Zum ersten Mal stach Rebecca Gomperts schwimmende Abtreibungsklinik im Juni 2001 in See. Ziel war Irland, wo zu dieser Zeit Frauen und Ärzt*innen eine lebenslange Haftstrafe drohte, wenn sie bei der Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches erwischt wurden.

Empfangen wurde die überwiegend weibliche Crew von Abtreibungsgegner*innen, die das Anlegen des Schiffes verhindern wollten. Sie hatten durch Medienberichte erfahren, dass die Niederländerin Gomperts noch keine Genehmigung erhalten hatte, den umgebauten Schiffscontainer tatsächlich für den Eingriff zu verwenden. Damit wären die geplanten Abbrüche illegal gewesen. Gomperts wartete fünf Tage vergeblich auf die Genehmigung. Dann beugte sie sich dem öffentlichen Druck und fuhr unverrichteter Dinge wieder Richtung Amsterdam.

Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits dreihundert Frauen versucht einen Termin bei ihr zu bekommen.

Die Irlandreise war ein Reinfall, aber sie war nur der Auftakt für ein Projekt, das noch vielen Frauen das Leben retten sollte. Dass jemand extra einen Container umbaut und nach Irland fährt, um Frauen Abtreibungen anzubieten, erschien vielen Menschen bizarr. Doch es feuerte auch die Debatte um ein Recht auf Abtreibungen und sexuelle Selbstbestimmung an.

Die Abtreibungsdebatte

Ob Frauen ein Recht auf Abtreibungen haben oder nicht, ist ein viel diskutiertes Thema. In den meisten Ländern sind Abtreibungen illegal oder nur unter bestimmten Auflagen möglich. Der Eingriff wird tabuisiert und Frauen, die ihn vornehmen lassen, als "Schlampen" und "Mörderinnen" bezeichnet. Dabei endet statistisch erwiesen jede vierte Schwangerschaft weltweit mit einer Abtreibung. Wird diese legal durchgeführt, sind Komplikationen oder Todesfälle so gut wie ausgeschlossen. In Ländern jedoch, in denen Frauen dieser Eingriff verweigert wird, müssen Betroffene eigene Wege zur Beendigung ihrer Schwangerschaft finden. Zwischen 22.000 und 44.000 Frauen sterben jährlich dabei.

Gegner*innen argumentieren, dass ein ungeborenes Kind ein Recht auf Leben hätte und Frauen und Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen (lassen), einen Mord begingen. Solche Ansichten basieren häufig auf religiösen oder patriarchalen Vorstellungen, nach denen Frau und Kind Besitz des Mannes oder Gottes seien und selbst keine Entscheidungsgewalt hätten. Befürworter*innen dagegen vertreten das Argument, dass auch Frauen ein Recht auf Leben, körperliche und psychische Unversehrtheit haben. Und das werde eben durch eine ungewollte Schwangerschaft beeinträchtigt. Fest steht: Abtreibungsverbote senken die Zahl der Abtreibungen nicht. Sie erhöhen lediglich die Zahl der Frauen, die an illegalen Abbrüchen sterben. Der United Nations Population Fund gab in einem Bericht 2014 an, dass Abtreibungsraten in Ländern mit Verboten oft sogar höher seien, da diese in der Regel auch andere Verhütungsmittel verbieten und Frauen daher häufiger auf den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft angewiesen sind. 

Women on Waves

Rebecca Gomperts wurde auf das Problem aufmerksam, als sie als Ärztin für Greenpeace tätig war. Bei ihrer Arbeit sah sie immer wieder Frauen, die auf Grund illegaler Abtreibungen starben. Aus Angst vor der Strafe wagten sie sich erst in Behandlung, wenn sie bereits in akuter Lebensgefahr schwebten. Der Gedanke, wie viele Leben sie retten könnte, wenn sie diesen Frauen legale Abtreibungen ermöglichen würde, ließ Rebecca Gomperts nicht mehr los.

Ein juristisches Schlupfloch sollte schließlich den Anstoß zur Gründung von Women on Waves geben. Abtreibungen sind zwar in vielen Ländern illegal – auf dem offenen Meer gilt jedoch das Seerecht. Und das bedeutet, dass Mannschaft und Passagiere eines Schiffes den Gesetzen der Nation unterstehen, der das Schiff angehört. Würde Gomperts also Frauen an Bord eines Schiffes unter niederländischer Flagge nehmen und auf internationale Gewässer segeln, könnten diese Frauen legal abtreiben. 

