einige ihrer Erkenntnisse in neun Schritten. Wer sie befolgt, wird künftig vielleicht nicht weniger streiten – aber sicher sinnvoller.

1. Das eigene Konfliktverhalten erkennen

Wie haben wir bisher gestritten? Wie streiten andere? Indem wir unser Verhalten in Konfliktsituationen reflektieren und andere dabei beobachten, lernen wir wo wir noch Verbesserungsbedarf haben. Wir sollten ein Bewusstsein für uns selbst schaffen: Wie lassen wir uns provozieren? Durch was lassen wir uns dazu hinreißen, laut zu werden?

2. Das Widersprechen üben

Sind wir in der Lage, Nein zu sagen, privat und beruflich? Der Abstand zwischen uns und allem anderen ist laut Jalka notwendig, wenn es darum geht, einen eigenen Standpunkt einzunehmen und sich eine Meinung zu bilden. Sie dann so auszudrücken, dass sie nicht verletzend wirkt, können wir üben. Indem wir zum Beispiel vor dem Fernseher oder beim Zeitung lesen laut Gegenargumente formulieren: "Alles, was wir verstehen wollen, können wir nur festhalten, indem wir es benennen."

3. Positive "Ich-Aussagen" treffen

In Konflikten neigen wir oft zu Drohungen, indem wir so formulieren: "Du musst endlich ...", "Du hörst nie zu ...", "Du sagst immer ..." Solche Aussagen führen laut Jalka direkt in die Eskalation. Auch sollten wir auf solche Formulierungen verzichten: "Ich will nicht ...", "Ich kann nicht länger ...", "Ich bin nicht bereit ..." Das verbreitet Negativität. Besser sei: "Ich denke, ich fühle, ich wünsche ...", "Ich will, dass ..." Solche Aussagen führen zu Aufmerksamkeit, das Gegenüber wird offener.

4. Bei einem Thema bleiben

Wir neigen im Streit dazu, auf Vergangenes zurückzugreifen, um Ansprüche zu sichern oder das Gegenüber unter Druck zu setzen. Das ist fatal. Besser ist es laut Jalka, nur den gegenwärtigen Zustand zu beschreiben und nicht mehrere Konflikte zu vermischen.

5. Aktives Zuhören üben

Aktives oder aufrichtiges Zuhören bedeutet, sich in das Gegenüber hinein zu versetzen und sich von eigenen Gedanken und Standpunkten frei zu machen. Es geht dabei aber nicht darum, den anderen Recht zu geben, sondern wirklich ihren Standpunkt zu verstehen. Weitere Tipps fürs aufrichtige Zuhören haben wir hier aufgeschrieben.

6. Es gar nicht erst zu weit kommen lassen

Jeder Streit folgt klaren Regeln, sogenannten Eskalationsstufen nach Friedrich Glasl. Was man dazu wissen muss: In den ersten drei Stufen ist noch alles rettbar, ab der vierten Stufe geht es unter die Gürtellinie und danach geht es nur noch darum, das Gegenüber zu zerstören.

Auf Stufe Eins entsteht die Spannung, die noch nicht unbedingt zum Konflikt führt. Wenn sie das aber tut, verfestigen sich die Positionen. "Der Verdacht kommt auf, dass es tieferliegende Ursachen für die gegenseitigen Verstimmungen geben könnte", schreibt Jalka. Die Betonung liegt übrigens auf Verdacht, das muss nicht so sein. In der zweiten Stufe geht es in die Debatte, man wird taktisch, sieht sich als Konkurrenz. Oft münden Diskussionen dann in Behauptungen und Provokationen wie Augen verdrehen oder Sarkasmus, um sich gegenseitig unter Druck zu setzen. Hier entscheidet sich alles: Begreift eine*r der Gesprächspartner*innen jetzt noch nicht, dass schnell auf konstruktive Kommunikation umgeschwenkt werden muss – etwa ruhigere, positive "Ich-Aussagen", geht der Konflikt in Stufe Drei über: Taten statt Worte.

Es besteht die Entschlossenheit, sich gegenüber dem*der anderen zu behaupten, die eigenen Ansichten um jeden Preis durchzusetzen, es wird laut, man schlägt vielleicht mal auf den Tisch. Ab da ist es schon zu weit gekommen. Wenn wir nicht vorher schon versuchten, konstruktiv zu streiten, werden wir die Auseinandersetzung weiter eskalieren, ob wir wollen oder nicht. Daher gilt grundsätzlich, es tunlichst nicht zu weit kommen zu lassen.

7. Missverständnisse klären

Viele Konflikte entstehen durch Missverständnisse, die nicht als solche erkannt werden. Zwischen einer Meinungsverschiedenheit und einem Missverständnis gibt es einen großen Unterschied. Ein Missverständnis kann durch Offenheit, Interesse an der anderen Person und Nachfragen geklärt werden. Eine Meinungsverschiedenheit ist es dann, wenn man sich zwar versteht, aber trotzdem einen anderen Standpunkt hat. "In spannungsreichen Beziehungen werden Missverständnisse auf Personen projiziert", schreibt Jalka. Viel zu selten werde außerdem bedacht, dass Menschen sich schlicht irren können. Ein Irrtum verflogt keine böse Absicht, sondern entsteht wie das Missverständnis durch Mangel an Informationen. Hier steht, wie man Missverständnissen vorbeugen kann.

8. Fehler zugeben

Schuldzuweisungen sind ein beliebtes Machtinstrument. "Aber die Idee, mit der Bestrafung von Schuldigen Konflikte zu beenden, führt in eine Sackgasse", schreibt Jalka. Man schließe zu häufig von negativen Auswirkungen auf negative Absichten. Die Schuldfrage sollten wir vergessen. Konflikte sind vielschichtig, jeder Mensch hat seine eigene Wahrheit und macht Fehler. Die große Stärke ist es, diese zuzugeben. So lassen sich Konflikte gut deeskalieren. "Gute Wegweiser auf der Suche nach Fehlern sind die eigenen Gefühle. Wer ihnen folgt, kommt sich selbst auf die Spur." Anschließend steht auch nichts im Weg, aufrichtig um Entschuldigung zu bitten.

9. Den Zeithorizont erweitern

Es muss nicht immer alles gleich ausdiskutiert werden, manchmal muss man der Sache auch Zeit gönnen. "Es handelt sich darum, den eigenen Standpunkt bewusst einzunehmen, die Gesamtsituation des Konflikts wahrzunehmen, die verschiedenen Aspekte zu analysieren – und auf den richtigen Zeitpunkt zur Konfliktbearbeitung warten zu können. Das kann schnell sein oder sehr lang dauern", schreibt Jalka. Gute Konfliktgespräche seien meistens gut vorbereitete Verhandlungen. Streiten zu lernen – als eine Form des konstruktiven Konfliktverhaltens, das festen Regeln folgt und Eskalation vermeiden will, ist ein zeitintensives Projekt. Jalka empfiehlt, dass wir konstruktives Streiten und Kommunikationstechniken laufend üben sollten. "Die Verbesserung von Konfliktintelligenz stärkt auch Selbsterkenntnis, Einfühlungsvermögen, Dialogfähigkeit und Entscheidungsstärke. Im Beruf und im Privatleben sind dies die Bausteine für Kompetenz und Erfolg."