Freund*innen kommen, Freund*innen gehen. Die richtigen, heißt es, zeigen sich mit der Zeit und bleiben für immer. Das wird uns schon im Kindesalter beigebracht. Trotzdem machen wir alle immer wieder die gleichen Erfahrungen. Ich gehöre zu den glücklichen Menschen, die immer viele Freundschaften hatten. Gute Freund*innen waren das. Die Art von Freund*innen, mit denen man am See sitzt, Bier trinkt und über die Zukunft philosophiert. Stundenlang. So lange, bis das Gesicht des Gegenübers so dunkel ist wie die Nacht. Diese Sternstunden haben mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Sie prägen und geben jedem*r von uns ein individuelles Gespür dafür, was Freundschaft bedeutet.

Auf kitschigen Postkarten heißt es, Freund*innen seien wie Sterne – man könne sie nicht immer sehen, aber wisse, sie seien da. Jetzt mal ganz ehrlich: Stimmt das überhaupt? Trifft das noch zu, in Zeiten, in denen Kontakthalten Arbeit und Aufwand bedeutet? In Zeiten, in denen wir uns stattdessen mit uns selbst auseinandersetzen und versuchen herauszufinden, wer wir sind und wer wir sein wollen?

Aus den Augen, aus dem Sinn

Als ich Anfang des Jahres für sechs Monate ins Ausland ging, haben sich meine Freund*innen unterschiedlich verhalten. Die einen fanden alles total spannend und wollten keine Kleinigkeit aus meinem Erasmus-Abenteuer verpassen. Dann gab es diese Freund*innen, die sich unregelmäßig ein-, zweimal im Monat meldeten, worauf stundenlange Telefonate folgten. Alles war wie immer, so, als wäre ich nie weggegangen.

Und dann war da diese Art von Freund*innen, die sich gar nicht mehr meldete. Keine Textnachricht, kein Anruf, keine Postkarte. Ich bekam auf Snapchat und Instagram beiläufig ihren spannenden selben Alltag wie immer mit und freute mich für sie. Gleichzeitig wünschte ich mir, Teil dieses Alltags zu sein. Doch Fehlanzeige.

Distanz oder Desinteresse?

Als ich eines Tages durch meine neue Heimatstadt lief, las ich einen weiteren Postkartenspruch. Es stand darauf "Some people talk to you in their free time, and some free their time to talk to you." Doch was ist, wenn in der Freizeit kein Platz für eine*n Freund*in übrig ist? Selbst an einem #lazysunday und #boredasfuck schien keine Zeit für ein Life-Update. Ich wurde nicht mal mehr unter Memes verlinkt.

Diese Art von Kommunikation klingt für einige vielleicht seltsam. Doch für uns, die mit dem Internet aufgewachsen sind, ist sie selbstverständlich. Wir schicken Sprachnachrichten in allen Lebenslagen. Ob in Krisenzeiten oder an der Supermarktkasse. Wir sind es gewohnt, ständig voneinander zu hören. Seit wann bekommen wir nur noch passiv über inszenierte Facebook-Posts voneinander mit? Es ist verrückt zu merken, dass du nicht mehr weißt, was in der Person vorgeht, deren BH du einst getragen hast.

Es gibt immer zwei Seiten einer Wahrheit

Das Problem mit der Entfernung ist, dass man nie weiß, ob man vermisst oder vergessen wird. Wenn dann die Kommunikation nicht stimmt, löst das ein Gefühls- und Gedankenwirrwarr in einem aus. Ich fühlte mich ignoriert und ausgeschlossen. Nicht mehr Teil der Gruppe. Anfangs versuchte ich noch, dagegen anzuschwimmen und den Kontakt aufrechtzuhalten. Doch irgendwann verließ mich der Mut. Wenn außer Party- und Jungs-Geschichten keine Themen mehr aufkommen, ist das dann noch Freundschaft? Für manche vielleicht. Für mich war es das nicht mehr.

Womöglich ist das Hauptproblem die Erwartung an die andere Person. Schließlich hat jede*r ein anderes Bild von Freundschaft im Kopf. Meine Werte müssen nicht immer die Ideale meiner Freund*innen treffen. Jeder hat seine eigene Sicht und geht anders mit der Situation um. Vielleicht müssen wir lernen, das zu akzeptieren statt voneinander zu erwarten. Je mehr wir schließlich von anderen Personen erwarten, desto größer ist die Enttäuschung.

Doch will ich das einfach so hinnehmen? Wenn ich zurückkomme, so weitermachen wie vor dem Auslandsaufenthalt? Als hätte die Zeit dazwischen nicht existiert? Nein. Ich habe mich verändert. Ich habe Erfahrungen gemacht, Menschen getroffen und mich selbst neu kennengelernt. Ich wurde mit Situationen konfrontiert, die mich gefordert haben. Und dazu gehört auch, alte Freund*innen neu kennenzulernen. Das Durchlebte zu ignorieren wäre, als würde ich mich selbst ohrfeigen.

"Du bist voll anders geworden"

Wir werden immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Besonders wenn wir uns dabei in einer nicht vertrauten Umgebung befinden. Weit weg von dem schützenden Alltag und den Gesichtern, die wir täglich gewohnt waren. Dann heißt es entweder runterschlucken oder sich selbst treu damit auseinandersetzen.

Ich habe mich für Zweites entschieden und das haben auch meine Freund*innen gemerkt. Als ich nämlich vor ein paar Wochen zurückkam, habe ich Sätze wie "Gut siehst du aus!", "Man merkt, dass es dir dort gut ging" und "Du bist voll anders geworden" gehört. Das hat mich gefreut, denn ich fühle mich auch gut. Und anders. Weil ich gelernt habe, mich auf mich zu fokussieren und mein Glück nicht von Gruppenkonstellationen abhängig zu machen. Ich bin immer noch Teil der Gruppe, wenngleich die Gruppe nicht mehr ist wie zuvor. Denn nicht nur ich habe mich verändert.

Meine Freund*innen zu Hause haben sich genauso verändert. In den vergangenen Monaten haben sie Dinge erlebt, die ich nicht verstehe. Aber wir mögen uns ja schließlich immer noch. Mit manchen kann ich herzhafter lachen als zuvor. Mit anderen fehlt etwas von der alten Leichtigkeit. Das ist aber nicht schlimm. Denn im Ausland habe ich neue Freundschaften geschlossen, die jetzt durch Sprachnachrichten über Ländergrenzen am Leben gehalten werden. Der Bonus: Wir sind alle schon mal da durchgegangen.