Die Trauer kommt unerwartet. Eben noch bestaune ich in einer Ausstellung kinetische Skulpturen, plötzlich höre ich das Lachen und die Stimme meiner Omi, so nah und klar, als stünde sie neben mir: "Also, das ist ja wirklich zu putzig!" Und dann weine ich. Denn Omi ist vor mehr als zwei Jahren gestorben, ich vermisse sie jeden Tag. Trotzdem ist sie auf unerklärliche Art noch immer Teil meines Lebens.

"Menschen, die im Leben wichtig waren, bleiben es auch nach dem Tod. Wir dürfen mit ihnen immer in Verbindung bleiben", erklärt mir der Berliner Bestatter Julian Heigel.

Für mich gibt es fünf Arten, auf die meine Omi noch bei mir ist:

1. Ich höre ihren Rat

Wann immer ich nicht weiter weiß, schließe ich die Augen. Dann sehe ich Omi in ihrem Kittel in der schmalen Küche Fleisch in eine Pfanne legen und ins Brutzeln hinein Dinge sagen wie "Nee, also das hast du nun wirklich nicht nötig!" Sie hatte zeitlebens eine starke Meinung und keine Scheu, sie kundzutun. Das hinterlässt Spuren, bis heute.

2. Sie gibt mir Kraft

Trösten, das konnte Omi so gut wie niemand sonst auf der Welt.""Das Leben haut dir zwischendurch immer wieder einen Knüppel in die Beine, damit du nicht vergisst, wie schön das Schöne ist", hat sie mal gesagt und ihr kleine Hand auf meine gelegt. Wenn ich mich daran erinnere, dann geht das Leben leichter. Ein bisschen zumindest.

3. Ich kann ihr mein Herz ausschütten

Omas und Opas Tod fühlt sich an, als hätte ich beide Eltern und meine besten Freund*innen zugleich verloren, wir waren so lange ein eingeschworenes Team. Endlose Telefonate haben wir geführt, über alles geredet. Das tue ich auch heute noch – und bilde mir ein, dass Omi mich hört.

4. Sie bringt mich zum Lachen

So stark ist Omis Präsenz mitunter, dass ich ihre flotten Sprüche hören kann. Genau wie die von Opi. Zum Beispiel: "Ach, die kannst du alle in der Pfeife rauchen!" als Ausdruck der Empörung über Unfähigkeit, meist in Bezug auf Ärzt*innen. Wir haben immer viel zusammen gelacht und das schimmert durch die Trauer.

5. Ich fühle mich geliebt

Das ist das größte Mysterium von allen. Nicht nur, dass ich Omi noch immer lieb habe – ihre vierzig Jahre unerschütterlicher Liebe für mich sind genauso unverändert spürbar. Auch Opi ist gestorben, sieben Monate nach Omi, und auch seine Liebe gehört zu mir. Deshalb habe ich mir diesen Auszug aus einer alten Geburtstagskarte in Opis Handschrift tätowieren lassen:

Ist das normal, gehört das so? Ich wollte mehr darüber wissen und habe drei Leute gefragt, die sich beruflich mit Tod, Abschied und Trauer beschäftigen.

Meine Frage danach, ob mein Umgang mit Omis und Opis Tod auch zwei Jahre später normal ist, ergibt so gestellt wenig Sinn, erfahre ich von Sterbeamme, Bestatterin und Trauerbegleiterin Johanna Wilke. Sie erklärt, dass Trauer vor allem individuell ist: "So einzigartig, wie jeder Mensch lebt, liebt und leidet, so einzigartig ist auch seine Trauer."

Trauer endet nie ganz und das ist okay

Vor allem aber ist Trauer ein Prozess, der niemals vollkommen abgeschlossen sein wird. "Der Platz des geliebten Menschen bleibt leer. Und das darf so sein", sagt Johanna Wilke. "Ich kann nur dazu ermutigen, sich auf den Weg zu machen, den eigenen Umgang mit der Trauer zu finden und individuelle Ausdrucksformen zu leben."

Und nur, weil eine Person nicht mehr körperlich anwesend ist, ist sie deshalb ja nicht plötzlich ausgelöscht und aus unserem Herzen getilgt. Das sieht auch Johanna Wilke so: "Der Tod beendet das Leben, aber nicht die Beziehung zu dem Verstorbenen und das ist für die meisten tröstlich. Natürlich muss jeder herausfinden, wie diese Beziehung auf veränderte Weise weitergelebt wird." Ob das nun artikulierte Gefühle sind, Anekdoten, Zwiegespräche oder Rituale – alles ist erlaubt.

Abschied von den Toten hilft

Eins der wichtigsten Rituale, das in unserer Gesellschaft jedoch tabuisiert ist, ist der Abschied vom toten Körper des geliebten Menschen. "Aus Erfahrung weiß ich, dass die Zuwendung zum toten Körper, also ganz konkret das Sehen und Berühren des Toten, trauernden Angehörigen hilft. Es geht dabei um das Begreifen des Todes im Wortsinn", erklärt mir Bestatter Julian Heigel. Auch ich habe meine tote Omi auf die Stirn geküsst und bin froh, dass ich auf diese Weise Abschied nehmen konnte.

Was danach kommt, ist für jede*n sehr persönlich und verschieden – dennoch gibt es selbst in individueller Trauer einige Gemeinsamkeiten. "Viele Angehörige spüren unmittelbar nach dem Tod noch eine enge Verbindung mit ihrem Toten. Sie hören dessen Stimme und bleiben mit ihm im Zwiegespräch", sagt Julian Heigel. "Mit den Toten reden ist eigentlich etwas sehr Normales." Ich fühle mich ein bisschen erleichtert.

Mit der Omi stirbt die Familienwurzel

Anemone Zeim macht Trauerberatung und betreibt eine Erinnerungswerkstatt. Auch sie weiß aus Erfahrung, wie es Trauernden geht – besonders, wenn Oma oder Opa gestorben sind: "Mit den Großeltern geht ein Stück Familienkultur verloren. Und wenn die Omi stirbt, geht oft auch eine wichtige Familienwurzel, die Verbindung zur Vergangenheit, eine Mutterperson, die weniger erzieherisch sein musste. Dieser Verlust kann sehr weh tun."

Doch tot ist nicht gleich tot – zumindest nicht bei genauerer Betrachtung. In unseren Herzen leben geliebte Menschen weiter und das ist auf gewisse Weise sehr real. "Man stirbt und verlässt damit die physische Welt. Aber man ist erst tot, wenn sich niemand mehr an einen erinnert", sagt auch Anemone Zeim.

Tiefe Trauer = tiefe Liebe

Was kann man also tun, um die Erinnerung und die Liebe an tote Menschen möglichst lebendig zu halten? Zum Beispiel einen Stammbaum malen, ein Fotoalbum oder eine Erinnerungskiste anlegen. Anemone Zeim: "Mit der Familie und Bekannten über sie sprechen. Erinnerungen können Herz und Seele wärmen wie ein Lagerfeuer."

Jeder Mensch trauert für sich allein, jede Form der Trauer ist vollkommen okay und wenn das bedeutet, dass man auch zwei Jahre später noch in der Öffentlichkeit weint, weil man Omi laut lachen hört, dann ist das nichts anderes als ein Zeichen tiefer Liebe.