Zurück in den Niederlanden suchte Gomperts Investor*innen und Mitstreiter*innen. Mit dem Grundkapital bauten sie einen alten Schiffscontainer in eine mobile Arztpraxis um und erwarben ein Schiff. Sie stellten den Antrag, den Container zu einer gynäkologischen Praxis erklären zu lassen, die alle Auflagen erfüllt, um legale Abtreibungen durchzuführen. Die Genehmigung kam zu spät für die Irinnen, aber sie kam.

Seitdem fahren Women on Waves verschiedene Häfen an. Der Abbruch erfolgt medikamentös mithilfe zweier kleiner Tabletten, die die Frauen an Bord nehmen. Ein Team aus Ärzt*innen und Pfleger*innen überwacht die Einnahme und begleitet die Frauen durch den Abbruch. Wer einen Termin möchte, erfährt über das Internet, wann das Schiff anlegt und kann sich dann über eine Hotline anmelden. Die Frauen erscheinen häufig verkleidet oder verschleiert, weil immer noch Gegner*innen versuchen das Projekt zu diskreditieren, in dem sie die Frauen outen.

Women on Waves wächst

Mit ihrem Schiffscontainer konnte Gomperts zwar vielen Frauen helfen, trotzdem gelang es ihr nicht, so viele Fahrten zu machen, wie sie vorgehabt hatte. Auch die Regierungen der Länder fanden immer bessere Wege, Women on Waves von der Einreise abzuhalten. Portugal verhinderte das Anlegen sogar durch den Einsatz von Kriegsschiffen.

Das brachte Gomperts auf eine neue Idee. Wenn die Frauen nicht auf ihr Schiff kommen konnten, musste sie die Abtreibung eben zu den Frauen bringen. Für eine medikamentöse Abtreibung, wie Women on Waves sie auf dem Schiff durchführt, benötigen Frauen Mifepriston und Misoprostol. In Ländern, die Schwangerschaftsabbrüche verbieten, ist die sogenannte Abtreibungspille Mifepriston nicht frei verkäuflich – Misoprostol dagegen schon. Es wird vorrangig für Blutungskomplikationen verwendet und kann daher nicht so einfach vom Markt genommen werden. In einem Live-Interview im portugiesischen Fernsehen erklärte Rebecca Gomperts also einfach, wie Frauen die Abtreibung eigenständig und so sicher wie möglich mit Misoprostol vornehmen konnten. Aus diesem spontanen Entschluss formte sich schließlich Women on Web, eine Initiative, die das Wissen um Abtreibungen weltweit verbreitet.

Per Telefon oder E-Mail können Frauen sich während des Vorganges beraten lassen. Die Mitarbeiter*innen von Women on Web leisten psychologischen Beistand und geben medizinischen Rat. Sie erklären den Frauen außerdem, wo sie die notwendigen Medikamente herbekommen, was sie am besten dem*der Apotheker*in erzählen und welche Angaben sie in einem Krankenhaus machen sollen, falls sich Komplikationen ergeben. Die Hotline steht inzwischen weltweit zur Verfügung, berät in 15 Sprachen und versendet sogar die Pillen in Länder, in denen sie nicht zu erwerben sind. Mit ihrer Arbeit retten Women on Waves und Women on Web so täglich Leben auf der ganzen Welt.

Euer Einsatz ist gefragt

Dass auch im Hamburger Hafen irgendwann das Women on Waves Schiff anlegt, ist bisher nicht zu erwarten. Gerade aber, weil wir in einer privilegierten Position sind, sollten wir für die Rechte von Frauen eintreten, die keinen Zugang zu sicheren Abtreibungen haben. Weltweit brauchen Organisationen und Vereine Unterstützung, um ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu erhalten oder zu erkämpfen. Einen Beitrag leistest du zum Beispiel durch eine Spende an Organisationen wie Women on WebPlanned Parenthood oder auch Ärzte ohne Grenzen, die vor allem in Entwicklungsländern Frauen versorgen, die nach illegalen Abtreibungen medizinische Hilfe benötigen. Mehr über das Projekt Women on Waves gibt es außerdem in der Dokumentation Vessel zu sehen, die derzeit auch auf Netflix angeboten wird.